Wir haben Dresdens kleinstes Wohnzimmer-Restaurant

Von Katrin Koch
Dresden - Vollwertkost, kein weißes Weizenmehl, dafür Dinkel und Kamut, viel Gemüse. Kein Fleisch, kein Fisch kommt im Wohnzimmer-Restaurant „Chicoree“ auf den Tisch. Gewürzt mit einer Portion positiven Denkens - das ist sowohl Jungbrunnen als auch Erfolgsrezept für das Wirtspaar Ursula (89) und Christian Gruhl (87).
Seit 2009 beköstigt das hochbetagte Paar Gäste in seinem Wohnhaus in der Dresdner Friedhofstraße - rund 100 im Jahr.
Drei volle Gästebücher zeugen von der großen Nachfrage. Eingeschrieben haben sich Menschen, die nicht einfach nur lecker schlemmen, sondern mehr über gesunde Ernährung erfahren wollen. Darüber könnte Christian Gruhl stundenlang reden – was gegen Diabetes hilft, Krebs vorbeugt, Bluthochdruck senkt.

Aber es soll ja auch gegessen werden.
Das, was auf den Tisch kommt, sind immer diese sieben Gänge: „Selbst gebackene Dinkelbrötchen mit Tomatenbutter, Zucchinisuppe, Siebenerlei-Salat, Tomaten mit Reis, gedünsteter Fenchel mit Dip, Holundersuppe mit Grießklößchen, Haselnuss-Buchweizen-Kuchen“, macht der weißhaarige Gruhl den Mund wässrig.
Gewürzt mit Kristallsalz aus Pakistan, Agavendicksaft, Honig. „Kein tierisches Eiweiß.“
Das ist nach Ansicht des pfiffigen Ingenieurs Ursache vieler Krankheiten. Die Gruhls sind ein eingespieltes Paar: Er ist für die kalten Speisen, sie fürs Warme zuständig.
Klare Trennung auch nach Küchenschluss: „Wir feiern im August unseren 60. Hochzeitstag - an einer großen Tafel im Garten mit 40 Gästen.

Da kommen auch unsere damaligen Blumenkinder, die in Stuttgart bei unserer Hochzeit dabei waren. Heute sind das auch schon Rentner“, schmunzelt Gruhl.
Er freut sich aufs Fest, bei dem das Jubiläumspaar kulinarisch mal über die Stränge schlägt. „Es gibt 50 Liter Augustiner, Münchner Weißwürste, Schwäbische Maultaschen, Dresdner Eierschecke und Bienenstich und am Abend spanische Tapas.“
Dass die Ehe so lange hält, „hat gute Gründe“, lacht Gruhl. „Wir haben getrennte Schlafzimmer. Meine Frau schnarcht. Ich mag´s lieber warm im Zimmer, meine Frau kühl. Jeder hat einen eigenen Fernseher - so müssen wir auch nicht übers Programm streiten.“
Das Rezept funktioniert, aber nur, weil die beiden in ihrem Leben schon viel gemeinsam durchgemacht haben.

Als Gruhl der Staatsgewalt Widerstand leistete, sollte er in den Uranbergbau – da floh das Paar 1956 aus der DDR.
Vier Söhne haben sie gemeinsam groß gezogen. Erst 1998 kamen sie zurück in ihre alte Heimatstadt Dresden. Die Kinder halfen beim Ausbau des Hauses. Dass ihre rüstigen Eltern mit 80 noch ein Restaurant eröffnen wollten, kommentierten sie nur mit den Worten: „Na dann macht mal.“
Wer mit den Gruhls essen (max. 10 Personen, 45 Euro/Menü) und philosophieren will - muss vorher einen Termin vereinbaren, Tel. 4036921. Garantiert wird nicht nur der Hunger gestillt!
Wer mehr über gesunde Ernährung erfahren will: Christian Gruhl referiert am 5. Mai (19 Uhr) in der Evangelisch-Reformierten Gemeinde (Brühlscher Garten 4).
Hier noch ein Film des Online-Senders ERF über die Beiden
Fotos: Norbert Neumann