Stahlwerk, Chemiekonzern, Porzellanmanufaktur: Sachsens Industrie fürchtet Gas-Stopp
Riesa/Meißen - Sachsens Industrie bangt um das Erdgas. Falls es noch knapper wird, müssten Betriebe ihre Produktion drosseln oder gar einstellen.
Der Stahl-Gigant "Feralpi" aus Riesa fürchtet den Einbruch, die Porzellanmanufaktur Meissen produziert vor für den Ernstfall.
Falls Putin den Hahn weiter zudreht, will der Bund das Gas rationieren lassen. Das könnte Sachsens Firmen hart treffen, etwa die Elbe-Stahlwerke "Feralpi". "Erdgas ist für uns unentbehrlich. Wir könnten es noch nicht ersetzen", sagt Tim Bause (48), Leiter für Energie-Medien.
"Feralpi" schmilzt Schrott ein, macht daraus Bewehrungsstahl für Baustellen. Knapp eine Million Tonnen Flüssigstahl fließen jährlich durch die Schmelzöfen, die bis zu 1800 Grad Celsius heiß werden.
Bei einem Gas-Stopp würden die Öfen kalt bleiben. "Im Notfall müssten wir die Produktion einschränken oder einstellen", so Tim Bause. Das würde nicht nur die rund 800 Mitarbeiter in Riesa hart treffen, sondern eine Kettenreaktion auslösen.
Baustellen würde der Stahl fehlen, kleinere Baufirmen könnten nicht mehr arbeiten. Langfristig will "Feralpi" Gas reduzieren, es teils mit Wasserstoff ersetzen. Der Weg dahin würde aber noch mehrere Jahre dauern.
Auch die Porzellanmanufaktur Meissen braucht Erdgas: "Seit einigen Wochen haben wir die Weißproduktion erhöht und auch vorproduziert, um eventuelle Unterbrechungssituationen zumindest teilweise zu überbrücken", teilt die Manufaktur mit. Wacker Chemie in Nünchritz (bei Riesa) produziert eigenen Strom aus Erdgas, will im Notfall mehr Strom am Markt einkaufen.
Die Energie für Sachsens Industrie kommt zu 27 Prozent vom Erdgas, so die aktuellsten Zahlen des Statistischen Landesamtes. Noch fehlt die Alternative. Sollte Putin das Gas komplett kappen, gebe es laut der IHK Dresden keine Möglichkeit, "die sächsische Industrie vor einem Produktionseinbruch zu bewahren".
Wirtschaftsminister Martin Dulig (48, SPD) warnte vergangene Woche: "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir im Winter vor Problemen stehen."
Großvermieter alarmiert: Sparpotenzial ausgeschöpft
Die Sachsen sollten schon jetzt Gas sparen, appelliert Wirtschaftsminister Martin Dulig (48, SPD). Kritik kommt vom Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften.
"Der Appell ans Sparen ist bei den meisten unserer Mitglieder schon ausgeschöpft", so Vorstand Mirjam Philipp (56). "Sie sind ohnehin schon sparsam und haben nur einen schmalen Geldbeutel."
Die Mitgliedsunternehmen des Verbandes bewirtschaften im Freistaat knapp 300.000 Wohnungen, meist im unteren Preissegment.
Mirjam Philipp fordert zusätzliche Mieter-Hilfe vom Bund, besonders für den Winter: "Es darf nicht zur Wahl zwischen Hungern und Frieren kommen."
Titelfoto: Thomas Türpe, dpa/Ralf Hirschberger