Stiftung findet 136 Nazi-Raubgüter in ihrer Sammlung

Weimar - Egal ob ein Millionen Euro teures Kunstobjekt oder ein einfacher Reiseführer aus den 1930er Jahren: "Wir forschen zu jedem Verdachtsfall eines NS-verfolgungsbedingt entzogenen oder kriegsbedingt verbrachten Kulturguts gleichermaßen akribisch", sagt die Leiterin des Teams Provenienzforschung der Klassik Stiftung Weimar, Franziska Bomski.
Seit 2010 geht die zweitgrößte Kulturstiftung in Deutschland Verdachtsfällen in ihren umfangreichen Sammlungen nach. "Wir streben gerechte und faire Lösungen mit möglichen Erben an, wollen uns nicht mit unrechtmäßigem Eigentum schmücken." Es gehe um Transparenz.
Von den chronologisch überprüften 5486 Verdachtsfällen aus den Jahren 1933 bis 1939 konnten 2300 (42,6 Prozent) als unverdächtig eingestuft werden. "Lediglich 136 - das entspricht 2,5 Prozent aller Fälle - waren eindeutig verfolgungsbedingt", erläutert der Historiker Sebastian Schlegel.
Was den Kulturdetektiven das Leben schwer macht: Nach all den Jahrzehnten seien Dokumente und Bestandserfassungen oft nur lückenhaft vorhanden. Teils seien Sammlungsbestände noch gar nicht erfasst oder ungenau bezeichnet.
Selten sei ein Verdachtsfall so schnell und eindeutig zu klären gewesen wie der von zwei Goethe-Briefen. Im Goethe- und Schiller-Archiv stießen Forscher auf ein Schreiben von Reinhard Heydrich, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, an den Thüringer NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel aus dem Jahr 1941. Darin schreibt Heydrich, dass die Briefe 1939 von der Gestapo in Wien aus dem Besitz der Jüdin Josefine Lechner beschlagnahmt wurden und nun dem Archiv in Weimar übergeben werden sollten.
In der 2000 Bände umfassenden Almanachsammlung des Leipziger Unternehmers Arthur Goldschmidt (1883-1951) beschritten die Erben, die Jewish Claims Conferenz und die Klassik Stiftung einen anderen Weg: Sie unterstützten großzügig den Ankauf der Sammlung von den Erben für die Herzogin Anna Amalia Bibliothek.
Zur Thüringer Landesausstellung 2016 über die Fürstendynastie der Ernestiner wurde auch ein restaurierter Teppich des flämischen Wirkmeisters Seger Bombeck aus der Zeit um 1555 gezeigt. Auf dem "Lutherteppich" ist der Reformator zu sehen. 1935 wurde der Teppich von den Kunstsammlungen zu Weimar auf einer Zwangsversteigerung erworben. Er gehörte einer jüdischen Familie Oppenheimer, deren Rechtsvertreter bereits 2003 Ansprüche anmeldeten. 2005 konnte die Stiftung den kostbaren Teppich mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung von der Erbengemeinschaft kaufen.
Das bis 2021 finanziell abgesicherte Forscherteam nimmt sich derzeit die Stiftungsbestände aus den Jahren 1940 bis 1945 vor. Langfristiges Ziel sei, bis zur Gegenwart alle Sammlungen auf gestohlene Objekte zu untersuchen.
Fotos: DPA