Zapfenpflücker: Die tollkühnen Wipfelstürmer helfen der Natur auf die Sprünge

Sachsen - Starke Stürme und gefräßige Borkenkäfer haben Sachsens Wälder in eine Kraterlandschaft verwandelt. Die teils riesigen Kahlflächen gilt es in den nächsten Jahren wieder aufzuforsten. Dafür eignen sich besonders sogenannte Lichtbaumarten wie die Lärche. Sie mag es hell und luftig. Doch die Ernte des "Goldes des Waldes" ist schwierig. Ein (Knochen-)Job für die Spezialeinheit des Sachsenforsts: die Zapfenpflücker.

Hoch oben in der Lärche angelt Thomas Tunger (51) nach einem Ast. Als Zapfenpflücker muss man absolut schwindelfrei sein!
Hoch oben in der Lärche angelt Thomas Tunger (51) nach einem Ast. Als Zapfenpflücker muss man absolut schwindelfrei sein!  © Thomas Türpe

Nebelschwaden wabern zwischen den Bäumen. Das Gras ist feucht von der Nacht. Es ist früh am Morgen, das Licht noch gedämpft. Doch mitten im Moritzburger Wald bereitet sich die Mannschaft der Zapfenpflücker auf ihren Einsatz vor - allesamt Forstwirte mit entsprechender Zusatzausbildung im Klettern.

"Erstmal Kaffee und Brötchen", beschließen die Männer einstimmig. Währenddessen kämpft sich die Sonne langsam ihren Weg durch die Kronen.

Nach der morgendlichen Stärkung greift Heiko Schwarz (51), der seit 32 Jahren als Baumkletterer arbeitet, zum Fernglas. Er sichtet in den Lärchen die Zapfenbestände.

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"Von unten kann man nur schlecht erkennen, ob am Baum neue oder alte Zapfen der Vorjahre hängen", erklärt er. Denn Lärchen werfen ihre Zapfen nicht ab. "Im schlimmsten Fall klettert man hoch und findet nur alte Zapfen", sagt der Experte.

Doch woran erkennt man neue Zapfen? "Sie sind hell-braun. Die alten sind dunkler", beschreibt sein Kollege Thomas Tunger (51).

Schon im Sommer waren die Forstwirte unterwegs, als die Zapfen noch grün waren, um geeignete Bäume mit Bändern zu markieren. Doch einige Markierungen fehlen nun. Ob verwittert oder mutwillig abgerissen? Das können sie nur mutmaßen.

Voll ausgerüstet: Sicherheit geht bei den Baumkletterern vor. Deshalb hat jeder auch seine eigene Ausrüstung.
Voll ausgerüstet: Sicherheit geht bei den Baumkletterern vor. Deshalb hat jeder auch seine eigene Ausrüstung.  © Thomas Türpe

Jeder sucht sich schließlich einen Baum aus. Dabei hat Uwe Seifert (61), Revierleiter beim Landratsamt Meißen, immer ein Auge auf sie. Er kontrolliert, dass nur Bäume im dafür ausgewiesenen Gebiet abgeerntet werden. Denn laut Forstvermehrungsgutgesetz dürfen bestimmte Arten nur aus zertifizierten Beständen stammen.

Heißt: Die Herkunft der Bäume muss gesichert sein. Dies garantiert, dass aus dem Saatgut gezogene Bäume auch aus der Region stammen. Denn heimische Bäume haben sich über Jahrhunderte genetisch an die Gegebenheiten vor Ort angepasst. "Deshalb pflanzt man auch eine Ostsee-Kiefer nicht ins Vogtland", sagt Heiko Schwarz.

Thomas Tunger, der außerhalb der Erntesaison in einer Baumschule arbeitet, wählt eine der markierten Lärchen. Bevor er in bis zu 30 Meter Höhe klettert, legt er Sicherheitsgurt und Steigeisen an. Der Helm sitzt schon auf dem Kopf. Dann geht es los.

Er legt ein kurzes Seil um den Baum. Dieses hält und sichert ihn. Stück für Stück rückt er das Seil weiter nach oben, klettert mit den Steigeisen den Baum entlang. Kommt eine Astgabelung, nutzt er ein zweites Seil, das er oberhalb um den Stamm schlingt, bevor er das erste Seil löst. So fährt er fort, bis er nach etwa fünf Minuten ganz oben in der Baumspitze angelangt ist.

