Merkel zu Besuch: "Keiner hat das Recht, die Türkei zu belehren"

Gaziantep - Die Flüchtlingskrise hat Deutschland und die Türkei nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel zusammenrücken lassen - Differenzen über die Pressefreiheit würden aber weiter ausgetragen.
Wenn es kritische Fälle gebe, "dann wird das angesprochen, dann wird das auf den Tisch gelegt", betonte Merkel am Samstag zum Abschluss eines Kurzbesuches im südosttürkischen Gaziantep nahe der syrischen Grenze. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte, wenn die Türkei als Teil der europäischen Familie gesehen werde, könne über alles geredet werden. Das betreffe auch die Pressefreiheit. Für ihn selber sei Pressefreiheit "einer der wichtigsten Punkte".
Zuvor hatten beide gemeinsam mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans ein Camp syrischer Flüchtlinge besucht. Merkel sagte: "Was wichtig war, es einfach mal zu erleben, was die Menschen aus ihrem praktischen Leben erzählen." Sie pochte auf umfassende Schulbildung von Flüchtlingskindern. Die EU müsse sich so engagieren, das alle Kinder zur Schule gehen könnten. Sie mahnte: "Es ist absolut wichtig, dass die EU ihrer Verantwortung gerecht wird." Und sie betonte: "Deutschland tut das gerne."

Davutoglu sagte, fünf Wochen nach dem Flüchtlingspakt mit der EU zeige das Abkommen eine deutliche Wirkung. Im November hätten noch 6000 Flüchtlinge täglich die Ägäis auf dem Weg in die EU überquert. Diese Zahl sei inzwischen auf 130 gesunken. Ziel sei, dass in der Ägäis "keine weiteren Kinder sterben". Die Türkei, Deutschland und die EU müssten die Flüchtlingskrise gemeinsam angehen. "Es ist nicht möglich, dass die Türkei oder die EU das alleine bewältigen kann."
Davutoglu sagte weiter, Merkel habe durch ihre Führung in Europa viel erreicht. In Deutschland sei sie heftig kritisiert worden. Auch an seiner Regierung habe es Kritik gegeben. Er meinte jedoch, die Bewältigung der Flüchtlingskrise werde einmal "in goldenen Buchstaben" in die Geschichtsbücher eingehen.
Er wies Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International zurück, wonach die Türkei Syrer ins Kriegsgebiet abschiebe. "Ich will hier betonen, dass keine einzige Person gegen ihren Willen nach Syrien zurückgeschickt worden ist. Das machen wir nicht." Die Türkei habe ihre Aufgaben erfüllt.
Er gehe nun davon aus, dass die EU die nötigen Schritte für die Aufhebung der Visumpflicht für Türken unternehme. "Das ist für die Türkei essenziell."

Ratspräsident Donald Tusk sagte: "Die Türkei ist heute das beste Beispiel in der Welt dafür, wie wir mit Flüchtlingen umgehen sollten. Keiner hat das Recht, die Türkei zu belehren."
Zur Pressefreiheit erklärte Merkel, sie wisse um die Sorge von Bürgern, dass Freiheitsrechte kein Thema mehr seien, "weil Deutschland in eine bestimmte Abhängigkeit der Türkei" geraten sei. Sie betone aber immer wieder, dass Werte wie Meinungs- und Pressefreiheit für sie unverzichtbar seien. Man sei nicht immer einer Meinung. Das sei sie aber auch mit Staats- und Regierungschefs der EU nicht immer. Der EU-Türkei-Pakt beruhe außerdem auch auf Gegenseitigkeit. Auch die Türkei habe Interessen in der Beziehung zur EU. Wenn es um Fälle der Pressefreiheit gehe, werde das angesprochen. Am Samstag sei so über den ARD-Korrespondenten Volker Schwenck gesprochen worden. Die Türkei hatte ihm die Einreise verweigert.
Davutoglu sagte, Schwenck habe "keinen Antrag auf journalistische Tätigkeit" vor seiner Einreise gestellt. Würde er einen solchen Antrag stellen, würde das positiv geprüft.
Offenbar mit Blick auf die Affäre um ein vulgäres Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann über Staatschef Recep Tayyip Erdogan betonte Davutoglu, man habe auch über Beleidigungen gesprochen. "Die Pressefreiheit kann nur zusammen mit der Menschenwürde agieren." Merkel hatte es kurz vor ihrem Türkei-Besuch als eigenen Fehler eingeräumt, dass sie Böhmermanns Text früh als "bewusst verletzend" bewertet habe.
Dadurch sei der Eindruck entstanden, sie verteidige die Meinungs- und Pressefreiheit nicht mehr so wie früher. Das sei aber nicht der Fall.