"Sea-Watch 5"-Taufe in Hamburg: "Das Sterben auf dem Mittelmeer ist eine humanitäre Katastrophe!"

Hamburg - Bei schwankendem Steg und einer kühlen Brise wurde am Donnerstag die "Sea Watch 5" feierlich im Hamburger Hafen getauft. Das neue Rettungsschiff der Hilfsorganisation "Sea-Watch" soll nach den nötigen Umbauarbeiten im Frühjahr 2023 in See stechen. Kurs ist die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer. Allein in diesem Jahr seien dort bereits 1300 Geflüchtete ertrunken.

Yambio David von "Refugees in Libya" (M.), Ali Ahmed von "Lampedusa in Hamburg" und Bethi Ngari von "Women in Exile" (l.) nach der Taufe der "Sea Watch 5" im Hamburger Hafen.
Yambio David von "Refugees in Libya" (M.), Ali Ahmed von "Lampedusa in Hamburg" und Bethi Ngari von "Women in Exile" (l.) nach der Taufe der "Sea Watch 5" im Hamburger Hafen.  © Madita Eggers/TAG24

"Die 'Sea Watch 5' ist für uns ein extrem besonderes Schiff. Es ist das Schiff eines gesamten Netzwerkes, einer gesamten Zivilgesellschaft, die ein klares Zeichen gegen Faschismus, gegen die Abschottungspolitik Europas und für die Menschen auf der Flucht setzt", beginnt Sea-Watch-Sprecherin Mattea Weihe ihre Rede direkt vor der Flanke des neuen Rettungsschiffes.

Genau wegen dieser besonderen Stellung gebe es diesmal auch nicht nur einen Taufpaten, sondern im "Sinne des Schiffes" wurde das Schiff vom Netzwerk getauft.

Stellvertretend dafür waren Yambio David von "Refugees in Libya", Ali Ahmed von "Lampedusa in Hamburg" und Bethi Ngari von "Women in Exile" anwesend.

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Alle drei berührten die Anwesenden mit ihren bewegenden Ansprachen gegen Rassismus und für Menschenrechte, bevor sie zu dritt und begleitend von großem Applaus die Sektflasche an der Schiffswand zerschellen ließen.

"Wir wurden unsere Arbeit sofort gegen sichere und legale Fluchtwege eintauchen!"

Vera von "United4Rescue" (r.) überreicht Flüchtlings-Bischof Christian Stäblein als Symbol der Zusammenarbeit die Fahne des Bündnisses.
Vera von "United4Rescue" (r.) überreicht Flüchtlings-Bischof Christian Stäblein als Symbol der Zusammenarbeit die Fahne des Bündnisses.  © Madita Eggers/TAG24

Vera vom Bündnispartner "United4Rescue" erinnerte sich noch gut an die Taufe der "Sea-Watch 4" in Kiel: "Seitdem ist einige Zeit vergangen, die Situation auf dem Mittelmeer hat sich allerdings nicht verändert. Und auch wenn die heutige Taufe ein Grund zur Freude ist, haben all diese Erfolge immer einen bitteren Beigeschmack. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir unsere Arbeit sofort gegen sichere und legale Fluchtwege und eine staatlich organisierte Seenotrettung eintauschen würden."

Ein weiterer der insgesamt 850 Bündnispartner ist die Evangelischen Kirche in Deutschland, die ebenfalls harte Worte an die Regierungen Europas richtete:

"Das Sterben auf dem Mittelmeer und an den Grenzen Europas ist keine Naturkatastrophe, es ist eine humanitäre Katastrophe, die politisch gemacht ist und an die wir uns nicht gewöhnen wollen und nie werden", unterstrich Flüchtlingsbischof Christian Stäblein.

"Die meisten Menschen sind dehydriert, unterkühlt und haben häufig auch Verbrennungen!"

Die "Sea-Watch 5" ist zwölf Jahre alt und 58 Meter lang. Ab 2023 soll sie auf Missionen fahren.
Die "Sea-Watch 5" ist zwölf Jahre alt und 58 Meter lang. Ab 2023 soll sie auf Missionen fahren.  © Madita Eggers/TAG24

Bevor das Schiff in See stechen kann, sind noch einige Umbauarbeiten im Innen- und Außenbereich notwendig. "Wir brauchen ein großes Krankenhaus und einen Ort, wo sich alle Geretteten aufhalten können", so Mattea Weihe gegenüber TAG24. Die "Sea-Watch 5" habe die Kapazitäten 500 Flüchtlinge aufzunehmen, die von einer Crew von circa 30 Menschen betreut wird.

Eine davon ist die Freya, die eigentlich in der Chirurgie arbeitet, aber seit 2017 ihren Jahresurlaub dafür nutzt, Menschenleben zu retten und schon auf mehreren Einsätzen dabei war.

"Die meisten Menschen sind dehydriert, unterkühlt und haben häufig auch Verbrennungen", so die Ärztin im Gespräch mit TAG24. "Das sind sogenannte 'fuel burns': Auf den Booten der Geflüchteten sammelt sich oft Salzwasser, Benzin und Fäkalien und wenn die Haut darin aufweicht, entstehen richtige Verbrennungen." Welche wiederum schwere Entzündungen und Blutvergiftungen zur Folge haben können.

Neben Antibiotika, Brandsalben, Elektrolyte und Sauerstoff für die Menschen, die ein "beinah Ertrinken erlitten haben", führe das Schiff-Krankenhaus auch alles andere, was man brauche, um eine Gruppe von Menschen zu versorgen, die länger keine ärztliche Versorgung hatten und in Lagern untergebracht waren. "Häufig chronische entzündete Wunden oder chronische Krankheiten, wie beispielsweise Diabetes, aber auch Schusswunden, die nicht behandelt wurden."

Die Arbeit an Bord führe einem immer wieder vor Augen, in was für einer luxuriösen Welt wir hier eigentlich leben und wie bitter die Situation der Menschen im Mittelmeer ist: "Das ist ganz schwer zu ertragen."

"Tag des offenen Schiffes" am Samstag und Sonntag

Wer sich selbst ein Bild von der "Sea-Watch 5" und der Arbeit der Hilfsorganisation machen will, kann dies am Samstag und Sonntag machen. Am Standort an der Überseebrücke bietet "Sea-Watch" jeweils ab 12 Uhr Führungen über das Schiff an: "Wir laden jeden herzlich ein, sich über unsere Arbeit zu informieren und zu fragen, was er oder sie schon immer wissen wollte", so Weihe.

"Wir wollen, dass es diese Blase 'Was macht Sea-Watch eigentlich?' nicht mehr gibt, sondern hier vor Ort mit den Menschen reden."

Titelfoto: Madita Eggers/TAG24

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