Neuer Prozess um Anschlag auf Justizminister Gemkow: Hat die Polizei einseitig ermittelt?

Leipzig - Hat sich Sachsens Justiz im Fall des Anschlages auf ihren eigenen Minister Sebastian Gemkow (40, CDU) verrannt? Im Berufungsprozess, der Donnerstag am Landgericht begann, brachte die Verteidigung des 2017 zu einer Haftstrafe verurteilten Tatverdächtigen mehrere Widersprüche und mutmaßliche Ermittlungspannen zur Sprache.

Kämpfen für einen Freispruch: Thomas K.(32), eskortiert von seinen Verteidigern Curt-Matthias Engel (l.) und Mario Thomas (r.).
Kämpfen für einen Freispruch: Thomas K.(32), eskortiert von seinen Verteidigern Curt-Matthias Engel (l.) und Mario Thomas (r.).  © Ralf Seegers

"Ich bin unschuldig und habe mit der Sache nichts zu tun", brach es aus Thomas K. (32) förmlich heraus. Es war das erste Mal, dass sich der aus der rechten Hooligan-Szene von Lok Leipzig stammende und vorbestrafte Mann im Gemkow-Fall vor Gericht äußerte.

Auf die Familie des Ministers war am 24. November 2015 ein Anschlag verübt worden. Gegen 2.10 Uhr flogen erst Granitsteine, danach mit Buttersäure gefüllte Christbaumkugeln in Gemkows Wohnung, in der er sich mit Frau und den beiden kleinen Kindern aufhielt (TAG24 berichtete).

"Ich habe selber eine Tochter, und würde so etwas nicht tun", erklärte der 2,10 Meter große Hüne mit bebender Stimme. Zur Tatzeit sei er im "Babyjahr" gewesen und habe an der Seite seines Kindes geschlafen. Dass er 2017 als bislang einziger Täter - Zeugen wollen mindestens fünf Personen gesehen haben - verurteilt wurde, habe mit seinem kriminellen Vorleben zu tun, glaubt K. "Das passt halt in meine Vita - aber wie bescheuert müsste ich sein, einen Justizminister anzugreifen?"

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K.s Verurteilung vorm Amtsgericht zu zwei Jahren und vier Monaten Haft fußte damals auf einem einzigen Beweis - einer DNA-Spur an einer in der Nähe des Tatortes aufgefundenen Christbaumkugel-Verpackung aus Kunststoff. Ein als Mittäter angeklagter Mann, dessen DNA einem der Granitsteine anhaftete, wurde hingegen freigesprochen.

Warum das Gericht diese DNA-Anhaftung als "Trugspur" wertete und im Fall K. andere Maßstäbe ansetzte, ist einer der Widersprüche, die dessen Verteidigung im Berufungsprozess anführt.

Berufungsprozess um Anschlag auf Justizminister Gemkow: Fährtenhund lief nach Connewitz

Ein Foto, das kurz nach dem Anschlag aufgenommen wurde. Sebstian Gemkow steht hinter der zerstörten Fensterscheibe und betrachtet die Schäden.
Ein Foto, das kurz nach dem Anschlag aufgenommen wurde. Sebstian Gemkow steht hinter der zerstörten Fensterscheibe und betrachtet die Schäden.  © Holger Baumgärtner

Auch eigenartig: Ein Fährtenhund der Polizei nahm direkt nach dem Anschlag am Tatort eine Spur auf, die ins Herz des linksalternativen Stadtteils Connewitz führte und vor dem Haus eines polizeibekannten linken Gewalttäters endete. Und das zu einer Zeit, als Linksradikale im Internet dazu aufriefen, Polizisten und andere Repräsentanten des Staates anzugreifen, wie K.s neuer Verteidiger Curt-Matthias Engel gestern mit Verweis auf einen Bericht des Sächsischen Verfassungsschutzes erklärte. Doch dieser Ermittlungsansatz sei einfach nicht weiter verfolgt worden, kritisierte der Anwalt.

Für ungewöhnlich hält es der renommierte Strafverteidiger ebenfalls, dass die Ermittler es unterlassen hätten, nach dem Attentat auf Gemkow eine Funkzellenabfrage zu starten, um herauszufinden, welche Mobiltelefone zur Tatzeit in Tatortnähe eingeloggt waren. "Und das nach einem Anschlag auf einen Minister."

Das Amtsgericht war 2017 der Argumentation der Staatsanwaltschaft gefolgt, dass der Anschlag eigentlich den damaligen Machern des linken Mode-Labels "Mob Action" gegolten habe, deren frühere Firma sich im Nachbarhaus befand und dass die rechten Attentäter einfach die Fenster verwechselt hätten. Dem Landgericht legte die Verteidigung gestern allerdings Auszüge aus dem Handelsregister vor, wonach die vom Amtsgericht benannte Firma bereits 2012 ihre Geschäftstätigkeit eingestellt habe und 2014 aufgelöst wurde - mithin ein Jahr vor dem Anschlag.

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Das Landgericht startete gestern eine umfangreiche Beweisaufnahme, die zunächst über vier Verhandlungstage gehen soll. Ein Urteil wird nicht vor Anfang Juli erwartet.

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