Pervitin! So gefährlich ist die Droge der Nazi-Zeit

Begeisterte deutsche Frauen begrüßen den Führer: Pervitin sollte auch gegen sexuelle Unlust helfen.
Begeisterte deutsche Frauen begrüßen den Führer: Pervitin sollte auch gegen sexuelle Unlust helfen.

Von Thomas Schmitt

Dresden - Koksen, kiffen, Kante geben - Rauschmittel passen so gar nicht in die Saubermann-Vorstellungen der Nazis. Das Ariertum auf Droge? Unvorstellbar! Aber doch nicht abwegig. Vor allem ein Wunderstoff verzückte die Nationalsozialisten: Pervitin - das Crystal Meth der NS-Zeit.

Offiziell gehen die Nazis gegen den „Verfall der Sitten“ vor, wollen „Verführungsgifte“ verbannen aus einem System, in dem allein der Führer die beherrschende Droge sein darf. So beschreibt es Norman Ohler in einem neuen Buch („Der totale Rausch - Drogen im Dritten Reich“, Kiepenheuer [&] Witsch, 19,99 Euro).

Dass das Aufputschmittel die Wehrmacht anspornen sollte, ist nicht unbekannt - dass es in weiten gesellschaftlichen Bevölkerungsschichten verbreitet war, dagegen schon eher.

Der Führer beim Besuch einer Gruppe Flieger: Kampfpiloten putschten sich mit dem Nazi-Crystal vor Einsätzen auf.
Der Führer beim Besuch einer Gruppe Flieger: Kampfpiloten putschten sich mit dem Nazi-Crystal vor Einsätzen auf.

Entwickelt wurde Pervitin in den Temmler- Werken in Berlin: Pharmakologie-Chef in der Arzneimittelfabrik war Fritz Hauschild (†65). Der gebürtige Chemnitzer war auf der Suche nach einem leistungssteigernden Mittel.

Im Herbst 1937 gelang ihm der Durchbruch:

Der Arzt und Chemiker - der laut Ohler nach dem Krieg von der Uni Leipzig aus Impulse zum DDR-Dopingprogramm gab - perfektionierte ein bereits existierendes Produkt und fand ein neues Syntheseverfahren für Metamphetamin. Das Wundermittelchen bekam den Markennamen „Pervitin“.

Es ähnelt auf gewisse Art Adrenalin, nur wirkt es sanfter und hält länger an. Pervitin unterdrückt Müdigkeit, Hungergefühl und Schmerz.

„Stukas“ (Sturzkampfflugzeuge) der Nazis: Ein Pilot gesteht, dass er mit Pervitin „immer fliegen kann“ - egal, wie besoffen er ist.
„Stukas“ (Sturzkampfflugzeuge) der Nazis: Ein Pilot gesteht, dass er mit Pervitin „immer fliegen kann“ - egal, wie besoffen er ist.

Kurzzeitig verleiht es Selbstbewusstsein, ein Gefühl der Stärke und dem Leben eine ungewohnte Geschwindigkeit - kurzum: alles Zutaten, um Soldaten das trügerische Gefühl psychischer Unbesiegbarkeit zu vermitteln.

Die Nebenwirkungen - wie Depressionen, Antriebs- und Freudlosigkeit - wurden nicht allzu sehr in den Vordergrund gerückt.

Ab 1938 wird die Volksdroge in einem riesigen Werbefeldzug vermarktet.

Ob Sekretärin, Künstler oder Arbeiter: „Pervitin wurde zum Symptom der sich entwickelnden Leistungsgesellschaft“, schreibt Ohler. Selbst eine mit Metamphetamin versetzte Pralinen- Sorte kam auf den Markt, sogenannte Hausfrauenschokolade - Slogan: „Hildebrand- Pralinen erfreuen immer“.

m Buch „Der totale Rausch“ wird den Tätern von damals direkt in ihre Blutbahnen hineingeschaut.
m Buch „Der totale Rausch“ wird den Tätern von damals direkt in ihre Blutbahnen hineingeschaut.

Der Stoff hält Einzug in praktisch alle Lebensbereiche der nationalsozialistischen Gesellschaft und soll bei jedem Wehwehchen helfen: Selbst „die Frigidität der Frauen ist einfach durch Pervitin-Tabletten zu beeinflussen“, konstatiert Werner Pieper („Nazis on Speed - Drogen im 3. Reich“).

