Back to the roots - Salat vom Dach

Deutschland - Wer erinnert sich noch an Omas Garten, in dem so ziemlich angepflanzt wurde, was allwöchentlich auf den Tellern landete. Vieles von dem, was früher selbstverständlich war, ist heute nahezu in Vergessenheit geraten, angesichts einer wachsenden Zersiedelung der Landschaft, Bepflasterungen und Betonierung von immer seltener werdenden Freiflächen gerade in Stadtnähe und Ballungszentren.
Nicht wenige unter diejenigen, die sich noch lebhaft daran erinnern, wie sich die eigenen Großeltern in ihrem eigenen Gemüse- und Obstgarten noch nahezu selbst versorgen konnten, denken oftmals mit einer Portion Wehmut und Sehnsucht an die „gute alte Zeit“ zurück.
Wie sonst ist der wachsende Unmut zu verstehen, der sich gerade in den letzten Jahren in einer unter dem neudeutschen Sammelbegriff des „Urban Gardening“ entstandenen Retro-Bewegung Luft verschafft hat und eine Bewegung formiert hat, die sich der Maxime „Back to the roots“ – zurück zu den (Gemüse-)Wurzeln gewissermaßen – verschrieben hat.
Leben in einer Nutzpflanzen-Einöde

So ist eine vom Konsumterror heutiger Tage autarke Lebensweise wieder in Mode gekommen. Möglichst viel in Eigenregie selbst anzubauen, ist gerade unter den konsumkritischeren, jüngeren Zeitgenossen wieder en vogue. Dabei sind immer mehr Leute bereit, wenigstens in Ansätzen wieder verstärkt Gemüse und Obst wie die Eltern früher auf dem eigenen Grundstück anzubauen.
Spätestens seit den 70er Jahren waren die Nutzflächen repräsentativen Rasenteppichen, großflächigen Rosenrabatten und optisch prächtigen Blumenbeeten gewichen. In den Folgejahren galt es schlichtweg als altmodisch und wenig schick, Besucher und Passanten durch Salatbeete und Blumenkohl-Reihen beeindrucken zu wollen.
Bis in die 90er Jahre hinein existierten zwei Garten-Parallelwelten für einerseits diejenigen, zunehmend älteren Bevölkerungsschichten, die auf Selbstversorgung angewiesenen waren und vieles aus ihren Nutz-, Bauern- und Schrebergärten zogen und andererseits einem auf Repräsentation ausgerichteten Großbürgertum und Oberschicht mit Villengärten und kleinen Parkanlagen.
Dazwischen galt das Thema Garten jahrzehntelang geradezu als kleinbürgerlich und spießig, wie der sich verändernde Zeitgeist in den 60er und 70er Jahren in einem Gartenforum beschrieben wird. Omas Gemüsebeete wurden nach ihrem Tod reihenweise eingestampft und durch pflegeleichten (Spiel-)Rasen ersetzt. Was Frau zur Versorgung der Familie benötigte, wurde lieber im Supermarkt um die Ecke gekauft, statt in Eigenregie angebaut.
Von einer Utopie in Konsumrealitäten
Viele im Wirtschaftswunder Deutschlands geborenen Kinder hatten noch angesichts der Mühen ihrer Eltern miterlebt, wie schwierig Selbstversorgung eigentlich ist:
- Säen und ernten im Lauf der Jahreszeiten ohne zu murren, weil vielleicht Sonntag ist, oder ein Ausflug ins Schwimmbad ansteht
- Tiere rund ums Jahr jeden Tag versorgen, egal ob Sonn- oder Feiertag
- Ställe ausmisten, Tiere töten, Tiere verarbeiten
- abhängig sein von dem Wetter und der Ernte
Wie ein weiterer Forenbeitrag auf die mit weitgehender Selbstversorgung einhergehender Entbehrungen treffend bilanziert: Eine bäuerliche Lebensform ist – abgesehen von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben heutiger Tage – für den Durchschnittsbürger in unserer schnelllebigen Leistungsgesellschaft in dem umfassenden Ausmaß nicht mehr vorstellbar.
Revival kleiner virtueller Bauernhöfe

