Debatte gestartet: "Friedliche Revolution" soll Weltkulturerbe werden!

Dresden - Die "Friedliche Revolution" ist eines der wichtigsten Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte.

6. November 1989: Zum ersten Mal zog eine genehmigte Montagsdemo durch Dresden.
6. November 1989: Zum ersten Mal zog eine genehmigte Montagsdemo durch Dresden.  © imago images/Ulrich Hässler

Dresden war dabei, neben Leipzig und Plauen, eines der Zentren. Der Weg der Ostdeutschen in die Freiheit könnte bald UNESCO-Welterbe werden. Wissenschaftler haben dazu eine eindeutige Meinung.

Den Debatten-Auftakt macht jetzt die Dresdner CDU. Per Antrag soll OB Dirk Hilbert (49, FDP) die Voraussetzungen prüfen, "um die Orte der Friedlichen Revolution in Dresden zum (immateriellen) UNESCO-Welterbe erklären zu lassen."

Bis Ende 2021 soll danach der Umsetzungs-Plan stehen. CDU-Fraktions-Chef Peter Krüger (60): "Wir müssen uns endlich auf den Weg dazu machen und ohne Parteiengezänk die Diskussion eröffnen."

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Die Zeit der Wende ist für den 60-jährigen Dresdner noch immer präsent. "Als ich den Antrag schrieb, kam alles wieder hoch. Ich stand selber am Hauptbahnhof der Bereitschaftspolizei gegenüber. Ich erinnere noch genau, wie die mit ihren Knüppeln auf ihre Schilde geklopft haben."

Noch im Sommer könnte der Antrag im Rat beschlossen werden. Ähnliche Aktivitäten gibt es in Plauen und Leipzig. Daher wäre laut Krüger auch eine städteübergreifende Initiative denkbar.

"Wir sind ein Volk": 2015 enthüllten Bürgerrechtler Arnold Vaatz (65, CDU), Ex-OB Herbert Wagner (72, CDU) und OB Dirk Hilbert (49, FDP, v.l.) eine Erinnerungstafel.
"Wir sind ein Volk": 2015 enthüllten Bürgerrechtler Arnold Vaatz (65, CDU), Ex-OB Herbert Wagner (72, CDU) und OB Dirk Hilbert (49, FDP, v.l.) eine Erinnerungstafel.  © Ove Landgraf

Professor stellt klar: Diese Initiative kommt fast zu spät!

CDU-Fraktions-Chef Peter Krüger (60, l.): "Ohne Parteiengezänk Diskussion eröffnen." Professor Alexander Lasch (45): "Eine sehr gute Initiative, aber fast schon zu spät."
CDU-Fraktions-Chef Peter Krüger (60, l.): "Ohne Parteiengezänk Diskussion eröffnen." Professor Alexander Lasch (45): "Eine sehr gute Initiative, aber fast schon zu spät."  © Bildmontage: Steffen Füssel, privat

TU-Professor Alexander Lasch (45) ist Experte für den Umgang mit dem ideologischen Erbe der ehemaligen DDR.

Seine Meinung zum Antrag ist klar: "Diese sehr gute Initiative kommt fast schon zu spät für eine wichtige Identitätsstiftung der Menschen in den ostdeutschen Städten."

Denn: "Die Menschen dürfen und sollen sich gern daran erinnern, was '89 und '90 Großartiges erreicht wurde. Damit ist auch ein Auftrag verbunden."

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Die Erinnerung an die Friedliche Revolution müssen im Verbund mit anderen geschichtlichen Ereignissen diskutiert werden

"Wir müssen darauf achten, dass keine Erinnerungsorte für die ‚neuen Rechten" geschaffen werden, die aktuell versuchen zum Beispiel 'Wir sind das Volk' als Slogan zu übernehmen."

