Immer mehr Stellen sind unbesetzt: Ist das Problem nur durch Zuwanderung zu lösen?
Berlin/Dresden - Torsten Herbst (48) ist einer der wichtigsten Männer der FDP. Mit TAG24 sprach der Dresdner darüber, wie er und seine Partei den Fachkräftemangel in Deutschland lösen will. Braucht es mehr Zuwanderung, auch künftig noch jede Stelle besetzen zu können - und wenn ja, was für Ausländer sollen in unser Land kommen?

TAG24: Löst Zuwanderung den Personalmangel?
Torsten Herbst: Zuwanderung wird nicht das gesamte Problem lösen, aber es ist ein Baustein davon, ja. Wir suchen in der Gaststätte, am Lenkrad bis zum IT-Experten händeringend Leute. Das zeigt auch die Lohnentwicklung, weil man heute auch deutlich mehr zahlen muss, um Leute überhaupt zu bekommen.
TAG24: Auf Ihrer Webseite steht: "Bei Einwanderern suchen wir uns aus, wer zu uns kommt." Wie ist das denn zu verstehen?
Herbst: Wir müssen eine Win-win-Situation schaffen. Diejenigen, die ihre Lebensperspektiven in Deutschland suchen und die hier arbeiten möchten, die sind willkommen und denen müssen wir Brücken bauen. Aber es kann nicht jeder einfach kommen, der sich im Sozialsystem niederlassen will. Natürlich wollen wir auch unseren humanitären Verpflichtungen gerecht werden, aber dabei sollten wir entscheiden, wie viele Personen wir aufnehmen.
TAG24: Kann man sich das angesichts der Klima-, Krieg, und Wirtschaftskrisen auf der Erde überhaupt heraussuchen?
Herbst: Wir müssen es! Ein Wohlfahrtsstaat, der ein hohes Niveau an Sozialleistungen hat, kann nicht sagen, dass jeder kommen und die Leistungen in Anspruch nehmen kann. Wir haben 2015 gesehen, dass unsere gesellschaftliche Integrationsbereitschaft kurz davor war, komplett zu kippen. Wir wollen ein Land sein, das integrationsfähig ist und Aufnahme managen kann.
Herbst: "Integration muss zum gegenseitigen Erfolg werden"

TAG24: Wie kann das gelingen?
Herbst: Klassische Einwanderungsländer wie Kanada oder die USA machen es vor: Sie nehmen Leute bewusst nach bestimmten Quoten auf, beispielsweise nach Qualifikation, Sprachkenntnissen oder auch kulturellem Hintergrund. Wir sehen jetzt an den Ukrainern, dass es vergleichsweise wenige Integrationsprobleme gibt. Integration muss zum gegenseitigen Erfolg werden: Für die, die kommen und dem Land, das sie aufnimmt.
TAG24: Das klingt nach "Deutschland den Deutschen und den brauchbaren Ausländern".
Herbst: Wir müssen natürlich auch unsere humanitären Verpflichtungen erfüllen. Dabei sollten wir direkt in den Flüchtlingslagern schauen, ob wir von dort Menschen direkt aufnehmen, damit sie sich nicht in die Hände von Schleppern begeben müssen. Es ist falsch daraufzusetzen, dass kriminelle Schlepper bestimmen, wer in unser Land kommt. Wir sollten direkt mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk zusammenarbeiten, um humanitäre Kontingente zu übernehmen oder vor Ort medizinische Unterstützung zu leisten.
TAG24: Wie vermitteln wir denn den Leuten, dass Länder wie Deutschland auf Zuwanderung angewiesen sind?
Herbst: Wenn wir am Ende keinen Busfahrer mehr haben und der Bus stehen bleibt, und die einzige Alternative ist der Mensch, der zu uns zuwandert und genau diesen Bus fahren will, dann habe ich doch lieber den zugewanderten im Bus vorn sitzen als gar kein Bus mehr zu fahren. Das gilt für nahezu alle Bereiche und muss zu der Einsicht führen: Zuwanderung ergibt Sinn, wenn jene, die hier herkommen, auch arbeiten wollen.
TAG24: Damit müssten wir uns aber auch von der viel beschworenen "historischen Verantwortung" verabschieden…
Herbst: Wir haben eine globale Verantwortung, und nehmen diese auch wahr. Als Land investieren wir sehr viel Geld in die Entwicklungshilfe und sind in vielen Teilen der Welt aktiv. Wir gehören zu den verantwortungsbewusstesten Nationen auf dem Globus.
Wir können aber auch nicht aufgrund unserer Geschichte einfach jede Person aufnehmen, die zu uns kommen möchten.
Titelfoto: Sebastian Willnow/dpa