"Ich wollte Aufmerksamkeit": 19-Jährige erfand Entführung
Dippoldiswalde - Ausreden fürs Zuspätkommen hat ja mancher schon erfunden. Aber was Karin L.* (19, *Name geändert) erzählt hat, rief die Justiz auf den Plan.

Die angehende Krankenpflegehelferin behauptete, sie sei entführt worden! Wegen Vortäuschens einer Straftat saß Karin nun vor dem Amtsrichter in Dippoldiswalde.
Karin war im März 2017 später als verabredet zu ihrem Freund in Dresden gekommen. Die Beziehung kriselte, sie hatte sich mit einem anderen Mann getroffen. "Aber das konnte ich ihm nicht sagen", so die Frau.
Also spielte sie ihm Theater vor: Mit zerzausten Haaren, augenscheinlich verwirrt und derangierten Klamotten erklärte sie, man habe sie entführt. Der Freund fürchtete gar, sie sei vergewaltigt worden und rief die Polizei.
Auch der Kripo erzählte Karin, sie sei an der Tharandter Straße von einem Maskierten mit stahlblauen Augen niedergeschlagen und in ein Auto gezerrt worden. Später habe sie sich an den Elbwiesen mit offener Hose und offener Bluse wiedergefunden.
"Ich wollte Aufmerksamkeit", so Karin kleinlaut. "Von meinen Eltern, meinen WG-Mitbewohnern und von meinem Freund." Die bekam sie dann auch: "Das war was Schönes. Aber gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen", so die Angeklagte, die das Theater noch über drei Monate weiterspielte, ehe eine Kriminalkommissarin sie der Lüge überführte.
"Wissen Sie eigentlich, was Sie da in Gang gesetzt haben?", schimpfte der empörte Richter. "Tut mir leid", antwortete Karin.
Der Richter brummte der Jugendlichen 60 Arbeitsstunden auf. Sie muss das unnötig erstellte Gutachten der Gerichtsmedizin (500 Euro) zahlen und regelmäßig zur Beratungsstelle der Jugendhilfe.
Meine Meinung: "Nicht zu dulden"
Von Steffi Suhr
Das war ein starkes Stück. Karin L.* (19, *Name geändert) erfand einfach eine Entführung. Weil sie zu spät heimkam! Geht's noch? Völlig zu Recht wertete die Justiz das nicht als "jugendtypisches" Vergehen. Das Verfahren wurde nicht eingestellt, sondern verhandelt und es kam zu einem Urteil.
Das Vortäuschen einer Straftat ist nicht nur besonders dreist. Es zeugt auch von fehlendem Respekt: Gegenüber Rettern und Polizisten. Aber auch gegenüber den wahren Opfern.
Karin L. beschäftigte mit ihrer Aktion monatelang Fahnder, Ärzte, Gutachter. Für nichts. Als hätten als diese Leute nicht genug zu tun. Für wahre Opfer war in dem Moment keine Zeit. Und dabei geht es um Minuten, wichtig Spuren, um Täter so schnell wie möglich zu fassen.
Und das Verhalten fördert das Misstrauen von Fahndern. Sie fragen natürlich in ähnlichen Fällen nach solchen Erlebnissen um so genauer und hartnäckiger nach Einzelheiten. Was wiederum dazu führt, dass sich wahre Opfer zum zweiten Mal attackiert fühlen.
Nein. So ein Verhalten darf nicht geduldet werden. Letztlich ist das so respektlos wie Gaffen bei Unfällen, wie Bepöbeln von Sanitätern und wie die Frechheit, keine Rettungsgasse bilden zu wollen.
Titelfoto: Thomas Türpe