„Die Behandlungstechnik ist denkbar einfach: täglich vier halbe Tabletten weit entfernt von den Abendstunden zehn Tage im Monat durch drei Monate hindurch. Damit sind sehr gute Ergebnisse zu erzielen, durch eine Stärkung der Libido und Sexualkraft der Frau.“

In erster Linie sollte das synthetische Zeug, das die Spitznamen „Göring-“ oder „Stuka- Pille“, „Panzerschokolade“ und „Fliegersalz“ verpasst bekam, den deutschen Soldaten - einer der bekanntesten Pervitin- Süchtigen dieser Zeit ist der spätere Literatur- Nobelpreisträger Heinrich Böll (†67) - helfen, Erschöpfungszustände zu bekämpfen.

War lange Zeit Hitlers heimliche Geliebte: Eva Braun. Ob sie sich vor dem Sex mit dem Führer mit Drogen heiß machte?
War lange Zeit Hitlers heimliche Geliebte: Eva Braun. Ob sie sich vor dem Sex mit dem Führer mit Drogen heiß machte?

Im April 1940 bestellt die Wehrmacht bei den Temmler-Werken 35 Millionen Pervitin-Pillen für Heer und Luftwaffe.

Die Zeitgeistdroge gehört zur regulären Sanitätsausrüstung.

Gerade in den Blitzkriegen gegen Polen 1939 und Frankreich 1940 sollen die deutschen Soldaten sich den Crystal-Vorgänger reingezogen haben und wie gedopt in den Krieg gezogen sein. Obwohl der Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti Pervitin im Juni 1941 dem Reichsopiumgesetz unterstellt und damit offiziell zum Betäubungsmittel erklärt hat, bleibt es an der Front im Einsatz.

Kampfpiloten, die ihre Angst mit Alkohol betäuben, putschen sich mit Pervitin auf, wie ein Oberfeldwebel im September 1943 zugibt (Quelle: Sönke Neitzel/Harald Welzer, „Soldaten“):

„Vor jedem Einsatz ist bei uns eine tolle Sauferei losgegangen. Wir mussten uns doch Mut machen. (…) Also ich kann noch so besoffen sein, fliegen kann ich immer. Höchstens, dass ich müde geworden bin. Aber dann habe ich so eine Tablette geschluckt, und dann war man so frisch und vergnügt, als ob man Sekt gesoffen hätte.“

Ober-Nazis als Drogen-Junkies

Der Mann hinter Hitler: Hermann Göring. Er blieb trotz einer Entziehungskur 1925 in Schweden sein ganzes Leben lang drogensüchtig.
Der Mann hinter Hitler: Hermann Göring. Er blieb trotz einer Entziehungskur 1925 in Schweden sein ganzes Leben lang drogensüchtig.

Hermann Göring war der Mann hinter Hitler, Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe und ab 1940 Reichsmarschall. Seine Drogensucht ist recht bekannt. Beim Hitlerputsch im November 1923 wurde er durch einen Schuss verletzt.

Aufgrund seiner Schmerzen kommt er erstmals mit Morphium in Kontakt. Von der Droge wird er nie wieder loskommen. Als er im Mai 1945 von den Alliierten festgenommen wurde, trug er einen Koffer mit 24 000 Tabletten Pervitin bei sich.

Auch der Führer soll sich die Mutpille der Nazis reingepfiffen haben.

Laut dem US-Psychiater Leonard Heston war Adolf Hitler abhängig von Pervitin. Indizien für Hitlers regelmäßigen Drogenkonsum liefern Aufzeichnungen seines Leibarztes Theodor Morell.

Hitler wurde von seinem Leibarzt mit Aufputschmittelchen versorgt.
Hitler wurde von seinem Leibarzt mit Aufputschmittelchen versorgt.

Der Mediziner kombinierte unterschiedlichste - darunter bewusstseinsverändernde - Stoffe zu Vitaminpräparaten und verabreichte sie dem Führer. Darunter sind Zutaten wie Kokain, Dolantin - ein Opioid, das in seiner Wirkung Morphin ähnelt - und eben auch Pervitin.

Das ist Pervitin

Die Droge Nr.1 im Dritten Reich: Pervitin.
Die Droge Nr.1 im Dritten Reich: Pervitin.

Der richtige Name lautet N-Methylamphetamin. Erstmals wurde die synthetische Substanz 1893 von einem japanischen Chemiker in flüssiger Form hergestellt.

In Deutschland wurde ab 1934 in Berlin an einem weiteren Verfahren zur Herstellung geforscht. Im Oktober 1937 wurde es patentiert.

Heute spricht man bei Methylamphetamin, je nach Szene und genauer Zusammensetzung, von Meth, Crystal oder einfach Speed.

Fotos: imago, PR, wikipedia