Corona-Widerstand in Stuttgart: Tausende demonstrieren auf dem Wasen

Stuttgart - Es ist auf den ersten Blick eine bunte Mischung an Menschen, die sich da versammelt hat am Samstag auf dem Cannstatter Wasen (TAG24 berichtete) - dort, wo eigentlich gerade das Stuttgarter Frühlingsfest stattfinden sollte.

"Querdenken 711"-Initiator Michael Ballweg.
"Querdenken 711"-Initiator Michael Ballweg.  © Sebastian Gollnow/dpa

Pärchen haben es sich mit Decken auf dem Boden gemütlich gemacht. Kinder malen mit Kreide auf den Teer. Ältere Frauen mit Deutschland-Kette tröten in die Vuvuzela. 

Tausende Menschen lauschen stehend oder sitzend im lauen Frühlingswetter den Reden und der Musik von der Bühne - fast wie auf einem Festival. Aber es ist eine Demonstration.

Eine Demonstration, die jede Woche größer wird. Tausende Menschen haben sich am Samstag versammelt, um gegen Corona-Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen zu demonstrieren. Die Polizei wollte nicht schätzen - aber das Wasen-Gelände sei ziemlich voll geworden. 

Stuttgart: Stuttgart 21: So steht es um die Mega-Baustelle mitten in der Stadt!
Stuttgart Stuttgart 21: So steht es um die Mega-Baustelle mitten in der Stadt!

Bundesweit finden zunehmend ähnliche Demos statt. Kritiker befürchten eine Vereinnahmung durch Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten.

Hinter dem Stuttgarter Protest steht der IT-Unternehmer Michael Ballweg mit seiner Initiative "Querdenken". Für seine "Mahnwache für die Grundrechte" hatte er diesmal 50.000 Teilnehmer angemeldet. 

Initiator Michael Ballweg kritisiert Medien und spricht von überparteilicher Bewegung

Ein Mann trägt ein Schild mit der Forderung: "Wir wollen unser Leben zurück."
Ein Mann trägt ein Schild mit der Forderung: "Wir wollen unser Leben zurück."  © Sebastian Gollnow/dpa

Dem schob die Stadt einen Riegel vor: Ballweg erhielt die Auflage, die Versammlung auf maximal 10.000 Teilnehmer zu begrenzen. Mehr seien für Stadt und Polizei nicht machbar, sagte ein Sprecher der Stadt. 

Denn auch die Gegner der Corona-Beschränkungen müssen sich an die Regeln halten, die zur Eindämmung des Virus verordnet worden sind. Ordner in orangenen Westen weisen die Protestler auf den gebotenen Abstand hin. Laut Polizei hielten sich sich die Demoteilnehmer weitgehend an die Abstandsregeln.

Ballweg tritt um kurz nach halb vier ans Mikrofon. "Achtung! Achtung! In Stuttgart ist das Freiheitsvirus ausgebrochen!", ruft er in die Menge - und erntet Applaus. Er nimmt sich Zeit, die Medien zu kritisieren, die aus seiner Sicht verzerrt über seinen Protest berichten. 

Stuttgart: Deutsche Bahn redet Tacheles: Kopfbahnhof in Stuttgart bleibt noch länger in Betrieb
Stuttgart Deutsche Bahn redet Tacheles: Kopfbahnhof in Stuttgart bleibt noch länger in Betrieb

Er spricht von einer überparteilichen Bewegung. "Wir sind Menschen aller Coleur, die für ihre Grundrechte eintreten", ruft er. Mit Rechten und Verschwörungstheoretiker habe man nichts zu tun.

Von Friedensflaggen hin zu Deutschland-Flaggen alles vertreten

Zwei Männer stehen auf einer Plane, mit der sie den Abstand zu den anderen Demonstranten markieren.
Zwei Männer stehen auf einer Plane, mit der sie den Abstand zu den anderen Demonstranten markieren.  © Sebastian Gollnow/dpa

Die Demonstranten lassen sich nur schwer über einen Kamm scheren. Ein Polizeisprecher berichtet von "Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten" auf dem Festgelände. 

Man sieht bunte Friedensflaggen genauso wie Deutschland-Flaggen. Ein Mädchen hält ein Pappschild mit dem Satz "Wir wollen wieder in die Schule" in die Luft. 

Auf dem Shirt eines Mannes steht "Nationaler Widerstand". Auf vielen Plakaten stehen Artikel aus dem Grundgesetz. Immer wieder sieht man auch den Slogan "Wir sind das Volk" - ein Spruch, der zuletzt vor allem von Anhängern der Pegida-Bewegung skandiert wurde.

Wenn die Namen von Kanzlerin Angela Merkel oder des Virologen Christian Drosten auf der Bühne fallen, wird kräftig gebuht in der Menge.

Ein Finanzwissenschaftler von der Universität Hannover spricht von übertriebener Panikmache. "Corona ist eine einzige Lüge, ein einziger Skandal." Die Bevölkerung werde betrogen, ihr würden Schauergeschichten erzählt.

Demonstranten eint die Ablehnung der Corona-Maßnahmen

Zu der Demonstration auf dem Wasen fanden sich mehrere Tausend Menschen ein.
Zu der Demonstration auf dem Wasen fanden sich mehrere Tausend Menschen ein.  © Sebastian Gollnow/dpa

Manche in der Menge tragen scherzhaft Aluhüte. Ein 67-jähriger Mann trägt ein Schild um den Körper: "Corona-Hysterie killt Demokratie." 

Er kommt aus der Nähe von Ulm, zum zweiten Mal demonstriert er mit. Seinen Namen will er nicht nennen. Es brauche "qualifizierten Schutz" für die Risikogruppen, fordert er. Wer den dann nicht annehme, sei eben selber schuld.

"Die Maßnahmen sind völlig überzogen", kritisiert eine ältere Frau aus Tübingen, die auch nicht genannt werden will. Sie ist zum ersten Mal dabei, sitzt auf einem Hocker und isst einen Apfel. Um ihren Hals trägt sie ein Schild, "Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht darauf. 

Die Medien versetzten die Menschen in Panik, die Maskenpflicht sei ein Witz. Und Bill Gates wolle sieben Milliarden Menschen zwangsimpfen. Dass es Italien so hart getroffen habe, liege am schlechten Gesundheitssystem dort und an der Luftverschmutzung.

"Wir müssen zusammen aufstehen, um nicht in einem Albtraum aufzuwachen", sagt eine junge Mutter aus Crailsheim. Sie sei noch nie vorher auf eine Demo gegangen. Ihr gehe es um die Grundrechte. Außerdem sei sie gegen einen Impfzwang, sagt die 48-Jährige. Das Virus sei nicht so gefährlich wie dargestellt. "Die meisten Älteren sterben mit, nicht an Corona."

Was die Demonstranten eint, ist die Ablehnung der Maßnahmen zur Eindämmung der globalen Pandemie. Sie wollen das Ende des Lockdowns. Manche halten die Pandemie für eine Lüge. Sie betrachten es übertrieben, zuhause bleiben zu müssen. Man spürt auch viel Frust und Unmut in den Reihen der Protestler. Auch einige Impfgegner sind darunter. 

Die Polizei berichtet am Ende von einem friedlichen Verlauf. Ob die Bewegung angesichts der Lockerungen der Corona-Maßnahmen nun abebbt oder weiter Zulauf erhält, ist offen.

Titelfoto: Sebastian Gollnow/dpa

Mehr zum Thema Stuttgart: