Warum muss man "Deutschland" von Rammstein kritisieren?

Berlin - Mit Kritik an der Band Rammstein macht man sich in der Regel etwa so beliebt, wie mit dem Tragen eines Angela-Merkel-Fan-Shirts bei einer AfD-Vollversammlung. Dabei legt es die Band geradezu darauf an interpretiert und kritisiert zu werden.

Das Cover der neuen Rammstein-Single "Deutschland".
Das Cover der neuen Rammstein-Single "Deutschland".  © -/check your head/dpa

Rammstein haben am Donnerstag ein neues Video rausgebracht und dazu sogar einen Song geschrieben. Oder war es andersherum?

Gleich vorweg: Dieser Kommentar soll kein Rammstein-Bashing werden. Für viele Fans scheint allerdings jedes kritische Wort in Richtung der Männer um Till Lindemann sofort unqualifizierte und kleingeistige Gotteslästerung zu sein.

Dennoch sollte und muss alles, was zahlreiche Stadien innerhalb von Sekunden ausverkauft, intensiv und von allen Seiten beleuchtet und besprochen werden. Auch, wenn man sich dabei unbeliebt macht.

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Selbst würde ich mich nicht unbedingt als Rammstein-Fan, durchaus aber als Sympathisanten bezeichnen.

Auf das Video freute ich mich, die kreativen Teaser fand ich spannend. Und als ich am Donnerstag den Clip endlich sehen konnte, war ich zunächst begeistert. Was für Bilder! Wie mutig, das Stück neun Minuten laufen zu lassen und der Song, der macht doch auch was her.

Provozierend? Klar. Aggressiv? Na sicher. "Wir-gegen-alle-anderen" Feeling? Rammstein eben!

Es ist der Nachgeschmack, der bitter macht

Die Band Rammstein bei der Premiere zu ihrer Doku-DVD über ihren Erfolg in Amerika.
Die Band Rammstein bei der Premiere zu ihrer Doku-DVD über ihren Erfolg in Amerika.  © Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Begeistert von dem neunminütigen Ausflug in eine Art düstere Tarantino-Fantasie mit viel Blut schloss ich YouTube und ging einkaufen. Abendessen kochen stand an.

Beim Schuhe anziehen, im Treppenhaus, an der Kasse: Die düstere "Deutschland"-Show geisterte weiter durch meinen Kopf.

"Deutschland" allerdings im wahrsten Sinne des Wortes – Irgendwann, ich glaube es war beim Zwiebelschneiden, ertappte ich mich nämlich beim stummen Mitsingen einer ganz bestimmten Zeile: "Deutschland, Deutschland über allen". Doch wie ging der Text nochmal weiter? Kann eine der erfolgreichsten deutschen Bands wirklich mit "Deutschland über allen" als Hookline in ihr neues Album starten?

Jedem müsste klar sein, dass Rammstein keine Neonazi-Band ist. Mir gefällt es sogar ein bisschen, dass man ohne schlechtes Gewissen mal seine kalte "Roll-R"-Deutscher Seite rauslassen kann, wenn "Du hast" aus den Boxen schreddert.

Beim Essen, es gab Spaghetti Bolognese, sah ich mir das Video nochmal an, hörte genauer auf den Text und siehe da, hinter Pomp, Blut und Dystopie versteckte sich in der Tat eine wichtige und genau genommen sogar antipatriotische Botschaft.

"Deutschland", wie es Rammstein besingen, ist ein Land mit schrecklicher Vergangenheit, düsterer Gegenwart und einer grauen Zukunft – wenn wir nicht aufpassen.

"Deutschland, Deutschland über allen" schreit sich leichter.

Sowohl auf der Bühne, als auch in den Texten spielt Till Lindemann mit dem Feuer.
Sowohl auf der Bühne, als auch in den Texten spielt Till Lindemann mit dem Feuer.  © Axel Heimken/dpa

Doch was nützt eine gutgemeinte Botschaft, wenn sie als Kleingedrucktes daherkommt? Man stelle sich eine Anti-Aids Kampagne vor, in der riesige Lettern schreien: "Sex ohne Kondom ist das GEILSTE!" und klein links unten, weiß auf weiß "...kann dich aber leider krank machen".

Das Video lief auch beim Geschirrspülen nach meinem Nudel-Festmahl weiter. Immer wieder "Deutschland, Deutschland über allen". Meine Gedanken drifteten zur anstehenden Stadion-Tour.

Ich sah Berlin, Rotterdam, Moskau: Millionen Menschen würden aufgepeitscht und fröhlich angesoffen in den riesigen Arenen Europas stehen. Sie würden "Gott weiß ich will kein Engel sein" schreien, zu "Sonne" herumspringen und bei jedem Konzert "Deutschland" schreien.

"Deutschland, Deutschland über allen" geschrien von tausenden in Moskau... ginge es dabei nicht um Rammstein, wäre das Stoff für eine Horror-Serie auf Netflix.

Vielleicht war es Till Lindemanns Absicht, dass darüber eine Debatte entsteht, dass sich die Medien echauffieren (werden). Vielleicht wollte er zeigen, wie einfach es ist, Menschen diese gruseligen Zeilen singen zu lassen. Vielleicht will er, dass die Menschen sich vor sich selbst erschrecken. Vielleicht und hoffentlich.

Im Gegensatz zu anderen grenzwertigen Songs der Band trifft dieser Text nämlich auf eine wachsende Lobby von Neu-Rechten. Diesen Background hatten die Kannibalen aus "Mein Teil" nicht. Gott sei Dank. Rammstein sind keine Nazis und haben einen durchweg politischen Text herausgebracht, der in geschriebener Form absolut bewundernswert ist. Als Song ist er aber leider in ein glitzerndes Hakenkreuz-Geschenkpapier verpackt.

Auch Rammstein-Fans, die den Song gut finden, sind keine Nazis. Dennoch werden sie die Nazi-Parole eines musikalisch starken Songs mitschmettern.

"Deutschland, Deutschland über allen" schreit sich einfach leichter als "Meine Liebe kann ich dir nicht geben".

Die Band Rammstein macht sich in ihrem neuen Video selbst zu Opfern und Tätern.
Die Band Rammstein macht sich in ihrem neuen Video selbst zu Opfern und Tätern.  © Screenshot YouTube Rammstein Official

Titelfoto: Screenshot YouTube Rammstein Official

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