13 Jahre nach dem Champions League-Triumph: Turbine Potsdam vor Bundesliga-Abstieg!

Potsdam - Trainer-, Führungs- und Terminchaos plus Leistungskrise. Turbine Potsdam steht vor dem Abstieg aus der Frauen-Bundesliga. Es hat sich abgezeichnet.

13 Jahre später kaum zu glauben: Turbine Potsdam wurde 2010 Champions League-Sieger. (Archivbild)
13 Jahre später kaum zu glauben: Turbine Potsdam wurde 2010 Champions League-Sieger. (Archivbild)  © EPA/SERGIO BARRENECHEA

Die Potsdamerinnen haben schon bessere Zeiten erlebt. In den 2000er und 2010er Jahren galt der reine Verein für Frauen- und Mädchenfußball als so etwas wie das Aushängeschild in Deutschland in seiner Disziplin.

Stolze sechsmal wurden sie zwischen 2004 und 2012 Deutscher Meister. Zudem gewann Turbine 2005 und 2010 die Champions League, krönte sich zum besten Frauenteam Europas.

Diese Zeiten sind spätestens seit dieser Saison vorbei. Die Horrorbilanz nach dreizehn Spieltagen: Zwölf Niederlagen und ein Remis. Macht einen jämmerlichen Punkt und zehn Punkte Rückstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz.

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Selbst die kühnsten Optimisten dürften mittlerweile erkannt haben, dass alles andere als ein Abstieg nach den ausstehenden neun Partien ein großes Wunder wäre.

Es wäre der erste seit 1994/95, der ersten Bundesliga-Saison der Potsdamer. Seinerzeit gehörten sie noch dem SSV Turbine Potsdam an, ehe sich 1999 der 1.FFC Turbine Potsdam als eigenständiger Verein herauslöste.

Jahrelang war Turbine Potsdam im Fußballosten, mindestens aber in Brandenburg und Berlin mit der Sportschule Potsdam, ein Leuchtturm und Ausbildungsstätte Nummer eins für den Frauenfußball gewesen.

Doch wie kam es zum Absturz des früheren Champions League-Siegers?

Professionalisierung in der Frauen-Bundesliga: Turbine Potsdam kein Verein mit professioneller Herrenabteilung

Die Konkurrenz um Meister und Pokalsieger VfL Wolfsburg ist Turbine Potsdam strukturell mindestens einen Schritt voraus.
Die Konkurrenz um Meister und Pokalsieger VfL Wolfsburg ist Turbine Potsdam strukturell mindestens einen Schritt voraus.  © Andreas Gora/dpa

Zunächst einmal muss man das Umfeld betrachten, in dem sich Turbine vor zehn Jahren und heute bewegt. Spätestens seit der euphorisierenden Frauen-Fußball-EM in England hat sich die Professionalisierung des Frauenfußballs in Deutschland manifestiert.

Schon seit Beginn der 2010er Jahre haben Klubs wie der VfL Wolfsburg und Bayern München diesen Prozess eingeleitet, Sportlerinnen in der Frauen-Bundesliga professionelle Bedingungen zu bieten.

Dazu gehören auch Bewegungen wie "equal pay", die im Sinne des Frauenfußballs um eine faire Bezahlung kämpfen. Darüber hinaus stehen sie dafür ein, dass Bundesliga-Spielerinnen nebenbei nicht arbeiten oder studieren müssen. Dies war lange bei Turbine Usus und ist es auch heute noch.

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Die Wertigkeit die Frauen-Abteilung auf ein höheres Level zu heben, haben auch Vereine wie Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen oder die TSG Hoffenheim erkannt. Zehn Jahre nach dem letzten Bundesliga-Triumph der Potsdamerinnen wird die Bundesliga nicht mehr nur von Kleinklubs wie SC 07 Bad Neuenahr oder FF USV Jena bevölkert.

