Personalmangel alarmierend hoch: Sachsen gehen die Erzieher aus!

Dresden - Knapp einen Monat vor der Vergabe der Halbjahreszeugnisse steht der Lehrermangel in Sachsen wieder im Fokus der Öffentlichkeit.

"Und jetzt alle...": Damit Kinder ihr volles Potenzial entfalten, muss man sich beizeiten mit ihnen beschäftigen, statt sie nur zu verwahren (Symbolbild).
"Und jetzt alle...": Damit Kinder ihr volles Potenzial entfalten, muss man sich beizeiten mit ihnen beschäftigen, statt sie nur zu verwahren (Symbolbild).  © imago/Westend61

Können die offenen Stellen nach den Winterferien besetzt und der Unterrichtsausfall reduziert werden? Die Diskussionen sind wichtig, lenken aber auch ab von einem weiteren Bildungsnotstand. Denn auch in den Krippen, Kindertageseinrichtungen und Schulhorten herrscht ein Personalmangel an pädagogischen Fachkräften.

"Zum Ende des Schuljahres 2019/2020 werden 950 Fachkräfte in Kitas fehlen", berichtet ein Sprecher des Sächsischen Städte- und Gemeindetages (SSG). Erst im Oktober 2019 hatte der Verband seine Mitglieder zur aktuellen Personalsituation und zu künftigen Bedarfszahlen befragt.

Der Personalmangel ist demnach besonders in den ländlichen Kommunen prekär. Doch auch Großstädte wie Dresden (sucht 200 neue Erzieher) und Leipzig trifft er hart.

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So kann sich der OB der Messestadt, Burkhard Jung (61, SPD), zwar freuen, dass er im 1. Quartal 2020 endlich die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, den Bedarf an Kita-Plätzen in der Stadt zu stillen. Allein - ihm fehlt das Personal, um nun alle vorhandenen Einrichtungen auch voll auszulasten. Der Leipziger Stadtrat debattiert darum jetzt über einen Notfallplan.

Das Kultusministerium arbeitet an lang- und kurzfristigen Lösungen für das Problem. "Zusätzliche kurzfristige Personalbedarfe an den Kitas könnten durch eine höhere Stundenanzahl bei Teilzeitarbeitsverträgen aufgefangen werden. Rund 80 Prozent der sächsischen Erzieher arbeiten in Teilzeit", erklärt dazu eine Kultus-Sprecherin.

"Zudem besteht seit September 2017 die Möglichkeit, in Krippen bis zu 20 Prozent Assistenzkräfte im Personalschlüssel einzusetzen."

17.000 Erzieher fehlen in Sachsen!

Leipzigs OB Burkhard Jung (61, SPD)
Leipzigs OB Burkhard Jung (61, SPD)  © dpa/Sebastian Willnow

Angesichts der "Krisenlage" tritt die Debatte um die Qualität der Betreuung notgedrungen in den Hintergrund. Fatal! Denn Sachsen ist noch immer Schlusslicht in Deutschland beim Personalschlüssel in Kitas.

"Die aktuelle Betreuungssituation ist immer noch nicht kindgerecht und stellt zudem eine hohe Arbeitsbelastung für die Fachkräfte dar. Die Personalschlüssel haben sich zwar verbessert, sind aber noch lange nicht kindgerecht", sagt Kathrin Bock-Famulla, Bildungsexpertin der Bertelsmann Stiftung.

Die Stiftung stellt im Ländermonitoring "Frühkindliche Bildungssysteme" fest, dass in Sachsen aktuell gar rund 17.000 Erzieherinnen und Erzieher in Kindergärten und Krippen fehlen. Vor allem bei der Betreuung der Kleinsten schneidet Sachsen im Monitoring mies ab.

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Demnach betreute eine Vollzeitkraft (Stand März 2018) in einer Krippe für unter Dreijährige im Schnitt 6,2 Kinder. Zum Vergleich: 2013 waren es noch 6,6 Kinder. In den Kindergärten gab es eine deutliche Verbesserung: 2013 war eine Erzieherin rechnerisch für 13,5 Kinder zuständig. 2018 waren es 12,7 Kinder.

Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt, dass in Krippen ein Erzieher für maximal drei Kinder und in Kindergärten für 7,5 Kinder zuständig ist.

Kultusminister Christian Piwarz (44, CDU) wehrt sich gegen die Kritik. Er bemängelt an der Studie, dass sie nur auf Masse statt auf Klasse setze. Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen in Ostdeutschland und so auch in Sachsen sei deutlich höher als im Bundesdurchschnitt.

