Landtagspräsident Matthias Rößler über die Sachsen: "Sie wollen frei wählen - aber auch abwählen"
Dresden - Ohne Friedliche Revolutionäre wie ihn könnten wir nicht den Tag der Deutschen Einheit feiern: Sachsens Landtagspräsident Matthias Rößler (67, CDU).
Er führte in den 1980ern ein ruhiges Forscher-Leben in Dresden, bis er sich dem "Demokratischen Aufbruch" anschloss.
1990 trat er der CDU bei, zog als Abgeordneter im Landtag ein, seit 2009 leitet er ihn.
Im Gespräch mit TAG24 erzählt er vom langen Weg zur Einheit - und von den Hürden, die es bis heute gibt.
Rößler: Wir wollten leben wie im Westen
TAG24: Herr Rößler, was haben Sie am berühmten 9. Oktober 1989 gemacht, als in Leipzig die Staatsmacht vor den Demonstranten kapitulierte?
Matthias Rößler: Ich stand angespannt bei der Versammlung in der Dresdner Kathedrale. Wir waren voller Sorge, was in Leipzig passiert: Bleibt es friedlich? Irgendwann sagte Bischof Reinelt: "Wir hören hier gerade aus Leipzig: Die Schützenpanzer ziehen ab!" Das war eine unglaubliche Erleichterung.
TAG24: Sie hatten damals als Forscher und Ingenieur doch eigentlich einen Platz in der DDR-Gesellschaft gefunden. Wieso wollten Sie die Wiedervereinigung?
Rößler: Wir wollten leben wie im Westen. Ich war immer für Marktwirtschaft, Demokratie und Freiheit - nie für einen reformierten Sozialismus. Als Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 vor den rußgeschwärzten Ruinen der Frauenkirche sprach, war mir klar: Die Wiedervereinigung kommt.
Rößler: In den oberen Etagen der Gesellschaft sind immer noch die Westdeutschen dominant
TAG24: Apropos Helmut Kohl: Was ist aus den "blühenden Landschaften" geworden?
Rößler: Die "blühenden Landschaften" gibt es heute vielerorts. Aber es war ein schmerzhafter Prozess. Für viele bedeutete das jahrelange Arbeitslosigkeit.
TAG24: War es die Friedliche Revolution wert, solche Opfer zu bringen?
Rößler: Ja.
TAG24: Gibt es trotzdem noch eine Mauer zwischen Ost und West?
Rößler: Nein. Aber in den oberen Etagen der Gesellschaft sind immer noch die Westdeutschen dominant. Außerdem sind Einkommen und Eigentum der Familien hier deutlich geringer. Deswegen ist die Angst vor der Inflation und den Energiepreisen auch größer.
Rößler: Sachsen wollen die Demokratie
TAG24: Das passt zum neuen Bericht vom Ostbeauftragten der Bundesregierung. Demnach sind zurzeit 61 Prozent der Ostdeutschen unzufrieden mit der deutschen Demokratie. Im Westen sind es nur 41 Prozent.
Rößler: Die Sachsen wollen die Demokratie: Sie wollen frei wählen - aber auch abwählen. Viele sind mit der Leistung des Staates bei der Krisenbewältigung unzufrieden.
TAG24: Was muss hier in Sachsen passieren, um durch die Krisen zu kommen?
Rößler: Die Politik muss Ergebnisse liefern, die Energiepreise müssen runter - das erwarten die Menschen. Aber wir können in Krisen auch auf den Zusammenhalt und die sächsische Identität mit unserer Kultur und Geschichte setzen.
Titelfoto: Eric Münch