Von Verena Schmitt-Roschmann
Berlin - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (69) ermutigt junge Menschen, sich konkret mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen und Lehren daraus zu ziehen.
Zu fragen und zu forschen "steht ganz im Sinne der Bewusstseinsschärfung, des rechtzeitigen Widerstands gegen Unrecht, Diskriminierung, Ausgrenzung oder Verfolgung", erklärte Steinmeier in Berlin.
Dies lehre zu begreifen, "wie klein die Schritte hin zur Unmenschlichkeit sein können, wie leicht Grenzen überschritten werden, wie wenig verlässlich oft ziviler Umgang miteinander ist", fügte der Präsident hinzu.
"Es lehrt vielleicht auch, wie wichtig reflektierte, kritisch geprüfte und so auch unter Druck haltbare moralische und ethische Überzeugungen sind. Wie wichtig Solidarität im Guten ist, wie wichtig der Anstand, auf den man sich verlassen kann."
Der Bundespräsident äußerte sich in einem vorab verbreiteten Redemanuskript zum 25-jährigen Bestehen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ). Diese war im Jahr 2000 gegründet worden, um ehemalige NS-Zwangsarbeiter und andere Opfer der Verfolgung zumindest symbolisch zu entschädigen. Die deutsche Wirtschaft und der Bund verpflichteten sich jeweils zur Zahlung von fünf Milliarden D-Mark (jeweils knapp 2,6 Milliarden Euro) als Stiftungsvermögen.
Steinmeier betonte: "Es hat lange, allzu lange gedauert, bis es eine Regelung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter gab." Dies sei eine "für uns Deutsche beschämende Geschichte".
Vielen ehemaligen Zwangsarbeitern sei so erneut schweres Unrecht zugefügt worden.
NS-Staat hat Gebiete "rücksichtslos ausgeplündert" - man könne nicht von "Entschädigung" sprechen
Der NS-Staat habe nicht nur aus rassenideologischen Begründungen oder machtpolitischem Kalkül gehandelt, sondern Menschen und besetzte Gebiete auch rücksichtslos ausgeplündert. "Von diesem verbrecherischen Raubzug haben viele profitiert, der Staat ebenso wie die Industrie, wie Handwerk und landwirtschaftliche Betriebe", sagte das Staatsoberhaupt.
Angesichts des unvorstellbaren Leids könne man nicht von "Entschädigung" sprechen. "Es ging um eine endlich und öffentlich ausgesprochene Anerkennung des Leids, die sich zumindest materiell zeigt", ordnete Steinmeier ein.
Den Opfern wurden damals bis zu 15.000 Mark in Aussicht gestellt. Bis 2007 zahlte die Stiftung nach eigenen Angaben 4,4 Milliarden Euro an mehr als 1,66 Millionen Menschen aus fast 100 Ländern aus. Die Zahl, der nach Deutschland verschleppten und ausgebeuteten Zwangsarbeiter wird auf 13 Millionen geschätzt. Rechnet man auch die Zwangsarbeit in besetzten Gebieten ein, sollen 26 Millionen Menschen betroffen gewesen sein.
Inzwischen ist die Aufgabe der Stiftung vor allem Bildungsarbeit. Sie engagiert sich nach eigenen Angaben gegen Geschichtsrevisionismus, rechtsextreme Tendenzen und Diskriminierung und für Demokratie und Menschenrechte.
Dafür hat sie mit mehr als 313 Millionen Euro mehr als 6.000 Projekte gefördert.