Antragsflut bei Chemnitzer Behörden: Immer mehr Menschen brauchen Unterstützung

Chemnitz - Auf das Chemnitzer Sozialamt rollt eine Flut von Hilfsanträgen zu. Schon jetzt steigt die Zahl der Bedürftigen deutlich. Gesetzesreformen - wie zum Beispiel das Wohngeld Plus - bringen die Behörde an ihre Grenzen.

Der Moritzhof an der Bahnhofstraße beheimatet mehrere Behörden und Ämter - unter anderem das Sozialamt.
Der Moritzhof an der Bahnhofstraße beheimatet mehrere Behörden und Ämter - unter anderem das Sozialamt.  © Kristin Schmidt

Schuldnerberatung und Lebensunterhaltung, finanzielle Hilfe bei der Pflege sowie für Kinder und Jugendliche: Dies und noch viel mehr muss von den 205 Mitarbeitern des Sozialamts gestemmt werden. Die Fülle an Aufgaben bringt eine Masse an Anträgen mit sich - vor allem seit Corona, Inflation und Energiekrise.

"Insgesamt ist seit Mitte des Jahres eine Tendenz steigender Fallzahlen zu verzeichnen", erklärt eine Sprecherin des Rathauses.

Ein Beispiel: Im Bereich des Lebensunterhalts und der Grundsicherung sei die Zahl der Hilfsbedürftigen (Stand Juni) im Vergleich zu 2021 bereits um 300 auf 2679 gewachsen.

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Besonders steigt die Zahl der Senioren, die sich die Pflege in ihrem Heim nicht mehr leisten können. Der Leistungszuschlag der Pflegekassen (Januar 2022) habe zwar Entlastung geschaffen. "Diese wird jedoch von den kontinuierlich steigenden Kosten überholt."

Dieses gehört wiederum dem Dezernat für Personal, Finanzen und Bildung an.
Dieses gehört wiederum dem Dezernat für Personal, Finanzen und Bildung an.  © Kristin Schmidt
Papierkrieg im Sozialamt: Corona, Inflation und Energiekrise führen zu einer stark steigenden Anzahl von Anträgen. (Symbolbild)
Papierkrieg im Sozialamt: Corona, Inflation und Energiekrise führen zu einer stark steigenden Anzahl von Anträgen. (Symbolbild)  © Hasselblad H5D

Bearbeitungszeiten bis zu einem halben Jahr

Susanne Schaper (44, Linke).
Susanne Schaper (44, Linke).  © Uwe Meinhold

Staatliche Hilfe ist auf dem Weg, etwa in Form der Wohngeld-Reform. Ab Januar haben mehr als dreimal so viele Haushalte Anspruch auf einen Zuschuss, der sich im Durchschnitt mehr als verdoppelt.

Aber kommt das Geld auch rechtzeitig an? Linken-Politikerin Susanne Schaper (44) befürchtet das Gegenteil: Das Sozialamt gehe derzeit allein beim Wohngeld von Bearbeitungszeiten bis zu einem halben Jahr aus. Die Chemnitzer Behörde brauche schleunigst mehr Personal.

Was das Rathaus sich aber nicht leisten kann: "Die Stadt befindet sich in einer defizitären Haushaltslage, die Neueinstellungen nahezu unmöglich machen", so die Sprecherin des Rathauses. Personelle Verschiebungen seien geplant, die eine Erhöhung der Bearbeitungsdauer jedoch nicht verhindern könnten.

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Susanne Schaper nimmt Bund und Länder in die Pflicht: "In allererster Linie müssen sie die Kommunen unterstützen, dass diese das Personal einstellen können, um ihre Gesetze auch umsetzen zu können!"

Gut gedacht, schlecht gemacht

Ab 2023 sollen dreimal so viele Menschen Wohngeld beantragen können.
Ab 2023 sollen dreimal so viele Menschen Wohngeld beantragen können.  © DPA/Robert Michael

Kommentar von Gabriel Schwab

Die staatlichen Reformen sind noch nicht zu Ende gedacht. Wichtige Hilfen wie das "Wohngeld Plus" könnten Bürgern wochen- oder sogar monatelang vorenthalten bleiben. Hier beißt sich die Theorie auf Bundesebene mit der Realität in den Kommunen. Noch ist nichts zu spät - aber bald.

Mehr Hilfe für mehr Menschen: Das bedeutet auch immer mehr Anträge für gleich wenig Amtsmitarbeiter. In Chemnitz und vermutlich den meisten Städten Deutschlands ist es derzeit höchst unwahrscheinlich, dass das Wohngeld pünktlich beim Bürger ankommt. Erst kürzlich berichtete die ARD, dass ganze Bundesländer (etwa Berlin) nicht damit rechnen, zum Stichtag auszuzahlen.

Und überall dasselbe Problem: Es herrscht Personalmangel in den spärlich beheizten Amtsstuben der Rathäuser. Zumindest um einer so drastisch steigenden Anzahl an analogen Anträgen Herr zu werden.

Noch ist es nicht zu spät zum Nachjustieren! Aber bald: Bund und Länger müssen Kommunen sofort Hilfe bei der Verteilung der Hilfen zukommen lassen. Sei es durch Arbeitskraft (zum Beispiel Landesbedienstete) oder das nötige Geld, um Personal einstellen zu können. Sonst verfehlen die Reformen und Pakete völlig ihren Sinn: Und zwar Menschen, die darauf angewiesen sind, durch die bittere Lebensrealität in 2023 zu führen.

Titelfoto: Hasselblad H5D

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