Alexej Nawalny vergiftet: EU fordert eine unabhängige Untersuchung

Berlin/Moskau - Nach dem Transport des möglicherweise vergifteten Kremlkritikers Alexej Nawalny (44) nach Berlin könnten an diesem Montag weitere Details zu seinem Gesundheitszustand bekannt werden. 

Mannschaftswagen der Berliner Polizei stehen vor der Charite. Hier wird der russische Oppositionelle Nawalny behandelt.
Mannschaftswagen der Berliner Polizei stehen vor der Charite. Hier wird der russische Oppositionelle Nawalny behandelt.  © dpa/Kay Nietfeld

Nawalny wurde am Wochenende von deutschen Ärzten in der Berliner Universitätsklinik Charité umfassend untersucht. Mit Informationen sei frühestens am Montag zu rechnen, hieß es. 

Die behandelnden Ärzte wollen sich erst nach Abschluss der Untersuchungen und Rücksprache mit der Familie äußern. Auch Nawalnys Mitarbeiter wollen Auskunft geben. 

Wann genau, war zunächst unklar.

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Der Filmproduzent Jaka Bizilj, der den Flug nach Berlin organisiert hatte, geht davon aus, dass Nawalny überleben wird. Im Politik-Talk "Die richtigen Fragen" auf "Bild live" sagte Bizilj am Sonntagabend: "Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage, ob er das unbeschadet übersteht und seine Rolle weiter einnehmen kann." 

In diesem Fall sei Nawalny aber sicherlich mindestens ein, zwei Monate politisch außer Gefecht gesetzt. Die Sprecherin des Kremlgegners, Kira Jarmysch, zeigte sich erstaunt.

Niemand habe im Moment Zugang zu Informationen über den Zustand Nawalnys - schon gar nicht jemand, der nicht zur Familie gehöre. "Die Familie Alexejs hat niemanden beauftragt, der Presse etwas mitzuteilen über seine Gesundheit", schrieb sie im Nachrichtenkanal Telegram am frühen Montagmorgen. 

"Im Moment gibt es keine neuen Einzelheiten zu Alexejs Gesundheit. Wir bitten alle darum, Geduld zu bewahren und nicht auf unwahre Mitteilungen zu reagieren", meinte sie. Autorisierte Informationen könne es nur von den Ärzten oder von ihr selbst geben, betonte Jarmysch.

Kremlkritiker Alexej Nawalny: Umstände noch immer unklar

Alexej Nawalny steht mit seiner Frau Julia (r.), seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar, für ein Foto zusammen.
Alexej Nawalny steht mit seiner Frau Julia (r.), seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar, für ein Foto zusammen.  © dpa/AP/Andrew Lubimov

Der 44-Jährige, einer der schärfte Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin (67), liegt seit Donnerstag im Koma. Er soll nach Angaben seines Umfeld vergiftet worden sein. Die russischen Ärzte sprachen lediglich von Stoffwechselproblemen. 

Erst nach langem Zögern wurde der Regierungskritiker am Wochenende zur Behandlung nach Deutschland gebracht. 

Die Familie warf den russischen Behörden und Ärzten vor, mit dieser Verzögerungstaktik eine Vergiftung vertuschen zu wollen. Auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Dirk Wiese, forderte eine transparente Aufklärung des Falls. Nawalny steht in der Klinik in Berlin-Mitte unter dem Schutz des Bundeskriminalamts (BKA). 

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"Der polizeiliche Schutz von Alexej Nawalny wurde zunächst durch den Bund übernommen", sagte ein Regierungssprecher der Deutschen Presse-Agentur. Am Sonntag waren mehrere Einsatzkräfte vor dem Eingang der Charité. Seine Ehefrau Julia und einer seiner engsten Vertrauten durften zu Nawalny. Zuvor war der russische Oppositionelle unter starkem Polizeischutz vom Flughafen Tegel in die Klinik transportiert worden.

Noch immer sind die genauen Umstände des Falls unklar. Nawalny hatte bei einer Reise in Sibirien in einem Flugzeug unter starken Schmerzen das Bewusstsein verloren. Am Wochenende wurde bekannt, dass er von Sicherheitskräften bei seiner Reise umfassend beschattet worden sein soll. Dabei soll dokumentiert worden sein, mit wem Nawalny sich getroffen, was er gegessen und wo er geschlafen hat. Sogar eine Sushi-Bestellung seiner Mitarbeiter wurde dabei angeführt.