Oktober 1989: Hans Modrow (2.v.r., Erster Sekretär der SED Bezirksleitung) und Wolfgang Berghofer (2.v.l., Oberbürgermeister) mit Mitgliedern der Gruppe der 20.
Oktober 1989: Hans Modrow (2.v.r., Erster Sekretär der SED Bezirksleitung) und Wolfgang Berghofer (2.v.l., Oberbürgermeister) mit Mitgliedern der Gruppe der 20.  © imago images/Ulrich Hässler

Die Chronik der Befreiung

17. Oktober 1989: Die Gruppe der 20 informierte die Dresdner in der Kreuzkirche. Am Tag vorher hatte das zweite Rathausgespräch der Gruppe stattgefunden.
17. Oktober 1989: Die Gruppe der 20 informierte die Dresdner in der Kreuzkirche. Am Tag vorher hatte das zweite Rathausgespräch der Gruppe stattgefunden.  © imago images/Ulrich Hässler

Dresden spielte in der entscheidenden Zeit der Friedlichen Revolution eine besondere Rolle. Der Umgang damit fällt der Landeshauptstadt noch immer schwer.

Anfang Oktober 1989 wurden Züge mit DDR-Flüchtlingen aus der Prager Botschaft in die BRD über den Dresdner Hauptbahnhof geleitet. Tausende versammelten sich dort, um auf die Züge aufzuspringen oder gegen das Regime zu protestieren.

Als der Bahnhof am 4. Oktober geräumt wurde, kam es zu Ausschreitungen. Gewaltsame Übergriffe, Massenverhaftungen und Zerstörungen folgten.

In diesen Tagen entschied sich in Dresden, ob die Revolution friedlich enden kann. Dies gelang.

Mit der Gründung der "Gruppe der 20" wurde ein Dialog zwischen Demonstranten und Staatsmacht gestartet. Von Dresden ging eine Vorentscheidung für den friedlichen Ausgang der Leipziger Großdemonstration am 9. Oktober aus.

Zudem hielt Bundeskanzler Helmut Kohl (†87) am 19. Dezember vor den Ruinen der Frauenkirche seine "Wiedervereinigungsrede".

Dresden gedenkt alldem aktuell "nur" mit dem Revolutionsweg, der anstelle eines "Kohl-Denkmals" entstand.

Die Linke provozierte damals mit einem Änderungsantrag. Sie schlugen vor, dass der Stadtrat jährlich den Revolutionsweg mit Blasmusik abschreiten soll.

"Ich will meine Akte": In Dresden erinnert der "Revolutionsweg" an die Ereignisse im Jahr 1989.
"Ich will meine Akte": In Dresden erinnert der "Revolutionsweg" an die Ereignisse im Jahr 1989.  © Ove Landgraf

Kommentar: Wichtiger Auftakt

TAG24-Redakteur Dirk Hein.
TAG24-Redakteur Dirk Hein.  © Steffen Füssel

Von Dirk Hein

Die Zeit der Wende und die Frage, wie im wiedervereinigten Deutschland mit der Identität der Ostdeutschen umgegangen wurde, ist zentral für viele der Probleme, die aktuell erneut aufbrechen.

Nach der Wende brachen unzählige Erwerbsbiografien einfach ab. In den Städten verloren die Menschen ganze Plätze, die ihnen wichtig waren.

Zwei beliebige Beispiele: Der Fresswürfel am Postplatz wich einem seelenlosen Büro-Neubau, der Fernsehturm ist seit 30 Jahren für Besucher dicht.

Viele Menschen zogen sich zurück, das Bild des weinerlichen Nörgel-Ossis verfestigte sich. Dem gegenüberzustellen, dass die Zeit der Friedlichen Revolution einen unglaublichen Wert weit über die deutsche Geschichte hinaus hat, ist extrem wichtig.

Dennoch darf das nicht zu einer Verklärung der DDR-Geschichte führen. Auch den versuchten Gleichsetzungen der Wendezeit mit dem momentanen "Querdenken" gegen die aktuelle Corona-Politik muss deutlich widersprochen werden.

Wer sich gegen den Staat auflehnte, der verschwand im Stasi-Knast. Auf Republikflucht stand Haft. Alles das wieder zusammenzuführen, wird eine große Aufgabe.

Schon dass überhaupt über die Welterbe-Fähigkeit einer solchen Zeit diskutiert wird, ist aber ein wichtiger Auftakt.

Titelfoto: Bildmontage: imago images/Ulrich Hässler

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