Außer bei der SGS Essen steckt hinter jedem Bundesligisten mittlerweile ein potenter Verein mit professioneller Herrenabteilung. Turbine ist einer dieser zwei Klubs, die sich diesem Procedere bisher erfolgreich verweigerten.

Das ging bis in die letzte Saison, als Potsdam Platz vier in der Bundesliga belegte und ins DFB-Pokalfinale einzog.

Kooperation von Turbine Potsdam mit Hertha BSC ging in die Brüche

Potsdams Sara Agrež (22, rechts) sucht nach der Pokalfinal-Niederlage im Jahr 2022 Trost in den Armen ihrer Mitspielerin. (Archivbild)
Potsdams Sara Agrež (22, rechts) sucht nach der Pokalfinal-Niederlage im Jahr 2022 Trost in den Armen ihrer Mitspielerin. (Archivbild)  © Fabian Strauch/dpa

In den letzten zwei Jahren führte man eine Kooperation mit Hertha BSC, die der Hauptstadtklub im Sommer 2022 beendete. Mit den Herthanern verschwanden auch Trainer Sofian Chahed (39) und ein gehöriger Batzen Geld. Im November gaben die Berliner an, künftig lieber mit Hertha 03 Zehlendorf im Frauenfußball gemeinsame Sache machen zu wollen.

Und Turbine? Bezahlt diese Saison die Rechnung dafür, nicht mit der Zeit gegangen zu sein. Zahlreiche Leistungsträgerinnen verließen den Klub, äußerten sich negativ über die altmodischen Strukturen, fehlende Trainingsplätze und Physiotherapeuten.

Womit wir in der düsteren Gegenwart angekommen wären. Als wäre die Hinrunde mit einem einzigen Punkt nicht schon schlimm genug gewesen, bat der erst im November neu eingestellte Trainer Sven Weigang (58) um seine Vertragsauflösung.

Dies geschah wenige Tage nach der peinlichen 0:1-Testspiel-Pleite gegen die Frauen von Union Berlin, die aktuell zwei Ligen tiefer als Turbine antreten. Wenige Wochen vor dem Rückrunden-Auftakt musste sich Turbine also auf Trainersuche begeben, da Interimscoach Dirk Heinrichs (54) nicht über die erforderliche Trainerlizenz verfügt.

Die Wahl fiel auf Ex-Bundesliga-Profi Marco Gebhardt (50, unter anderem Union Berlin und Energie Cottbus), der zuvor acht Jahre lang Blau-Weiß 90 Berlin in der Herren-Oberliga Nord trainierte und Heinrichs kennt.

Ex-Bundesliga-Profi und Union Berlin-Kicker Marco Gebhardt startet als neuer Trainer mit zwei Pleiten

Zwei Spaßvögel aus Spielerzeiten bei Union Berlin im Jahr 2000: Torsten Mattuschka (heute 42) und Marco Gebhardt (heute 50). (Archivbild.
Zwei Spaßvögel aus Spielerzeiten bei Union Berlin im Jahr 2000: Torsten Mattuschka (heute 42) und Marco Gebhardt (heute 50). (Archivbild.  © Hannibal dpa/lbn

Doch der neue Trainer hatte nur wenige Stunden Zeit, das blutjunge Team kennenzulernen und auf die Aufgaben gegen die Kellerkinder Werder Bremen und MSV Duisburg vorzubereiten. Das Ende des Lieds: Beide Partien gingen verloren und damit auch die letzte Hoffnung auf einen Klassenverbleib in der Bundesliga.

Die Situation ist selbstverschuldet: Vorausschauendes und nachhaltiges Handeln der Vereinsführung sieht anders aus.

Auch Gebhardts Vertrag läuft nach kicker-Informationen nur bis Saisonende, verlängert sich wohl nur bei Klassenerhalt.

Aber es soll ja im Sport ab und an auch Wunder geben: Am Sonntag geht esfür Potsdam im Heimspiel gegen die Drittletzten aus Köln.

Titelfoto: Bildmontage: EPA/SERGIO BARRENECHEA, Fabian Strauch/dpa

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