Während der Betreuungsgrad in Krippen bundesweit lediglich 33,6 Prozent betrage, liege er in Sachsen bei knapp 51 Prozent. Auch sei das Personal deutlich besser ausgebildet.

In diesem Jahr gibt der Freistaat rund 750 Millionen Euro und 2020 rund 840 Millionen Euro zur Finanzierung der Kindertageseinrichtungen aus.

Aus­bil­dung wird at­trak­ti­ver, doch zu vie­le su­chen ihre Glück noch an­ders­wo

Kultusminister Christian Piwarz (44, CDU) beim Vor-Ort-Termin.
Kultusminister Christian Piwarz (44, CDU) beim Vor-Ort-Termin.  © dpa/Sebastian Kahnert

Kultusminister Christian Piwarz (44, CDU) sieht aus jetziger Sicht frühestens 2024 den Bedarf an Erziehern leicht zurückgehen. "Wir brauchen pro Jahr rund 800 neue Erzieher, um den Generationswechsel in den Kitas zu meistern", erklärt dazu eine Kultus-Sprecherin.

Der Freistaat hofft, mit mehr Ausbildung die Personallücken schließen zu können. "Um mehr Erzieher für Sachsen zu gewinnen, haben wir 200 zusätzliche Ausbildungsplätze an den staatlichen Fachschulen geschaffen", heißt es dazu aus dem Ministerium.

Auch der Zugang zur Erzieherausbildung wurde erweitert. Ab dem Schuljahr 2020/21 werden die Azubis in der Erzieherausbildung von der Zahlung des Schulgeldes befreit.

Das Interesse am Beruf ist groß. In Sachsen gibt es gegenwärtig 13 öffentliche und 47 freie Schulen, die Erzieher ausbilden.

Jährlich schließen rund 2000 Absolventen dort erfolgreich ab, aber zu wenige von ihnen fangen in den sächsischen Kitas an. Wohin es die Absolventen nach ihrer Ausbildung zieht, soll eine große Befragung nun klären.

Die schwarz-grün-rote Regierung will außerdem die berufsbegleitende Ausbildung fördern. Aktuell prüft man, wie Umschulungen für alle Beteiligten finanziell besser dargestellt werden können.

Die Kultus-Sprecherin: "Langfristiges Ziel ist es, bis 2030 den Anteil der akademischen Fachkräfte in den Kitas deutlich zu erhöhen."

Auch ausländische Kräfte im Visier

Klar müssen die Knirpse auch mal für sich sein. Aber bitte nicht aus der Not heraus.
Klar müssen die Knirpse auch mal für sich sein. Aber bitte nicht aus der Not heraus.  © dpa/Sebastian Kahnert

In Sachsen ist es seit dem Sommer einfacher möglich, ausgebildete Pädagogen aus dem Ausland anzuwerben. Leipzig hat schon erklärt, dass es die Chance offensiv nutzen will.

Die Gemeinde Schönau-Berzdorf beschäftigt seit Kurzem bereist zwei polnische Pädagoginnen. Bürgermeister Christian Hänel (parteilos): "Wir sind glücklich, die beiden Frauen gefunden zu haben. Sie passen gut in unsere Einrichtungen."

In der Gemeinde am östlichen Rand Sachsens waren 2019 überraschend vier Erzieherinnen weggefallen. Kurzfristig Ersatz zu finden, schien aussichtslos. Also entschied man sich für zwei Osteuropäerinnen.

Eine von ihnen ist Ilona Schega (29). Sie lebt seit Jahren in Görlitz, spricht gut Deutsch und hat drei Jahre in Polen Pädagogik studiert. Mit ihrem Abschluss könnte sie in ihrem Heimatland in einer Schule oder einer Kita arbeiten. In Deutschland wird ihr Diplom aber nicht anerkannt.

Hänel: "Frau Schega wird nun neben ihrer Arbeit im Hort und in der Krippe eine spezielle Weiterbildung absolvieren, um sich zu qualifizieren." Nicht nur der Bürgermeister, sondern auch die Eltern der Kita-Knirpse freuen sich über diese Lösung.

Bei drei Familien ist die Freude gar besonders groß - sie stammen aus Polen.

Kinder wollen lernen. Aber von wem..?
Kinder wollen lernen. Aber von wem..?  © imago/Westend61

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