Kritik von allen Seiten! Ex-Verfassungsschutzchef befasste sich nicht mit Lübcke-Mörder

Wiesbaden - Die Opposition kritisiert die Informationswege beim Verfassungsschutz. Hintergrund ist, dass ein früherer Behördenleiter den verurteilten Lübcke-Mörder für brandgefährlich hält, dies aber seinem Nachfolger nicht gesagt haben soll.

Der ehemalige hessische Verfassungsschutzpräsident Roland Desch (69, r.) hatte Lübcke-Mörder Stephan Ernst zum damaligen Tatzeitpunkt nicht auf dem Schirm.
Der ehemalige hessische Verfassungsschutzpräsident Roland Desch (69, r.) hatte Lübcke-Mörder Stephan Ernst zum damaligen Tatzeitpunkt nicht auf dem Schirm.  © Montage: Boris Roessler/dpa-POOL/dpa, dpa

Der frühere hessische Verfassungsschutzpräsident Roland Desch (69) hat sich während seiner Amtszeit nicht mit dem späteren Mörder von Walter Lübcke (†65) beschäftigt. "Es gab in dieser Zeit keinen Anlass hierfür", sagte der 69-Jährige am Freitag bei seiner Befragung im Landtags-Untersuchungsausschuss in Wiesbaden zur Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten.

Dass sein Amtsvorgänger Alexander Eisvogel (57) den Lübcke-Mörder Stephan Ernst im Herbst 2009 als "brandgefährlich" eingeschätzt hatte, sei ihm nicht bekannt und auch bei der Übergabe des Amtes kein Thema gewesen.

Nach seiner Auskunft war während seiner Zeit als Chef des hessischen Verfassungsschutzes von 2010 bis 2015 Ernst "unterhalb des Radars". Damals sei er zuletzt in den 1990er Jahren als gewalttätiger Rechtsextremist aufgefallen. Üblicherweise wäre seine Akte fristgemäß nach fünf Jahren gelöscht worden. Wegen der Ermittlungen zu den NSU-Morden sei die Regelung geändert worden. Die Akte sei nicht gelöscht, jedoch aus Datenschutzgründen im Frühjahr 2015 für den Dienstgebrauch gesperrt worden.

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"Doch was hätte es in Bezug auf den Mordfall geändert, wenn die Akte vorhanden gewesen wäre? Es gab doch keine neuen Erkenntnisse zu Ernst", sagte Desch.

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Der CDU-Politiker Walter Lübcke (†65) wurde im Juni 2019 erschossen.
Der CDU-Politiker Walter Lübcke (†65) wurde im Juni 2019 erschossen.  © dpa/Uwe Zucchi

Die Landtagsfraktionen von SPD und FDP kritisierten unter anderem eine mangelhafte Übergabe der Amtsgeschäfte. "Es ist ein Unding, wenn dem Chef des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz die Hauptaktivisten der extremistischen Szene nicht bekannt sind", monierte Stefan Müller (47) von der FDP-Fraktion.

Die Übergabe der Verantwortung müsse dringend verbessert und formalisiert werden. Der Sozialdemokrat Günter Rudolph (66) sprach von einer "kollektiven Ahnungslosigkeit", die damals beim hessischen Verfassungsschutz geherrscht habe. Diese sei auch das Ergebnis einer uninformierten Behördenleitung.

"Der Verfassungsschutz hat als selbsternanntes "Frühwarnsystem" komplett versagt und muss durch eine transparent arbeitende Aufklärungsstelle ersetzt werden", forderte Torsten Felstehausen (57) von den Linken.

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Im Jahr 2019 hatte Ernst den CDU-Politiker Lübcke aus rechtsextremen Motiven auf der Terrasse vor dessen Haus in Nordhessen erschossen.

Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte ihn wegen Mordes zu lebenslanger Haft, die Entscheidung ist rechtskräftig. Der Untersuchungsausschuss im Landtag wurde 2020 eingerichtet. Seine Aufgabe ist es, die Rolle der hessischen Sicherheitsbehörden in dem Mordfall und mögliche Fehler aufzuarbeiten.

Titelfoto: Montage: Boris Roessler/dpa-POOL/dpa, dpa

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