Das Gefühl der Leere macht Menschen krank: Was man gegen Einsamkeit tun kann

Dresden - Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Angst vor Ansteckung: Die seit fast zwei Jahren anhaltende Pandemielage macht die Menschen mürbe. Mindestens jeder Vierte fühlt sich einsam. TAG24 sprach mit Prof. Dr. Hendrik Berth (51) vom Bereich Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften des Uniklinikums Dresden über Einsamkeit und was man dagegen tun kann.

Prof. Dr. Hendrik Berth (51) vom Uniklinikum Dresden.
Prof. Dr. Hendrik Berth (51) vom Uniklinikum Dresden.  © PR/Stephan Wiegand

TAG24: Prof. Berth, die Sozialminister der Länder fordern aktuell, aufgrund der anhaltenden Pandemiebedingungen, einen nationalen Einsamkeitsgipfel. Wie akut ist das Problem?

Prof. Berth: "Die Einsamkeit ist nicht erst seit Corona ein Thema. Laut Umfragen fühlen sich 25 bis 30 Prozent der Leute einsam. Und natürlich hat die aktuelle Situation dazu geführt, dass das Einsamkeitserleben noch stärker geworden ist. Es ist also ein Thema, das eine Vielzahl von Menschen betrifft und mit dem man sich auseinandersetzen sollte."

TAG24: Warum fühlen wir uns einsam?

Coronavirus schädigt Gehirn bei Long-Covid-Patienten
Coronavirus Coronavirus schädigt Gehirn bei Long-Covid-Patienten

"Die Einsamkeit ist zunächst ein Gefühl. Es gibt keine harte Definition, wann jemand einsam ist, sondern es ist eine Art Selbstzuschreibung. Es gibt Leute, die leben seit vielen Jahren allein und sind sehr glücklich. Aber die meisten Menschen benötigen den Austausch mit anderen Menschen, am klassischsten in Paarbeziehungen, aber auch im Freundeskreis, in der Familie, im Berufsleben. Wenn man das Bedürfnis nach mehr Austausch mit anderen Menschen hat, wenn man Dinge nicht mehr allein tun will, wenn man das Gefühl der Leere hat, dass etwas fehlt, dann ist das ein Anzeichen für Einsamkeit."

TAG24: Hat sich Einsamkeit in Pandemiezeiten verändert?

"Durch die Corona-Pandemie haben wir eine Zunahme von Einsamkeiten, weil soziale Kontakte reduziert werden müssen. Aber wir haben auf der anderen Seite auch eine Zunahme an digitalen Angeboten, um Einsamkeit zu reduzieren."

TAG24: Das kann die reale Welt aber doch nicht ersetzen, oder?

"Nein, kann es nicht. Auch wenn man den ganzen Tag in Videokonferenzen mit anderen verbringt, kann das die Einsamkeit nicht eliminieren. Wir brauchen auch den Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Eine räumliche Nähe ist erforderlich. Aber es kann ein guter Einstieg sein, wenn man etwas ändern will."

Gibt es ein Allheilmittel gegen Einsamkeit?

Tiere können Einsamkeit lindern, aber nicht beseitigen. (Symbolbild)
Tiere können Einsamkeit lindern, aber nicht beseitigen. (Symbolbild)  © Imago Images / Cavan Images

TAG24: Gibt es typische Auslöser?

"Man muss es selber fühlen und so einschätzen. Klassischerweise passiert das häufig zu Weihnachten, wenn im Fernsehen das Fest der Familie vermittelt wird, bei dem glückliche Menschen mit anderen am Tisch sitzen und unterm Weihnachtsbaum feiern. Es können aber auch andere Reize sein, die veranschaulichen: Man ist allein."

TAG24: Kann Einsamkeit krank machen?

Long Covid hat Sophias Leben zerstört: "Ich denke nicht, dass ich normal arbeiten kann"
Coronavirus Long Covid hat Sophias Leben zerstört: "Ich denke nicht, dass ich normal arbeiten kann"

"Einsamkeit kann krank machen, und zwar vielfältig. Angefangen bei Alkoholmissbrauch und anderen Drogen. Wir wissen, dass es zu Depressionen führen kann, zu Übergewicht und in der Folge zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Menschen, die sich einsam fühlen oder in einem Single-Haushalt leben, haben ein höheres Risiko, an einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Erkrankungen zu leiden."

TAG24: Gibt es ein Allheilmittel?

