Alle reden über Schüler und Eltern, aber: So belastet sind unsere Lehrer

Dresden - Das Kreuz mit dem Home-Schooling: Eine Lernplattform mit Tücken, Schüler ohne Sozialkontakte, überforderte Eltern. Lehrer spielen in der öffentlichen Wahrnehmung eher die zweite Geige. Gerade sie sind nicht selten einer Mehrfachbelastung ausgesetzt.

Videokamera ins Klassenzimmer stellen, das Ganze zu den Schülern nach Hause übertragen, fertig ist das Home-Schooling? Denkste! "Das würde das Netz komplett überlasten", sagt Gymnasiallehrerin Ria Schuster (35). Abgesehen davon: "Unser Informatik-Lehrer ist gerade dabei, überall W-LAN zu installieren."
Videokamera ins Klassenzimmer stellen, das Ganze zu den Schülern nach Hause übertragen, fertig ist das Home-Schooling? Denkste! "Das würde das Netz komplett überlasten", sagt Gymnasiallehrerin Ria Schuster (35). Abgesehen davon: "Unser Informatik-Lehrer ist gerade dabei, überall W-LAN zu installieren."  © Holm Helis

Es ist kurz vor 7.30 Uhr. Noch ein paar Minuten, dann beginnen die Videokonferenzen mit den Schülern zu Hause.

"Später ist das Netz überlastet", sagt Ria Schuster (35). Sie gibt Englisch und Deutsch am Bertold-Brecht-Gymnasium in Dresden.

"Was habt ihr am Wochenende gemacht?", fragt sie auf Englisch, während ihre eigenen Kinder im Hintergrund durchs Bild laufen.

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"Das finden meine Schüler eigentlich ganz lustig", erzählt die Gymnasiallehrerin. Die drei Mädchen sind vier, sechs und acht Jahre alt. Die Große hat ihren Schreibtisch im Arbeitszimmer der Mutter. Wenn Not an der Frau ist, kommt die Oma aushelfen. Ria Schusters Mann arbeitet häufig ebenfalls im Home-Office und nutzt dazu einen separaten Raum.

In der Fünften gibt sie Englisch, für die Zwölfter - sie sind seit Mitte Januar wieder zurück in der Schule - einen Deutsch-Leistungskurs, für die Siebener ist sie Klassenlehrerin, 22 Wochenstunden insgesamt.

Am Wochenende bereitet sie die Aufgaben für die nächste Woche vor. Ein Tag gehört ganz der Familie. Ria Schuster will nicht klagen. Die Arbeit sei nicht unbedingt mehr geworden durch den Spagat zwischen Home-Schooling und Präsenzunterricht, aber anders.

Das Dresdner Bertold-Brecht-Gymnasium: Die Abschlussklassen sind wieder zurück, die anderen Schüler noch zu Hause - ein Spagat für die Lehrer.
Das Dresdner Bertold-Brecht-Gymnasium: Die Abschlussklassen sind wieder zurück, die anderen Schüler noch zu Hause - ein Spagat für die Lehrer.  © Holm Helis

Viele Lehrer leben mit Anspannung

GEW-Vorsitzende Uschi Kruse (63) und Rektor des Bertold-Brecht-Gymnasiums Marcello Meschke (60).
GEW-Vorsitzende Uschi Kruse (63) und Rektor des Bertold-Brecht-Gymnasiums Marcello Meschke (60).  © Montage: Thomas Türpe, Holm Helis

"Präsenzunterricht ist auf alle Fälle weniger aufwendig", sagt der Rektor des Bertold-Brecht-Gymnasiums, Marcello Meschke (60). "Die Belastung für Lehrer ist ganz unterschiedlich und reicht von überschaubar bis unmenschlich."

Besonders gefordert seien alle mit kleinen Kindern. Für sie habe es bis Weihnachten nicht einmal eine Notbetreuung in der Kita gegeben.

"Die Masse der rund 30.000 Lehrer in Sachsen lebt momentan in großer Anspannung", weiß Uschi Kruse (63) von der Bildungsgewerkschaft GEW. Deshalb sei verwunderlich, dass der Krankenstand immer noch vergleichsweise niedrig sei.

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Die Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer steht auf dem Spiel. "Wir haben das Kultusministerium auf seine Fürsorgepflicht hingewiesen." Uschi Kruse seufzt. Damit ist sie mit Sicherheit nicht die Einzige.

SPD-Juristen fordern Rechtsgrundlage

Schluss mit "Augen zu und durch!": Für die Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Juristinnen und Juristen (ASJ) in Ostsachsen bleiben beim Home-Schooling zu viele Schüler auf der Strecke.

"Wir fordern nach eingehender Diskussion mit Betroffenen eine vernünftige Rechtsgrundlage für den Fernunterricht jenseits des infektiologischen Notstandsrechts", sagt der Vorsitzende der ASJ-Ostsachsen, Andreas Ueberbach.

Ziel sei die Änderung des sächsischen Schulgesetzes. Erreichen will die ASJ das mit einem Gesetzentwurf. Inhalt: eine Pflicht zur Durchführung des Fernunterrichts, Mindeststandards bei der Unterrichtsqualität, Lernstandserhebungen nach Ende des Home-Schoolings, digitale Fortbildungen für Lehrer.

"Wir sind überzeugt, dass unser Vorschlag die Diskussionen um verbindliche Konzepte des Fernunterrichts und die Digitalisierung der Schulen in gehörigem Maß voranbringen wird", meint Ueberbach.

Titelfoto: Holm Helis

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