Neue Abgründe im Missbrauchsfall Lügde: Mindestens ein Polizist soll gelogen haben!
Köln – Wie konnte der jahrelange Missbrauch von mindestens 32 Kindern auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde so lange unbemerkt bleiben? Eine "stern TV"-Reportage bringt nun erschütternde Details ans Licht - es geht um Behördenversagen und einen Polizisten, der absichtlich gelogen haben soll.

2019 wurde der Haupttäter Andreas S. zu 13 Jahren Haft und sein Komplize Mario S. zu 12 Jahren Haft - beide mit anschließender Sicherheitsverwahrung - verurteilt.
Sie sollen Kinder im Alter von vier bis 14 Jahren sexuell missbraucht und dabei gefilmt haben. Taten, die erst viel zu spät ans Licht kamen, wie Martin Börschel (49, SPD), der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Lügde-Fall, "stern TV" im Interview sagt.
"Nach unseren Erkenntnissen hätte der Missbrauch etwa zwei Jahre, bevor er tatsächlich aufgeflogen ist, gestoppt werden können. Das war ein großes Behördenversagen, man muss das leider so einräumen."
So wurde auch gegen Polizisten und Jugendamtsmitarbeiter ermittelt, die die Arbeit des Untersuchungsausschusses laut Börschel erheblich behindert haben sollen.
Auf Nachfrage von Moderator Steffen Hallaschka (50) erklärt der SPD-Politiker: "Es gab etliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die aus Angst vor einer eigenen Strafverfolgung die Aussage vor dem Ausschuss verweigert haben." Doch das ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs.
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Martin Börschel mit vernichtendem Urteil im Fall Lügde: "Chaos", "Schlamperei", "wirklich schlecht"

155 Datenträger, die im Fall Lügde sichergestellt wurden und kinderpornografischen Inhalt haben sollen, lagen der Polizeiwache in Detmold vor. Inzwischen fehlt von ihnen jedoch jede Spur - sie sind verschwunden.
Ein absolutes Unding, findet Börschel, der die Ermittlungsarbeit als "Chaos", "Schlamperei" und "wirklich schlecht" verurteilt. "Es hat niemand die Verantwortung dafür übernommen, dass die CDs verschwunden sind, das ist natürlich skandalös!"
Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses schließt eine Mittäterschaft aus Polizeikreisen nicht aus. Seine nächste Aussage erschreckt: "Es ist in meinem Abschlussbericht enthalten, dass uns mindestens ein Polizist in der Ausschussvernehmung belogen hat", so Börschel.
Dieser Polizist sei aller Wahrscheinlichkeit nach auch heute noch bei der Polizei tätig ist. Ihm könnten bald aber schwerwiegende Konsequenzen drohen: "Wenn der Bericht im Landtag zur Kenntnis genommen wird, darf die Staatsanwaltschaft in Aktion treten."
Im Februar war bereits ein Zwischenbericht erschienen, der massive Fehlerketten bei Jugendämtern und der Polizei aufgezeigt hatte. Erkenntnisse, die "für uns und die Opfer nur schwer erträglich sind", wie Börschel betont.
Die "stern TV"-Folge vom gestrigen Mittwochabend gibt es ab sofort im Stream bei RTL+ zu sehen.
Titelfoto: Federico Gambarini/dpa