Eltern in großer Not: Ansturm auf Kuren und lange Wartezeiten

Berlin - Die Pandemie hat viele Eltern unter Stress gesetzt. Eine Kur war trotzdem nicht drin. Jetzt ist der Druck so groß, dass das Müttergenesungswerk von einem Ansturm spricht - und von langen Wartezeiten.

Immer mehr Eltern brauchen Kuren um den eigenen Stress zu bewältigen. (Symbolbild)
Immer mehr Eltern brauchen Kuren um den eigenen Stress zu bewältigen. (Symbolbild)  © Jan Woitas/dpa

Enge Wohnungen, mehr Stress mit den Kindern und lange verdrängte Probleme: Das Müttergenesungswerk beobachtet 2022 einen Ansturm auf Kuren und Beratungen für Mütter und Väter, bei denen der Stress der Pandemie-Zeit tiefe Spuren hinterlassen hat.

Anlässlich des kommenden Muttertags (8. Mai) sprach Geschäftsführerin Yvonne Bovermann von einem hohen Ausmaß der Erschöpfung, das in den Kurkliniken deutlich werde. "Wir merken seit Jahresbeginn und bis heute, dass der Ansturm auf die Beratungsstellen und auf die Klinikplätze enorm ist", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

"Wir haben letztes und vorletztes Jahr wegen der Pandemie stark verringerte Zahlen gehabt", berichtete sie. Das Müttergenesungswerk stellt im Normalfall rund 50.000 Kurplätze pro Jahr bereit.

So viele Kita-Plätze fehlen Deutschland!
Familienpolitik So viele Kita-Plätze fehlen Deutschland!

Nun höre sie von den Expertinnen vor Ort, dass die Zahlen jetzt über denen von 2019/20 - also vor Corona - lägen, sagte Bovermann. "Berichtet wird über eine Zunahme von 30 Prozent, und damit über das hinaus, was rein durch Corona verringert wurde."

Viele Eltern hätten trotz des Drucks etwa durch Homeoffice, Corona-Ausgangsbeschränkungen und Schulausfälle aus Vorsicht und wegen der Reise-Risiken mit ihren Kuranträgen gewartet. Deshalb gebe es einen Nachholbedarf. Doch das alleine erkläre den Ansturm nicht. "Wir merken auch, dass die Not größer ist."

Zum Teil müssen Eltern ein Jahr auf Kurplätze warten

Yvonne Bovermann, Geschäftsführerin vom Müttergenesungswerk, fordert bessere Unterstützung und mehr Verständnis für Eltern-Stress.
Yvonne Bovermann, Geschäftsführerin vom Müttergenesungswerk, fordert bessere Unterstützung und mehr Verständnis für Eltern-Stress.  © --/Müttergenesungswerk/dpa

Die Kurkliniken seien demnach stark ausgebucht. Das zeige sich auch daran, dass die Krankenkassen früher von drei Monaten Zeit zwischen Bewilligung der Kur und dem Start ausgingen.

Dann sei das in Corona-Zeiten auf sechs Monate verlängert worden. "Jetzt geht es teilweise auf ein Jahr, bis die Menschen die Kur antreten können." Das sei "absurd", urteilte Bovermann.

"Denn eine stationäre Vorsorge oder eine Reha-Behandlung soll ja schwerere Krankheiten verhindern oder das Fortbestehen der schweren Beschwerden. Wenn ich ein Jahr auf den Kurplatz warten soll, ist das ganz schwierig."

Steigende Armut in Deutschland, doch Lindner sieht kaum Spielraum für Kinder-Grundsicherung
Familienpolitik Steigende Armut in Deutschland, doch Lindner sieht kaum Spielraum für Kinder-Grundsicherung

In den Beratungsstellen sagten die Expertinnen, dass Frauen - und zunehmend Männer, die Rat suchen - "mehr und länger sprechen müssen, über das, was sie belastet. Sie brauchten viel mehr Zeit pro Person. Und aus den Kliniken wird genau das Gleiche berichtet. Dort heißt es, dass das Ausmaß der Erschöpfung deutlich höher ist."

Auch das Ausmaß der seelisch-körperlichen Krankheiten sei höher.

Bis der Kurplatz frei ist, sind manchen schon zu krank

Schon vor der Pandemie gab es nicht genug Kurplätze für gestresste Eltern. (Symbolbild)
Schon vor der Pandemie gab es nicht genug Kurplätze für gestresste Eltern. (Symbolbild)  © 123RF/bialasiewicz

"Die Frauen sind so fertig, die brauchen zwei, drei Tage, bevor es überhaupt losgehen kann", sagte die Geschäftsführerin der Mütter-Stiftung.

"Und die Kinder benötigen nach den Berichten der Experten ebenfalls länger, sind unruhiger, gehen zum Teil über Tische und Bänke."

Einige Frauen müssten sogar nach kurzer Zeit wieder heim geschickt werden, weil ihre Krankheitsbilder zu ausgeprägt seien. Sie bräuchten eine andere, stationäre Behandlung.

Eine Studie habe schon kurz vor der Pandemie gezeigt, dass der Kurbedarf bei Eltern viel höher sei als die Platzzahl.

Der Bedarf alleine für Mütter könnte danach hochgerechnet bei 2,7 Millionen Frauen liegen. Das bedeute für die aktuelle Lage in den Familien: "Die Menschen müssen es im Alltag schaffen, sich wieder Kraft zu holen und sich zu regenerieren."

Sie forderte eine gemeinsame Anstrengung des Familienministeriums und des Gesundheitsministeriums, um die Rahmenbedingungen für Eltern zu verbessern.

Müttergenesungswerk fordert, dass Elternstress vom Bund untersucht wird

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (53, Grüne) will Familien, besonders Alleinerziehende, besser unterstützen.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (53, Grüne) will Familien, besonders Alleinerziehende, besser unterstützen.  © David Young/dpa

Dass in Deutschland Mütter durch die Pandemie stärker als in vielen anderen Ländern psychosomatisch belastet seien, habe mit den äußeren Bedingungen zu tun.

"Es sollte eine Analyse durch das Familienministerium veranlasst werden, um herauszufinden, warum wir schlechter als andere Länder abschneiden. Und warum braucht es so viele Kuren für die Eltern?"

Die neue Bundesfamilienministerin Lisa Paus (53, Grüne) verspricht Entlastung - und hat dabei eine Gruppe ganz besonders im Blick: die der Alleinerziehenden.

Vor allem Mütter stünden hier "unter besonders starkem Druck" und müssten bei den anstehenden Verbesserungen für Familien mit Kindern mitgedacht werden, sagte Paus am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.

Helfen wolle ihr Ministerium etwa durch Steuergutschriften und den Ausbau der Kindertagesbetreuung. Ob das die Überlastung langfristig ausgleichen kann, wird sich noch zeigen. Paus ist erst seit knapp zwei Wochen im Amt.

Das Deutsche Müttergenesungswerk kann schon auf einige Jahrzehnte zurückblicken. Die Stiftung setzt sich seit mehr als 70 Jahren für die Gesundheit von Müttern ein - und inzwischen auch für die von Vätern. Im Verbund des Müttergenesungswerks werden stationäre Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen sowie Beratung angeboten.

Titelfoto: Jan Woitas/dpa

Mehr zum Thema Familienpolitik: