"Das Blaue Wunder hat mich in den Knast gebracht"
Ihr glaubt, Ihr kennt schon alle Geschichten des Dresdner Wahrzeichens? Dann lest mal diese hier...
Von Dirk Hein
Dresden - Am 15. Juli 1893 wurde die Loschwitzer Brücke feierlich eröffnet. Am Sonntag feiert das Blaue Wunder damit 125. Geburtstag.

Neben den zahllosen lustigen Histörchen, die es zur Brücke gibt, verbinden einen Dresdner und seine zwei Freunde traumatische Erlebnisse mit dem Wahrzeichen der Stadt. Die liegen 57 Jahre zurück, doch der nun 74-Jährige möchte auch heute noch nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung erscheinen. Nennen wir ihn deshalb Karl Uhlig.
Alles begann mit dem Mauerbau am 13. August 1961 durch Walter Ulbricht ("Niemand hat die Absicht..."). Vier Wochen später sollte die "Volkswahl" stattfinden - da riss den drei Jungs innerlich die Hutschnur. "Wir wussten, dass die Wahlen irregulär sein werden. Wir wollten ein Zeichen setzen", erinnert sich der 74-Jährige.
Die drei heckten einen Plan aus: In der Nacht vom 15. zum 16. September, einen Tag vor der Wahl, wollten sie auf das Blaue Wunder weithin sichtbar mit 50 Zentimeter großen Lettern "Nieder mit Ulbricht" und "Weg mit dem Staatsrat" schreiben.
Einer drei war Drogerie-Lehrling, er rührte heimlich die Farbe an. "Der Lack wäre, einmal getrocknet, nur per Sandstrahl wieder abgegangen", erinnert sich Uhlig.
Doch dann ging alles schief: Regen setzte ein, spülte fast alle noch feuchten Buchstaben ab. Panisch flüchteten die Freunde in die Dunkelheit, warfen Farbe und Pinsel noch in die Elbe.

Drei Monate später schlug die Stasi zu: Bei einer Hausdurchsuchung wurde die für einen zweiten Versuch angerührte Farbe gefunden. Alles flog auf - alle drei landeten im Stasi-Knast an der Bautzner Straße.
Dort erlebte Uhlig den nächsten Schock: "Ich wurde im Knast 18. In der Nacht zu meinem Geburtstag ging die Zelle auf. Ich dachte, ich komme raus, doch ich wurde zum stundenlangen Nachtverhör gebracht."
Am 18. April 1962 wurden alle drei wegen "staatsgefährdender Propaganda" zu Zuchthausstrafen von einem Jahr bis zwei Jahre und neun Monate verurteilt. "Für ihre äußerst gesellschaftsgefährliche und damit verwerfliche Handlung sind die Angeklagten zu bestrafen", steht im Urteil.
Im Zuchthaus saßen sie mit Mördern und Vergewaltigern ein. Uhlig: "Nach dem Urteil durfte ich zum ersten Mal seit vier Monaten meine Eltern umarmen. Die wussten bis dahin nicht, wo ich war."
Nach der Wiedervereinigung wurden alle drei rehabilitiert. Karl Uhlig engagiert sich mittlerweile als Zeitzeuge. Uhlig: "Ich bin stolz, dass ich dabei war."


Fotos: dpa/Matthias Hiekel, Ove Landgraf, Ove Landgraf, dpa/Matthias Hiekel, DPA