Zugegeben: Nutzgärten sind arbeitsintensiv. Das wissen auch die Anhänger der Urban Gardening-Bewegung. Dabei geht es meist nicht mehr um die komplette Selbstversorgung, wie sie nach dem Krieg noch bis in die 70er-Jahre praktiziert wurde. Vielmehr stehen der Spaß und die Lust dahinter, etwas heranwachsen zu sehen, zu ernten und frisch zu genießen.
Auf kleinen Versuch- und Experimentierarealen wollen die vom neuen Zeitgeist infizierten „Freizeit-Bauern“ vielmehr im Kleinen etwas wieder selbst praktizieren und sich in kleinen Teilbereich konsumunabhängiger machen. Das kann dann auch ein Stall mit ein paar Hühnern oder auch ein raumsparendes, praktikables Hoch-Beet sein, das mittlerweile gerade für die Generation 50Plus wegen der bequemen Arbeitshöhe beim Gärtnern so beliebt geworden ist.
Zu wissen, was Man(n) isst, stellt die vielleicht wichtigste Triebfeder dar – und das, obwohl sich der Anbau bestimmter Gemüsepflanzen wirtschaftlich nicht unbedingt lohnt und andere effizienter anbauen können.
Und dennoch: Foren und Kurse mit Tipps und Informationen zur Haltbarmachung, zum Mosten, Käsen und Räuchern haben Konjunktur, über Generationen in Vergessenheit geratenes Wissen über Gemüse- und Obstanbau in natürlicher Fruchtfolge wird wieder aus Schubladen hervorgekramt und gelehrt.
Kommt das Gemüse nicht mehr in den Garten, kommt der Garten zum Gemüse

Sich im Kleinen ein Stückchen unabhängiger machen , und das in kleinen Schritten, liegt im Trend und hat die Urban Gardening-Bewegung motiviert. „Holt das Grün in die Stadt!“ lautet ihre Devise und ist Prämisse eines Leitgedankens und Neu-Interpretation eines traditionellen Lebensstils zugleich: des Gärtnerns.
Wie Die Zeit über den Lifestyle schreibt, wollen die neuen Gärtner mehr, als nur Rosen züchten: So haben nicht nur Berichte über illegale Pflanzaktionen in öffentlichen Bebauungs-Räumen eine breite Aufmerksamkeit erreicht. Auch durch das legale Anlegen von urwüchsigen Dachgärten, individuellen Balkonbeeten und offenen Gemeinschaftsgärten versuchen sie, aus der Platz-Not eine Tugend zu machen.
Angesichts eines explodierenden Anstiegs überbauter Stadtflächen der letzten Jahre und Jahrzehnte, werden vergessene Areale zu Lehr- und Versuchsgärten für Jung und Alt umfunktioniert – mit einem befriedigenden Ernte-Erlebnis als Lohn der Arbeit.
Not macht erfinderisch
In Ballungsräumen sind Nutzflächen für Urban Gardening-Vorhaben Mangelware. Daher haben sich gerade die Hochbeete als kleine Raumwunder für den Anbau von frischem Gemüse und aromatischen Kräutern zu einem Megatrend entwickelt, der durch gesteigerte Nachfrage nach frischer, gesunder und nachhaltig produzierter Nahrung einerseits und generellem Spaß am Mini-Farming andererseits gekennzeichnet ist. Bei meingartenversand.de finden Sie eine gut bebilderte Bauanleitung für ein Hochbeet.
Die selbsternannten Gartenpiraten sind auf ihrer Suche nach geeigneten Plätzen mitunter besonders kreativ und haben seit einigen Jahren verstärkt auch Dächer als Anbau-Standorte für Gemüsearten im Visier. Flankiert werden ihre unorthodoxen Gestaltungsideen dabei mittlerweile auch von ersten wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, welche die Forschung anhand positiver Ergebnisse von Versuchsreihen geliefert hat.
So bieten laut Angaben der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau schon heute alle auf dem Markt befindlichen Dachbegrünungssysteme die technischen Voraussetzungen für eine nachhaltige Erzeugung von Nahrungsmitteln in geschlossenen Systemen.
Extensive Dachbegrünungen stellen zwar im Hinblick auf die Nutzung von Gemüsepflanzen einen extremen Standort dar, jedoch konnten in angelegten Versuchsreihen bereits verschiedenste Gemüsearten erfolgreich kultiviert werden. So wuchsen im Frühjahr Radieschen, Kopfsalat, Schnittsalat und Kohlrabi nach Angaben des Amtes hervorragend. Im Sommer konnten sich Buschbohnen, Zucchini und Kräuter trotz widriger Standortverhältnisse durchsetzen und dabei beachtliche Ernte-Ergebnisse erzielen.
Bilder:
Abbildung 1: pixabay©Pierre Gilbert (CCO 1.0); Abbildung 1: pixabay©Erbs55 (CCO 1.0); Abbildung 1: pixabay©zebra7 (CCO 1.0); Abbildung 4: pixabay©cocoparisienne (CCO 1.0)