Hessen: Preissteigerungen gefährden soziale Einrichtungen in ihrer Existenz

Kassel/Frankfurt am Main - Die infolge der massiven Teuerungen explodierenden Kosten stellen soziale Einrichtungen in Hessen vor existenzielle Probleme. Sie warnen vor einem Systemkollaps und fordern schnelle Hilfe.

Eine Tiger-Ente mit Mütze, Symbol der Tagesaufenthaltsstätte Panama, steht auf einem Tisch der Sozialen Hilfe e. V. Kassel. Der Verein berät und betreut wohnungslose, hilfebedürftige, und sozial benachteiligte Menschen.
Eine Tiger-Ente mit Mütze, Symbol der Tagesaufenthaltsstätte Panama, steht auf einem Tisch der Sozialen Hilfe e. V. Kassel. Der Verein berät und betreut wohnungslose, hilfebedürftige, und sozial benachteiligte Menschen.  © Uwe Zucchi/dpa

Eine warme Stube, eine günstige Mahlzeit, Zugang zu Sanitäranlagen - Obdachlose, die in die Tagesaufenthaltsstätte Panama in Kassel kommen, werden dort mit dem Notwendigsten versorgt.

Das Angebot des Vereins Soziale Hilfe Kassel finanziert sich überwiegend durch Spenden. Die Zuwendungen sind in Zeiten steigender Energie- und Lebensmittelkosten notwendiger, zugleich jedoch knapper denn je. "Langjährige Spender können uns angesichts ihrer eigenen finanziellen Situation nicht länger unterstützen", berichtet die Fundraiserin und Sprecherin des Vereins, Anja Krätke.

Auch Essensspenden etwa aus den Kantinen umliegender Unternehmen nähmen ab. "Das bringt uns an unsere Kapazitätsgrenzen", sagt Krätke. Finanziert werden müssen auch die Notschlafstellen, mit denen der Verein Wohnungslosen im Winter eine schützende Bleibe bietet.

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"Mir graut schon vor den Energiekosten", sagt Panama-Leiterin Amrei Tripp.

Hessisches Sozialministerium verweist auf Landeshilfsprogramm

Günstige Mahlzeiten sind für obdachlose Menschen ein äußerst wichtiges Angebot.
Günstige Mahlzeiten sind für obdachlose Menschen ein äußerst wichtiges Angebot.  © Oliver Berg/dpa

Wie der Sozialen Hilfe Kassel geht es einem Großteil der gemeinnützigen sozialen Einrichtungen und Dienste in Hessen. Einer Umfrage des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zufolge sehen sich 89 Prozent der befragten 209 Organisationen im Bundesland vor dem Hintergrund der Kostenexplosion in ihrer Existenz gefährdet.

42 Prozent von ihnen geben an, dass sie es ohne Hilfe maximal ein Jahr schaffen, ihre Angebote weiterzuführen. "Die Situation ist sehr beunruhigend und wird sich noch verschärfen", sagt Landesgeschäftsführerin Yasmin Alinaghi. Sie warnt vor einer Insolvenzwelle.

Der Paritätische fordert deshalb einen umfassenden Schutzschirm für soziale Einrichtungen und Dienste. Der Verband geht davon aus, dass bundesweit ein zweistelliger Milliardenbetrag notwendig ist - allein in Hessen grob geschätzt ein einstelliger Milliardenbetrag. Bund, Länder und Kommunen müssten schnellstmöglich unbürokratisch verlässliche und finanziell auskömmliche Absicherung schaffen.

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Das hessische Sozialministerium verweist auf die Einigung der Landtagsfraktionen von CDU, Grüne, SPD und FDP auf Eckpunkte für ein 200 Millionen Euro schweres Landeshilfsprogramm.

"Die Unterstützung für soziale Einrichtungen ist ein Teil dieses Landesprogramms - folglich ist aber auch nur ein Teil des Gesamtvolumens von insgesamt 200 Millionen Euro dafür vorgesehen", teilt ein Sprecher mit.

"Wir stehen vor der Gefahr eines Kollapes des Systems"

Eine Pflegerin hält die Hand einer Frau - es steht die Warnung vor einem Kollaps der Alten- und Behindertenhilfe im Raum.
Eine Pflegerin hält die Hand einer Frau - es steht die Warnung vor einem Kollaps der Alten- und Behindertenhilfe im Raum.  © picture alliance / dpa

Das sei zwar ein Hoffnungsschimmer, sagt der Vorstandsvorsitzende beim Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe, Frédéric Lauscher. "Die Erfahrung zeigt aber, dass man erst abwarten muss, was am Ende wirklich ankommt."

Lauscher berichtet von multiplen Problemlagen in der Pflege. "Wir haben eine extreme Belastung und Erschöpfung der Mitarbeitenden auf allen Ebenen durch die Coronavirus-Pandemie, hohe Fehlzeiten sowie einen Mangel an Arbeitskräften." Die Kostensteigerungen könnten das Fass zum Überlaufen bringen. "Wir stehen vor der Gefahr eines Kollapses des Systems", warnt er.

"Wenn es keine schnelle Hilfe gibt, sehe ich besonders für Einrichtungen schwarz, die nicht über eine Regelversorgung verfügen, sondern allein von Zuschüssen leben." Es drohten ein eingeschränktes Angebot und die Unterversorgung pflegebedürftiger Menschen. "Das würde brutale Einschnitte bedeuten, die sich unsere Gesellschaft eigentlich nicht leisten kann", betont Lauscher.

Schnelle Hilfe fordert auch Matz Mattern, Landesgeschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Hessen. "Steigende Energie- und Lebensmittelkosten wirken sich auf alle unsere Leistungsbereiche hier in Hessen aus, egal ob Pflege, Rettungsdienst, Kindergarten oder weitere soziale Dienste", sagt er. Sie träfen soziale Organisationen wie den ASB mit voller Wucht.

Die Preissteigerungen an die Kunden weiterzugeben, sei äußerst schwierig. In der Pflege etwa könne das bei gleichzeitig nicht stattfindender Leistungsanpassung der Pflegeversicherung dazu führen, dass weniger Leistungen als tatsächlich benötigt in Anspruch genommen würden.

Die Problematik trete vor allem bei den ohnehin ärmeren Kunden auf. "Es handelt sich um eine Verschärfung sozialer Ungleichheit", so Mattern.

Titelfoto: Uwe Zucchi/dpa

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