"The Callisto Protocol": Das Dilemma mit den selbst gesteckten Zielen

Deutschland - Manchmal fragt man sich ja schon, was in den BWL-zerdröhnten Köpfen so mancher hipper Sprecher von Videospielmachern vorgeht. Bei "The Callisto Protocol" hat mein Kopfkino eine ganz eigene Variante entwickelt.

Vom Salat schrumpft der Bizeps: Der Protagonist Jacob Lee muss sich gegen mutierte Mitgefangene in einer lebensfeindlichen Umgebung durchsetzen.
Vom Salat schrumpft der Bizeps: Der Protagonist Jacob Lee muss sich gegen mutierte Mitgefangene in einer lebensfeindlichen Umgebung durchsetzen.  © Screenshot/Striking Distance Studios

Zuerst geht man auf ein überteuertes Motivations-Seminar, bei dem einem von einem brüllenden, schwitzenden Bühnen-Hopper erzählt wird, wie geil man doch selbst sei und dass nichts unmöglich ist. Dann gibt man den Teilnehmern ein Cocktailglas mit einem doppelten Espresso, das - on the rocks - zusätzlich noch mit Red Bull aufgefüllt wurde.

Danach fragt man: Wie wird "The Callisto Protocol?"

Und dann wird man von weit aufgerissenen, gebleachten Grinse-Kiefern mit der Antwort angeschrien: "Es wird das beste Horrorspiel aller Zeiten! Chackaaaaa."

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Okay, natürlich lief es nicht ganz so ab (hoffe ich!), aber Callisto Protocol wurde mehr als nur subtil als das Horror-Ereignis des Jahres angekündigt.

In einzelnen Punkten mag das stimmen. Zum Beispiel bei der deutschen Synchro (offenbar reicht das Millionen-Budget nur für Instagram-Werbung, nicht aber für halbwegs geübte Sprecher aller Protagonisten).

Auch ist das Game, das von vielen als das neue "Dead Space" gehandelt wurde (Spoiler: ist es nicht), extrem schlauchig und bietet wenig Entdeckungspotenzial. Was wurde uns im Vorfeld alles (in)direkt versprochen? Wie hoch waren die Erwartungshaltungen? Und was blieb am Ende übrig?

Der häufigste Kritikpunkt schließlich: Man hat das Gefühl, immer wieder permanent das Gleiche zu tun. Phasenweise ist es auch so.

Spiel stolpert über eigene Erwartungen, fällt aber nicht hin

Fast jeder Screenshot hat (morbides) Poster-Potenzial. In Sachen Inszenierung haben die Entwickler auf jeden Fall auf hohem Niveau abgeliefert.
Fast jeder Screenshot hat (morbides) Poster-Potenzial. In Sachen Inszenierung haben die Entwickler auf jeden Fall auf hohem Niveau abgeliefert.  © Screenshot/Striking Distance Studios

Hier und da ein paar Jump-Scares und durchaus brutale Splatter-Sequenzen allein reichen nicht aus, um als Horror-Spiel den Thron zu erklimmen.

Zum Glück ist es aber nicht ganz so tragisch.

So. Jetzt trennen wir uns mal vom Trend-Gehate mancher Kollegen: Callisto Protocol ist ein durchaus gutes Spiel. Es kann halt dem selbst kreierten Hype nicht gerecht werden.

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Würde man im Vorfeld nicht immer die Erwartungshaltung so extrem nach oben pushen, wären mehr Menschen positiv überrascht.

Die Story ist schnell zusammengefasst: Als Pilot eines Fracht-Transporters stürzt man auf dem Jupiter-Mond Callisto ab, der zugleich ein Gefängnis-Planet ist. Blöderweise wird man festgenommen und inhaftiert und kurz darauf gibt es einen Vorfall, der die Gefangenen zu brutalen Monstern mutieren lässt.

Die Entwickler von Striking Distance Studios haben eine sehr spannende Atmosphäre geschaffen, zwar nichts Neues erfunden, aber mit bewährten Zutaten ein ganz brauchbares Ergebnis gezaubert - wenn auch kein Festtags-Menü.

Manchmal unnötige Längen, aber am Ende kein völliger Totalausfall

Die Atmosphäre, die Kulissen, die Spannung - alles ideale Zutaten für ein top Game. Am Ende wurde es "nur" ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis.
Die Atmosphäre, die Kulissen, die Spannung - alles ideale Zutaten für ein top Game. Am Ende wurde es "nur" ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis.  © Screenshot/Striking Distance Studios

Man erweitert von Abschnitt zu Abschnitt seine Fähigkeiten und verbessert nach und nach die Waffen. Credits, Heilmittel und Munition müssen sehr bedacht eingesetzt werden, denn sie sind ein seltenes Gut.

Dafür lernt man auch immer weiter, seine Nahkampf-Skills zu verbessern und zu erweitern.

Das und die verschiedenen Kulissen, die alle eine eigene Geschichte erzählen, helfen etwas darüber hinweg, dass man als Spieler von einem Déjà-vu ins nächste stolpert.

Fazit: "The Callisto Protocol" ist ein gutes Spiel und nichts für schwache Nerven. Die grafische Darstellung des eigenen Todes, wenn der Gegner besser war, ist ungewöhnlich brutal. Auch sprechen die Szenarien und die Atmosphäre eine beeindruckende Sprache.

Manchmal gut, manchmal schlecht wird man von den sich wiederholenden Mechaniken abgelenkt; phasenweise fühlt man sich unnötigen Längen ausgesetzt. Trotzdem will man wissen, was sich in der Strafkolonie für eine Verschwörung abgespielt hat.

Die Steuerung - ja - sie ist gewöhnungsbedürftig. Doch man wird Schritt für Schritt herangeführt und kann sich ohne Probleme auch Massenangriffen stellen. Wenn man die Techniken auch nutzt. Ausweichen ist übrigens eine davon, die nicht zum Spaß eingebaut wurde.

Unterm Strich ist das Spiel trotz der Schwächen zwar überhaupt keine Geldverschwendung, aber vermutlich wohl auch kein Titel, von dem man noch Jahre später schwärmen wird. Oder wird es das am Ende doch? Das Third-Person-Erlebnis bekommt von mir 6/10 MediKits.

Titelfoto: Screenshot/Striking Distance Studios

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