Leipziger Schule in Dresdner Museum: Albertinum kauft Gemälde von Doris Ziegler an

Dresden - Das Gemälde zeigt eine Straßenszene Ende der 80er-Jahre, als die DDR schon in Agonie lag, aber der Untergang noch fern schien. "Aufbruch Straße", so lautet der Titel. Gemalt hat das Bild die Leipziger Künstlerin Doris Ziegler (76). Ab sofort gehört es als Neuankauf fest zur Sammlung des Dresdner Albertinums.

Das Gemälde von Doris Ziegler (76) gehört zu ihrer umfangreichen Passagen-Serie, die sie zwischen 1988 und 1992 schuf.  © Petra Hornig

Der Ankauf ist Teil einer Sammlungsstrategie, die die Kunstproduktion in der DDR sichtbarer machen will. Das kulturelle Erbe der DDR für nachfolgende Generationen zu sichern, sei eine geradezu zentrale museale Aufgabe, sagt Hilke Wagner, Direktorin des Albertinums. Zudem seien "non-konforme und regimekritische Positionen immer noch unterrepräsentiert, vor allem von Künstlerinnen".

Mit dem Erwerb des 1988 entstandenen Bildes hat das Albertinum einen markanten Baustein zur Kunst der späten DDR hinzugewonnen. Das Gemälde war seit 16. Dezember 2004 als Leihgabe im Haus präsent und konnte nun - unterstützt von der Kulturstiftung der Länder und ihrem Freundeskreis - dauerhaft in die Sammlung übergehen. Kulturstiftung und Freundeskreis gaben jeweils 13.333 Euro, zum Gesamtkaufpreis schweigt man sich aus.

"Aufbruch Straße" zeigt eine stilisierte Straßenszene: mehrere Figuren - melancholisch, deprimiert und selbst als Teil der Menge isoliert - vor streng konstruierten Häuserreihen.

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Typisch für Zieglers Arbeiten dieser Phase ist die nüchterne, distanzierte Darstellung von Menschen kombiniert mit symbolischen Elementen (etwa der Pierrot-Figur links unten im Bild als subtiles Selbstporträt der Künstlerin).

Die reduzierte, kühle Farbstimmung und die theatralisch komponierte Figurengruppe erzeugen eine Atmosphäre von Stillstand, Erwartung und unterschwelliger Spannung - Stimmungen, die Ziegler selbst mit den späten 1980er-Jahren und dem "gefühlten Stillstand" vor der Wende verbindet.

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Ziegler setzt die Leipziger Passagen als Schauplätze des Alltags ein

Zieglers Gemälde "Aufbruch Straße" von 1988, nunmehr als Kunstwerk von nationaler Bedeutung.  © Petra Hornig

Das Gemälde gehört zu Zieglers umfangreicher Passagen-Serie, die sie zwischen 1988 und 1992 schuf. Die Leipziger Innenstadtpassagen wurden für sie zu Orten, an denen sich das rätselhafte Miteinander von Nähe und Fremdheit, Routine und Veränderungsdruck abbilden ließ.

Diese Werkgruppe zählt heute zu den wichtigsten Beiträgen der zweiten Generation der Leipziger Schule zur Reflexion der späten DDR-Gegenwart. Eher nebenbei als gezielt lassen sich Zieglers Passagen in einem sehr weiten Sinn mit Walter Benjamins berühmtem, unvollendetem Großprojekt "Das Passagenwerk" assoziieren.

Doch während der Kulturphilosoph Benjamin die Pariser Passagen als großstädtische Labore des 19. Jahrhunderts wertete, setzt Ziegler ihre Leipziger Passagen als Schauplätze des Alltags und als Resonanzräume einer Gesellschaft im Wartemodus ein. Immerhin gibt die Verbindung dem Bild einen zusätzlichen kulturgeschichtlichen Resonanzraum.

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Ziegler gehört zu den markanten Stimmen der zweiten Generation der Leipziger Schule. Ihre künstlerische Ausbildung erhielt sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, wo sie bei Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer studierte - prägende Figuren der frühen Leipziger Schule. Später unterrichtete sie dort selbst.

Ziegler hatte prägende Figuren in der Leipziger Schule

Doris Ziegler vor ihrem Gemälde. Im zweiten Stock des Albertinums hängt ihr Bild nun neben Werken ihrer Lehrer Tübke und Mattheuer.  © Petra Hornig

Tübke und Mattheuer - den Zweitgenannten habe sie als Lehrer nicht ernst nehmen können, sagt sie. Anders Tübke, der sei streng gewesen, teilweise abweisend und mit Lob geizend.

"Lassen Sie sich exmatrikulieren, Sie werden ja sowieso heiraten", habe er sie anfangs angefahren. Nach der Wende habe sie in der Kaderakte einsehen können, was Tübke wirklich über sie dachte. "Ich sei eine seiner besten Studenten gewesen", erinnert Ziegler sich: "Nie hatte er das vorher durchblicken lassen."

Zu ihrem Bild "Aufbruch Straße" hatte die Malerin lange ein distanziertes Verhältnis, auch weil es Ende der 80er-Jahre und auch später noch wenig Resonanz erfuhr. Ziegler: "Es wurde ausgestellt, aber nicht akzeptiert." Zu düster, habe es geheißen. Das hat sich geändert.

Inzwischen ist das Gemälde als Kunstwerk von nationaler Bedeutung anerkannt, nicht zuletzt deshalb waren die Kulturstiftung der Länder und ihr Förderverein zur Mitfinanzierung des Ankaufs zu bewegen. Für Doris Ziegler eine "rückwirkende Bestätigung" ihrer Arbeit.

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