Der Oppositionelle Ilja Jaschin kündigte an, eine offizielle Anfrage an den Inlandsgeheimdienst FSB stellen zu wollen. Es sei ungeheuerlich, dass Geheimdienstmitarbeiter einen Oppositionspolitiker bespitzelten, schrieb Jaschin auf Facebook. Nawalny wollte am Donnerstag von Sibirien zurück nach Moskau fliegen. Am Flughafen in Tomsk habe er noch einen Tee getrunken, sagte Nawalnys Sprecherin. Während des Flugs habe er sich unwohl gefühlt und noch an Bord das Bewusstsein verloren. 

Das Flugzeug landete dann in Omsk in Sibirien, wo er zunächst versorgt wurde.

Update, 24. August, 21.49 Uhr: EU fordert unabhängige Untersuchung im Fall Alexej Nawalny

Die EU fordert eine lückenlose Aufklärung der mutmaßlichen Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny. 

"Die russischen Behörden müssen unverzüglich eine unabhängige und transparente Untersuchung (...) einleiten", heißt es in einer am Montagabend veröffentlichten Erklärung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. 

Das russische Volk, aber auch die internationale Gemeinschaft verlangten, die Hintergründe zu erfahren. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Update, 24. August, 16.26 Uhr: Charité sieht Hinweise auf Vergiftung Alexej Nawalnys

Ärzte der Berliner Charité gehen davon aus, dass der Kremlkritiker Alexej Nawalny vergiftet wurde. 

Darauf wiesen klinische Befunde hin, teilte eine Sprecherin der Klinik am Montag in Berlin mit. Der Gesundheitszustand Nawalnys sei ernst, es bestehe aber keine akute Lebensgefahr.

Die konkrete Substanz sei bisher nicht bekannt. Die ersten Untersuchungen deuteten aber auf eine Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer hin, hieß es. Nawalny werde nun mit dem Gegenmittel Atropin behandelt. 

Die Wirkung des Giftstoffs sei mehrfach und in unabhängigen Laboren nachgewiesen worden.

Der Ausgang der Erkrankung bleibe unsicher und Spätfolgen, insbesondere im Bereich des Nervensystems, könnten zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, so die Sprecherin.

Alexej Nawalny (44) kämpft um sein Leben.
Alexej Nawalny (44) kämpft um sein Leben.  © dpa/AP/Pavel Golovkin

Update, 24. August, 15.20 Uhr: Sprecher: Alexej Nawalny kein förmlicher Gast der Kanzlerin

Die Bundesregierung hat der Darstellung widersprochen, dass es sich bei dem in Berlin medizinisch behandelten Kremlkritiker Alexej Nawalny um einen Gast von Bundeskanzlerin Angela Merkel (66, CDU) handelt. 

Regierungssprecher Steffen Seibert (60) betonte am Montag in Berlin, es gebe "keine förmliche Einladung»". Merkel habe lediglich ihre Bereitschaft erklärt, dem möglicherweise vergifteten Nawalny auf Wunsch der Familie die Einreise aus humanitären Gründen zu ermöglichen. Der Transport und die Behandlung seien jedoch privat organisiert worden.

Als ein Journalist Seiberts Ausführungen so interpretierte, dass Nawalny den Status eines "Kanzlerinnengastes" habe, antwortete Seibert ausdrücklich: "Dann haben Sie es falsch verstanden." 

In der Klinik wird er von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) bewacht. "Schließlich handelt es sich um einen Patienten, auf den mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Giftanschlag verübt worden ist", erklärte Seibert. "Es war klar, dass nach seiner Ankunft hier Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten." 

Im Gespräch der Fachbehörden sei entschieden worden, dem BKA diese Aufgabe zu übertragen. Nach Paragraf 6 des BKA-Gesetzes ist das BKA unter anderem zuständig für den Personenschutz von Mitgliedern der Bundesregierung sowie für deren ausländischen Gäste.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (66, CDU).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (66, CDU).  © dpa/Michael Kappeler

Update, 24. August, 15.15 Uhr: Maas will Fall Nawalny noch nicht bewerten

Bundesaußenminister Heiko Maas (53) will den Fall des zur medizinischen Behandlung nach Deutschland gebrachten Kremlkritikers Alexej Nawalny noch nicht bewerten. 