Thomas Tunger legt beim Klettern das Sicherungsseil immer ein Stück höher. An den Füßen hat er ein Steigeisen mit einem Stachel, der sich in die Rinde bohrt.
Thomas Tunger legt beim Klettern das Sicherungsseil immer ein Stück höher. An den Füßen hat er ein Steigeisen mit einem Stachel, der sich in die Rinde bohrt.  © Thomas Türpe

Auf seinem Platz an der Sonne fischt er mit einer Stange nun die Äste zu sich heran, indem er sie nach oben zieht. Würde er die Äste nach unten biegen, würden sie brechen. Zapfen um Zapfen landet im Sammelsack. Vier bis fünf Stunden pro Baum verharren die Männer in den Wipfeln. "Besonders im Winter darf man da nicht wetterfühlig sein", meint Heiko Schwarz.

Am Nachmittag werden die gepflückten Zapfen schließlich zur Sammelstelle ins Forsthaus Kreyern (Coswig) gebracht. Dort werden sie gewogen. Insgesamt 75 Kilo von neun Bäumen haben die Männer an diesem Tag geerntet.

Ernüchternd: Aus einem Zentner Zapfen wird nur etwa ein Kilo Samen gewonnen. Dies geschieht in der Staatsdarre Flöha. In einem Warmluftofen, Darre genannt, werden die Zapfen bei 50 Grad bis zu zwei Tage getrocknet. Dadurch öffnen sich die Zapfen, die anschließend in einer Maschine geraspelt werden. Die Samen fallen heraus.

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Etwa 125.000 bis 170.000 Körner stecken in einem Kilo Samen, aus denen am Ende aber nur 20.000 bis 30.000 Sämlinge wachsen. Denn mindestens die Hälfte der Lärchensamen ist hohl. Das hat seinen Preis: So kostet das Kilo 600 bis 900 Euro, je nach Qualität und Keimfähigkeit. Deshalb gelten Lärchensamen als das "Gold des Waldes".

Bei jedem Baum wird anders geerntet

Die Zapfenpflücker sind nicht nur auf Nadelbäumen zugange, um das wertvolle Saatgut zu ernten. Sachsenweit sammeln sie Samen von Sträuchern und Bäumen ein. Die Technik ist dabei aber immer eine andere.

Nadelbäume werden grundsätzlich immer beklettert. Denn Zapfen am Boden tragen meist keine Samen mehr. Anders bei der Eiche: Hier werden die Eicheln vom Boden gesammelt. Bei der Buche werden Netze auf den Boden gelegt, um die Bucheckern einzufangen. Beim Bergahorn und der Linde werden die Bäume zusätzlich bei Windstille geschüttelt, damit die Früchte nicht vorher wegfliegen. Die Beeren von Eberesche und die Kirschen der Vogelkirsche werden gepflückt.

Bei allen gilt wiederum das Forstvermehrungsgutgesetz. Es werden also nur die Samen/Früchte von zertifizierten Bäumen gesammelt. Heißt: Es kann nicht jeder beispielsweise Eicheln auflesen und beim Sachsenforst abgeben.

Mit dem Fernglas sucht Heiko Schwarz (51) nach Zapfen. "Der Zapfenbehang ist grenzwertig", sagt er. Doch die Nachfrage ist groß.
Mit dem Fernglas sucht Heiko Schwarz (51) nach Zapfen. "Der Zapfenbehang ist grenzwertig", sagt er. Doch die Nachfrage ist groß.  © Thomas Türpe
Machen sich an die Arbeit: Thomas Tunger (v.l.), Peter Hahn (56) und Heiko Schwarz.
Machen sich an die Arbeit: Thomas Tunger (v.l.), Peter Hahn (56) und Heiko Schwarz.  © Thomas Türpe
Es haben sich Schädlinge in den Lärchenzapfen eingenistet. Dadurch gehen wertvolle Samen verloren.
Es haben sich Schädlinge in den Lärchenzapfen eingenistet. Dadurch gehen wertvolle Samen verloren.  © Thomas Türpe
In diesen Zapfen steckt das "Gold des Waldes". Der Rest wird als Biomaterial dem Nährstoffkreislauf zurückgegeben.
In diesen Zapfen steckt das "Gold des Waldes". Der Rest wird als Biomaterial dem Nährstoffkreislauf zurückgegeben.  © Thomas Türpe
Bevor Wildschwein und Reh das Saatgut auffressen, sammeln Forstwirte die Eicheln auf.
Bevor Wildschwein und Reh das Saatgut auffressen, sammeln Forstwirte die Eicheln auf.  © imago images/blickwinkel

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