Wenn Frauen von ihren Ex-Partnern ermordet werden: Deutliche Kritik an der Polizei
Frankfurt am Main – Eine 53 Jahre alte Frau wird in einem Supermarkt im hessischen Schwalmstadt erschossen. Täter ist ihr Ex-Freund. Von ihm fühlt sich die Frau seit längerem verfolgt und bedroht. Sie zeigt ihn an. Kurz danach fallen die Schüsse. "Tötung infolge der Trennung", lautet die Einschätzung der Polizei. Schwalmstadt ist kein Einzelfall.

Bundesweit registrierten Ermittlungsbehörden 2020 rund 148.000 Opfer von Gewalt in oder nach der Partnerschaft. Die meisten waren Frauen. 139 von ihnen starben. Ermordet oder getötet von Männern, die ihnen nahestanden: Ehemann, Partner, Freund oder Ex-Partner.
Svenja Beck hat zwei Tötungsversuche überlebt. Beim ersten Mal versuchte ihr Ex-Partner, sie mit dem Auto zu überfahren. Beim zweiten Mal, sie zu erwürgen. Inzwischen leitet Beck eine Selbsthilfeorganisation für Opfer von Gewalt in oder nach einer Partnerschaft.
Ihrer Erfahrung nach stellen die Täter den Frauen häufig über längere Zeit nach, bevor sie ihre Todesdrohung wahr machen. Trotz dieser Vorzeichen bekämen Frauen zu selten Hilfe von Behörden. "Viele Femizide könnten verhindert werden, wenn Polizei, Staatsanwaltschaft und Behörden die Frauen endlich ernster nehmen und besser schützen würden", sagt die im Odenwald lebende Lohn- und Finanzbuchhalterin.
Dass immer wieder Fälle eskalieren, liegt Beck zufolge auch an manipulativen Täter-Persönlichkeiten. "Viele können den bezaubernden Partner vorspielen bei den öffentlichen Stellen. Das führt dazu, dass die Gefährlichkeit nicht wahrgenommen wird", sagt sie. In Schwalmstadt hatte die 53-Jährige einen Tag vor ihrem Tod die Polizei gerufen, weil sie sich in ihrer Wohnung vom ehemaligen Partner bedroht fühlte.
Der 58-Jährige habe sich nach dem Einsatz "unauffällig und ruhig" verhalten, stand später im Polizeibericht.
Fehlender Informationsfluss zwischen Sozialämtern, Polizei und Familiengerichten

An der kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden beschäftigt sich Elena Rausch wissenschaftlich mit Gewalt in oder nach der Partnerschaft. Sie kennt das Phänomen Manipulation ebenfalls. "Es gibt Männer, die vor Gericht Reue und Einsichtigkeit vorspielen und im Weggehen wieder drohen."
Zudem werde zwanghafter, besitzergreifender Kontrollwille gern romantisch verbrämt mit Sätzen wie "du gehörst mir".
Abgesehen davon, dass im Unterschied zu Großbritannien in Deutschland zwanghafte Kontrolle in Partnerschaften nicht strafbar sei, betrachteten Außenstehende wie Behörden solche Aussagen und Drohungen meistens isoliert, nicht in der Summe. Deshalb würden Täter unterschätzt, und damit werde auch die Gefahr für Frauen unterschätzt. Zur Vermeidung müssten "Strafverfolger das ganze Bild der Handlungen betrachten", fordert Rausch.
Ein Problem sieht sie dabei im fehlenden Informationsfluss. Zwar hätten Sozial- und Jugendämter, Polizei, Familiengerichte, Beratungsstellen, Frauenhäuser und Ärzte oft Hinweise auf Gewalt, ohne diese jedoch zusammenzuführen. Darüber hinaus sei es schwierig, psychische Gewalt zu beweisen.
Aktivistin beklagt: Täter haben von den Behörden zu wenig zu befürchten

Svenja Beck führte mehr als ein Jahr lang ein Stalking-Tagebuch. Das habe bei Gericht zur Verurteilung ihres ehemaligen Partners beigetragen. Dagegen würden Fotos sowie Filme in der Regel von Strafverfolgern nicht als Beweismittel verwertet, weil solche Aufnahmen ohne Einverständnis des Gegenübers entstünden, erzählt Beck. Die Opferhilfe-Organisation "Der Weiße Ring" hat eine App entwickelt, die helfen soll, Stalking und Bedrohungen gerichtsfest zu dokumentieren.
Um die Prävention zu verbessern, setzen die Innenministerien von Bund und Ländern zunächst auf Zahlen. Sie wollen die Kriminalstatistik weiter auffächern. Von 2023 an werde ein neues Lagebild Häusliche Gewalt "einen vertieften Einblick in ausgewählte Straftaten und die zugrundeliegenden Opfer-Täter-Beziehungen und den räumlich-sozialen Kontext geben", kündigte eine Sprecherin des von der Hessin Nancy Faeser (51, SPD) geführten Bundesinnenministeriums an.
Faeser hatte im Frühjahr die Tötung von Frauen durch ihre Partner ein "großes gefährliches Problem" genannt und staatliches Handeln verlangt. Eine Arbeitsgruppe der Innenminister soll bis Mitte nächsten Jahres Vorschläge zur besseren Vorbeugung und Bekämpfung solcher Taten machen.
Svenja Beck wünscht sich vor allem schnelle, unkomplizierte Hilfe. Die Polizei solle an Ort und Stelle sogenannte Wegweisungen aussprechen. Täter müssten dann mindestens 250 Meter Abstand halten. Solche Anweisungen gelten für drei Tage, Verlängerung müsse ein Gericht anordnen. Das geschieht Beck zufolge häufig jedoch nur, wenn zwischenzeitlich etwas geschehen ist.
Überhaupt machen es Behörden ihrer Meinung nach Tätern zu einfach – diese hätten zu wenig zu befürchten: "Es passiert nichts, bevor etwas passiert."
Titelfoto: Swen Pförtner/dpa