"Ich gehöre zu denjenigen, die ihre Einschätzung auf Fakten basieren lassen", sagte Maas am Montag im ukrainischen Kiew. "Für den Fall Nawalny fehlen noch viele Fakten - medizinische, aber auch wahrscheinlich kriminologische. Und die gilt es abzuwarten."

Heiko Maas (53, SPD).
Heiko Maas (53, SPD).  © dpa/Bernd von Jutrczenka

Update, 24. August, 15.08 Uhr: Wladimir Putin hatte keinen Einfluss auf Alexej Nawalnys Transport

Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Angaben des Kreml keinen Einfluss auf den Transport des möglicherweise vergifteten Oppositionellen Alexej Nawalny nach Deutschland genommen. 

"Das ist absolut nicht das Vorrecht des Präsidenten", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag der Staatsagentur Tass zufolge. Es habe auch keine internationalen Verhandlungen dazu gegeben.

Putins Sprecher betonte, dass die zuständigen Behörden sehr schnell gehandelt hätten. "Alle Genehmigungen und Formalitäten wurden zügig geklärt." Der Spezialflug sei ohne Probleme freigegeben worden, als die Ärzte Nawalny für transportfähig erklärt hätten, sagte Peskow. 

Dennoch könnte auch Finnlands Präsident Sauli Niinistö eine Vermittlerrolle gespielt haben. Er sprach zunächst mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dann mit Putin über Nawalnys Transport. Wie groß die Bedeutung des Gesprächs letztlich war, steht jedoch nicht eindeutig fest.

Wladimir Putin, Präsident von Russland, nimmt von seiner Vorstadtresidenz Nowo-Ogarjowo aus an einer Kabinettssitzung teil.
Wladimir Putin, Präsident von Russland, nimmt von seiner Vorstadtresidenz Nowo-Ogarjowo aus an einer Kabinettssitzung teil.  © dpa/AP/Pool Sputnik Kremlin/Alexei Nikolsky

Update, 24. August, 14.55 Uhr: Alexej Nawalnys Ärzte in Omsk

Nach dem Transport des Kremlkritikers Alexej Nawalny nach Berlin haben die Ärzte in Sibirien Vorwürfe seines Teams zurückgewiesen, sie hätten unter Kontrolle der Behörden gestanden. 

"Wir haben den Patienten versorgt, und wir haben ihn gerettet. Es gab keinen Einfluss von außen auf die Behandlung des Patienten", sagte der Chefarzt der Klinik in Omsk, Alexander Murachowski, am Montag. 

Die Ärzte in Omsk hatten aus Sicht des engsten Kreises rund um Nawalny "nichts zu sagen", sagte die Vertraute Ljubow Sobol dem Spiegel. "Im Büro des Chefarztes saßen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden". Sie hätten mit unterschiedlichen Methoden "lange auf Zeit gespielt, bis das Gift wohl nicht mehr in Nawalnys Körper nachweisbar war. Dann erst konnte er ausgeflogen werden nach Berlin." 

Chefarzt Murachowski sagte, dass die Männer in seinem Büro keinen Druck ausgeübt hätten. "Ich kann nicht sagen, wer das war. Ich kann nicht sagen, dass sie irgendetwas gemacht haben."

In den russischen Staatsmedien wurden unterschiedliche Versionen verbreitet, warum Nawalny seit Tagen im Koma liegt - von Alkoholkonsum, einer Diät bis Unterzuckerung. Das sei eine vom Kreml koordinierte "typische Desinformation", sagte die Juristin Sobol. "Das war ein Mordanschlag auf Nawalny, der einzig einem nützt - dem Kreml." 

Nawalny habe bis zu dem Vorfall nie gesundheitliche Probleme gehabt und sei sehr fit gewesen. "Er war nie richtig krank, höchstens mal erkältet. Wir haben mal gescherzt, dass er wie ein Roboter sei."

Titelfoto: dpa/AP/Pavel Golovkin

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