Denkt Aue-Boss Leonhardt ans Aufhören? "Werde genau abwägen, ob ich das noch leisten kann"
Aue - Der FC Erzgebirge Aue erlebt eine der, vielleicht gar die schwärzeste Saison der Vereinsgeschichte.

Es ist ein Makel, der haften bleibt - auch auf der Vita von Präsident Helge Leonhardt (63). Kein Transfer, der nicht über seinen Tisch wandert, keine Trainerentscheidung, die ohne Fürwort des Klubpatriarchen getroffen wird. Im TAG24-Interview bezieht der 63-jährige Unternehmer erstmals nach dem besiegelten Abstieg Stellung.
TAG24: Herr Leonhardt, ist der Abstieg schon verdaut?
Leonhardt: "Ich bin zutiefst enttäuscht, dass wir es nicht verstanden haben, die vielzähligen Möglichkeiten, die in den letzten Wochen durch das Schwächeln von Dynamo Dresden ja da waren, genutzt haben, um den Klassenerhalt zu lösen. Einige in der Mannschaft haben uns im Stich gelassen."
TAG24: Wird es deswegen im Sommer einen radikaleren Schnitt geben? Immerhin besitzen zwölf Spieler noch Vertrag und es wurden seitens des Vereins Gespräche für diejenigen in Aussicht gestellt, die noch keinen Kontrakt für die 3. Liga haben.
Leonhardt: "Zurzeit werden tatsächlich keine großartigen Argumente geliefert. Wir werden mit fast jedem Spieler sprechen, denn wir wollen alles sauber lösen und mit einem sauberen Handschlag auseinandergehen. Aber wir kommen nicht umhin, nochmals alles auf den Prüfstand zu stellen."
FCE-Boss Leonhardt will "verkrustete Systeme aufbrechen"

TAG24: Heißt, auch alte Zöpfe abzuschneiden?
Leonhardt: "Ich bin für eine neue Hierarchie innerhalb der Mannschaft, das bedeutet, verkrustete Systeme aufzubrechen. Der Wiederaufstieg 2015/16 war das beste Beispiel dafür, dass wir einen Neuanfang bewerkstelligen und gleichzeitig etwas Langfristiges aufbauen können."
TAG24: Sie haben diesen Prozess einst als Präsident initiiert und bis jetzt begleitet. Wie kein Zweiter stehen Sie für die sportliche Ausrichtung des Vereins, werden aber auch als Hauptverantwortlicher für den Abstieg gegeißelt. Ziehen Sie sich diesen Schuh an?
Leonhardt: "Als Vorstandsvorsitzender besteht meine Hauptaufgabe vorrangig in der wirtschaftlichen Sicherstellung des Vereins, was trotz widrigster Umstände im Zuge der Pandemie gelungen ist. Die Wirtschaftlichkeit des Vereins stand zu keiner Zeit infrage, was einer Sensation nahekommt. Die sportliche Zielstellung ist dagegen nicht aufgegangen. Da wurden Fehler gemacht, die ich mitverantworten muss."
TAG24: Wie die Trennung von Dirk Schuster?
Leonhardt: "Die Frage ist hypothetisch. Im Vorstand herrschte Einigkeit, was die strategische Ausrichtung des Vereins anbelangte, sodass wir übereinkamen, die Zusammenarbeit mit Dirk Schuster zu beenden. Dirk und ich haben das auch sauber geklärt."
Helge Leonhardt: "Ich muss vieles neu denken"

TAG24: Werden Sie sich künftig trotzdem weniger in den sportlichen Bereich einmischen?
Leonhardt: "Sportliche Belange und deren Bezahlbarkeit sind miteinander verzahnt, sodass ich, was die Vertragsgestaltung anbelangt, immer involviert bin. Allerdings werde ich stärkeres Gewicht auf die Vorarbeit durch den sportlichen Bereich, Scouting, Trainer und sportlicher Leiter legen, die sich vorab eine kollektive Meinung bilden sollen."
TAG24: Heißt, Sie können auch loslassen.
Leonhardt: "Was heißt loslassen? Ich muss vieles neu denken. Als Vorsitzender eines Profiklubs haftet man persönlich und muss neben hoher ökonomischer auch sportliche Kompetenz haben, sonst geht man baden. Niemand malt sich aus, wie hoch die zeitliche und psychische Belastung ist, wenn man einen Verein mit 20 Millionen Euro Umsatz über zwei Jahre durch Corona führt. Da bin auch ich an Schmerzgrenzen gestoßen. Ich werde genau abwägen, ob ich das noch leisten kann und möchte - im Einklang mit meiner hohen Verantwortung für unsere Unternehmensgruppe und meine Familie."
Titelfoto: picture point/Sven Sonntag