Das sagt die Bundeswehr über ein mögliches Comeback der Wehrpflicht
Berlin - Die letzten sieben Tage Ukraine-Krieg haben so einiges in unserem Land verändert. Nicht nur der Umgang mit Russland, der russischen Kultur, Wirtschaft und Sportlern steht täglich neu auf dem Prüfstand, einige kramen sogar die längst abgeschaffte Wehrpflicht wieder aus der Schublade raus. Das sagt die Bundeswehr selbst dazu.
Ausgerechnet die ist in Person von Generalinspekteur Eberhard Zorn (62) gar nicht so begeistert. "Die Wehrpflicht, so, wie wir sie noch kennen, ist in der jetzigen Situation nicht erforderlich", sagte er den Funke-Zeitungen.
Die Aufgabe der Truppen hätte sich verändert. "Für den Kampf im Cyberraum, um nur ein Beispiel zu nennen, sind Wehrpflichtige absolut ungeeignet." Und weiter: "Wir brauchen gut ausgebildetes, in Teilen sogar hochspezialisiertes Personal, um das gesamte Aufgabenspektrum abzudecken."
Weiter wies Zorn darauf hin, dass eine Entscheidung von solch einer Tragweite nicht auf die Schnelle getroffen werden könne, sondern es vorher eine gesellschaftliche Debatte geben müsse, "die deutlich über das Wehrressort hinausgeht".
Auch aus Reihen der größten Regierungspartei SPD kommen ablehnende Worte. "Die Dienstpflicht - darüber haben wir lange genug diskutiert, damit ist Schluss", so Parteichefin Saskia Esken (60) zu RTL/ntv. Diese würde weder den Zustand der Bundeswehr verbessern noch im Konflikt mit Russland helfen.
Ähnlich sieht es SPD-General Kevin Kühnert (32), ebenfalls im Funke-Gespräch: "Eine Reaktivierung der Wehrpflicht leistet keinen Beitrag zum Abbau aktueller Bedrohungen und lenkt von dringlichen Problemen ab. [...] Die Debatte ist mehrfach ausgiebig geführt worden und sie ist entschieden."
Die Wehrpflicht wurde 2011 unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (50, CSU) ausgesetzt.
Kommentar von TAG24-Reporter Erik Töpfer: (D)ein Jahr für Deutschland
"Deutschland hat sich kaputtgespart." Wenn ich jedes Mal einen Euro bekommen hätte, wenn ich diesen Satz gehört habe… Ich hätte das Land im Alleingang entschuldet. Aber in der Tat waren die letzten großen Krisen stets mit dem Finanzministerium verbunden.
Bei den Geflüchteten bräuchte es eine gesamteuropäische Lösung, bei den Pflegekräften griff man lieber zum kostenlosen Klatschen, von den griechischen Euro-Sorgen will man gar nicht erst anfangen. Doch plötzlich zaubert der Bundeskanzler (vorher Finanzminister!) 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Hut. 100.000.000.000 Euro. Mit Aussicht auf noch mehr.
Aber das alles reicht noch nicht, denn "Soldaten braucht das Land"! Und die sollen endlich wieder aus der Zivilbevölkerung kommen: Die Wehrpflichtdebatte ist zurück. Wahlweise, wenn die hohen Militärs alle ihre wund marschierten Hühneraugen zukneifen, eine Dienstpflicht. Hauptsache irgendwas mit Blaulicht und Sirene.
Das freut auch die deutschen Staatskassenverwalter, denn die festangestellten, teuren, 37-Stunden-Wochen schiebenden Soldaten "auf Zeit" bekämen eine kostengünstige, stets wechselnde und damit nie ausgebrannte Vollzeitkraft zur Seite, die sich auch noch um die ganzen lästigen Sachen kümmern kann.
Dieses reaktionäre "von der Wand bis zur Tapete"-Denken wähnte ich überwunden. Denn: Was für den Kadetten gilt, gilt für jede Pflegekraft. Jeder Ehrenamtliche freut sich über zwei zusätzliche Hände im Erstaufnahme-Lager, jeder Kindergärtner über eine Kaffeepause. Jede Krankenstationsleitung, jeder Altenpflegeverband... Sogar die Jungs von der städtischen Müllabfuhr dürften in Tränen ausbrechen, sollten die weiten Flügeltüren ihrer Arbeitsstätte aufspringen und agile Teenies hereinströmen, bereit dazu, Verantwortung zu übernehmen.
Der Fachkräftemangel, die "Ich weiß nicht, was ich werden soll"-Generation, Landflucht, Spaltung, Pflegeboni und so weiter. Das alles könnte gleichzeitig bekämpft werden, wenn wir endlich damit aufhören, auf Sicht zu fahren. Ja, es ist Krieg in Europa. Aber in Deutschland brennt's schon lange. Und 100 Milliarden Liter Wasser löschen viel - wenn man sie richtig verteilt.
Titelfoto: Sina Schuldt/dpa