Haus seit Jahren nicht verlassen: Ließ diese Mutter ihre psychisch kranke Tochter verwahrlosen?

Görlitz - Ist Jutta G. (70) Schuld am Tod ihrer Tochter Kerstin (†40)? Die Frage muss das Landgericht Görlitz klären. Laut Anklage holte die Mutter keine Hilfe für ihr pflegebedürftiges Kind ins Haus nach Lauta, dass so im Dezember 2017 elendig zu Grunde ging.

Jutta G. vor dem Landgericht Görlitz.
Jutta G. vor dem Landgericht Görlitz.  © Peter Schulze

Bei ihrem Tod wog Kerstin nur noch 38 Kilo. Jutta G., die wegen Totschlags durch Unterlassen auf der Anklagebank sitzt, erklärte: "Ich habe das Kind weder verhungern noch verdursten lassen."

Es war ein entsetzliches Bild, dass sich Notarzt und Polizei bot: "Die Tote saß in der Küche auf einem Stuhl. Ihre Sachen waren unfassbar fadenscheinig und abgetragen. Richtige Fetzen. Sowas findet sich sonst nur in Kellern"; sagte ein Ermittler.

"Die Beine waren als solche kaum noch erkennbar", erklärte ein Sanitäter. Unter verdreckten Mullbinden und Socken, klafften riesige offene, infizierte Wunden.

"Meine Tochter wohnte eigentlich im Kinderzimmer im ersten Stock", so die Mutter.

"Erst hatte sie Probleme mit einem Bein. Wollte aber nicht zum Arzt. Dann mit beiden. Ich durfte keine Hilfe holen. Sie wurde immer gleich böse und schrie mich an. Weil sie nicht mehr in ihr Zimmer konnte, blieb sie die letzten zwei Wochen in der Küche."

Dass Lebensgefahr für Kerstin bestand, will sie nicht erkannt haben. "Sie hat mir die Beine ja nicht gezeigt."

Auf diesem Grundstück in Lauta lebte die Familie.
Auf diesem Grundstück in Lauta lebte die Familie.  © Peter Schulze

Eimer und Schüsseln zum Waschen und für die Notdurft will ihr die Mutter in die Küche gereicht haben und immer ausreichend Essen. "Erst zwei Tage vor ihrem Tod aß sie nichts mehr", so die Mutter und sagte: "Sie aß sonst immer viel Kekse und Waffeln."

Der Richter: "Im völlig verdreckten Zimmer ihrer Tochter fanden sich Kekse mit dem Verfallsdatum 2013!"

Kerstin starb schließlich am toxisch verursachtem Mulitorganversagen und Knochenmarksschwund.

Bei der Toten wurden jüngere offenbar nie behandelte Rippenbrüche festgestellt. "Sie ist als Kind mal vom Rad gefallen. Mehr weiß ich nicht", so die Mutter.

Ein Kripo-Beamter beschrieb das Grundstück als "alt und dem Verfall überlassen". Im Zimmer von Kerstin türmten sich alte Wäsche, benutztes Verbandszeug, faulende Essensreste, Staub und Spinnweben fast 40 Zentimeter hoch. "Es roch nach Verwesung", so der Beamter.

Laut Jutta litt ihre Tochter an einer Art Autismus. "Das hat mein Mann mal rausbekommen. Er wollte aber nicht, dass es alle wissen", so die Witwe, die sich so die angeblichen Wutausbrüche und Eigenheiten ihrer Tochter erklärte. "Vielleicht war ich zu gutmütig und hätte doch Hilfe holen sollen."

Nachbarn erklärten dem Ermittler, dass Jutta G. seit dem Tod ihres Mannes 2009 ein Einsiedlerleben führt. "Aber dass die Tochter dort auch noch lebte, hat niemand gewusst." Der Prozess wird fortgesetzt.

Titelfoto: Peter Schulze