"Der erste Schritt ist, dass eine Person sagt: Hier ist etwas nicht in Ordnung. Das werden sicher viele verspüren. Der zweite, ganz wichtige Schritt ist: Ich muss etwas ändern. Dann gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Vielleicht ist es ein Online-Angebot oder eine telefonische Seelsorge. Das kann aber auch sein, ich gehe mal wieder im Park spazieren oder in eine Sportgruppe oder Seniorentreff oder, oder, oder... Wichtig ist, dem ersten Impuls Taten folgen zu lassen und das dann auch fortzusetzen, denn es braucht Zeit. Man muss raus und den Kontakt suchen!"

TAG24: Können auch Tiere helfen?

"Ja, ein Tier kann helfen, Kontakte zu anderen Menschen herzustellen und es kuschelt sich auch mal an. Aber ein Tier sollte nicht allein zur Bekämpfung der Einsamkeit gehalten werden. Das sollte man sich gut überlegen."

Das kann man gegen Einsamkeit tun

Falls es die Bedingungen erlauben, sollte man soziale Kontakte im Freundeskreis oder im Sport pflegen. (Symbolbild)
Falls es die Bedingungen erlauben, sollte man soziale Kontakte im Freundeskreis oder im Sport pflegen. (Symbolbild)  © imago images/Westend61

• ... im Homeoffice:

"Wenn es möglich ist, sollte man versuchen, auch mal ein berufliches Meeting in Präsenz durchzuführen. Es werden alle merken, wie befreiend es ist, wenn man die anderen mal nicht nur als briefmarkengroße Bilder auf dem Bildschirm sieht", sagt der Diplom-Psychologe. Außerdem sollte man soziale Kontakte im Freundeskreis oder beim Sport pflegen.

• ... in Quarantäne:

"Durch die zeitliche Begrenzung fällt es uns schon mal unheimlich leichter, damit umzugehen. Ich empfehle, das ganz bewusst zu nutzen. Am besten sollte man sich tageweise aufschreiben, was man sich vornimmt, zum Beispiel den Dachboden zu entrümpeln oder ein neues Kochrezept auszuprobieren", rät Hendrik Berth. So könnte man aus der Zwangs-Auszeit noch einen Gewinn ziehen. Des Weiteren ist der Austausch mit Freunden und Bekannten per Telefon oder Videochat wichtig.

• ... mit Kindern zu Hause:

"Es bleibt die Möglichkeit, wenn es im Umfeld oder im Haus noch Kinder gibt, diese einzuladen oder gelegentlich auch ein oder zwei Kinder aus der Klasse. Kinder brauchen den Austausch mit anderen Kindern", sagt der Experte. "Wenn das nicht geht, dann kann man versuchen, es dem Kind in der Familie angenehmer zu machen, zum Beispiel mehr gemeinsam zu machen und mehr Zuwendung zu geben." Auch hier kann Telefonieren oder Skypen mit Freunden helfen.

• ... im Pflegeheim:

"Wir wissen, dass gerade alte Menschen, die schon kognitiv ein bisschen eingeschränkt sind, ohne Besuch sehr schnell weitere kognitive Fähigkeiten verlernen." Deshalb sei Besuch extrem wichtig und sollte so lange wie möglich aufrechterhalten werden - notfalls am Fenster oder hinter einer Scheibe. "Hauptsache, kurzfristig mal sehen." Außerdem sollten Familienbilder im Zimmer stehen und das Heim Unterhaltung anbieten.

• ... im Krankenhaus:

Prof. Hendrik Berth empfiehlt, sich jeden Tag einen festen Termin zum Telefonieren oder Videochatten auszumachen. "So kann man sich auf diesen Termin freuen." Darüber hinaus kann man auch mal vorm Fenster winken oder Kleinigkeiten zukommen lassen, um den Kontakt aufrechtzuerhalten.

Diese Menschen sind oft einsam

Zu Hause "eingesperrt" zu sein, macht einsam und schlimmstenfalls krank. (Symbolbild)
Zu Hause "eingesperrt" zu sein, macht einsam und schlimmstenfalls krank. (Symbolbild)  © 123RF / Tatyana Tomsickova

"Es kann prinzipiell jeden betreffen, in allen Altersgruppen", meint Prof. Berth. Aber es gibt vor allem drei Risikogruppen:

• Junge Erwachsene, die für ihre Berufsausbildung in eine andere Stadt ziehen oder sich zum Ende der Berufsausbildung neu orientieren und die Karriere weit weg von zu Hause starten.

• Menschen im mittleren Alter (40-60 Jahre), wenn es häufig zu Trennungen kommt. Dann lösen sich oft nicht nur Paar-, sondern auch Freundesbeziehungen auf.

• Menschen ab dem Rentenalter, weil Partner und Freunde versterben.

Titelfoto: 123RF / Tatyana Tomsickova

Mehr zum Thema Coronavirus: