Antijüdisches Relief an Luthers Predigtkirche bleibt vorerst

Wittenberg - Abnehmen, verhüllen oder lassen, wie es ist? Der jahrelange Konflikt im Umgang mit der antijüdischen Schmähplastik an der "Mutterkirche der Reformation" in Wittenberg verliert nicht an Brisanz. Einen wichtigen Schritt hat die Kirchengemeinde jetzt getan.

Abnehmen, verhüllen oder lassen, wie es ist? Der jahrelange Konflikt im Umgang mit der antijüdischen Schmähplastik an der "Mutterkirche der Reformation" in Wittenberg verliert nicht an Brisanz.
Abnehmen, verhüllen oder lassen, wie es ist? Der jahrelange Konflikt im Umgang mit der antijüdischen Schmähplastik an der "Mutterkirche der Reformation" in Wittenberg verliert nicht an Brisanz.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Vorerst bleibt das umstrittene Relief, aber es soll eine neue Erklärtafel bekommen: Das antijüdische Schmährelief "Judensau" an Luthers Predigtkirche in Wittenberg erhält einen neuen Erklärtext als klares Zeichen gegen Antisemitismus.

Das beschloss die evangelische Stadtkirchengemeinde, wie ein Sprecher am Mittwoch sagte. Auf der neuen Erklärtafel werde erstmals das jüdische Volk um Vergebung gebeten, sagte der Sprecher. Im Vergleich zum bisherigen Text positioniere sich die Gemeinde eindeutig gegen Antijudaismus und Antisemitismus.

Das laut Historikern im Mittelalter entstandene Relief aus Sandstein zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen. Eine als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Tieres und blickt in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein.

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Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster (68), sagt, eine Abnahme der Schmähplastik halte er prinzipiell für wünschenswert. Sie sollte aber nicht irgendwo versteckt werden, sondern der Öffentlichkeit zugänglich bleiben, als Zeugnis für die Schuld und die Verantwortung der Kirchen.

"Mindestens erwarte ich mir aber von der Stadtkirchengemeinde Wittenberg zeitnah eine eindeutige und selbstkritische Beschriftung dieser Skulptur", sagte Schuster. "Das schließt ein Erinnern an die Folgen des christlichen Antijudaismus, der nicht nur in Stein gehauen, sondern auch von der Kanzel gepredigt wurde, und der über Jahrhunderte zu Vertreibung und Mord an unzähligen Juden führte, mit ein", sagt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Die Stadtkirche Wittenberg war die Predigtkirche von Martin Luther (1483-1546). Sie gilt somit in der Kirchengeschichte als "Mutterkirche der Reformation". Andererseits steht der Theologe wegen seiner antijüdischen Äußerungen in der Kritik. Die Stadt Wittenberg hatte sich entschieden, das Relief solle bleiben "als Warnung und Mahnung der Geschichte".

Jahrelanger juristischer Streit beim Bundesverfassungsgericht angekommen

Dietrich Düllmann, der 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt, will erreichen, dass das antijüdische Sandsteinrelief entfernt wird.
Dietrich Düllmann, der 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt, will erreichen, dass das antijüdische Sandsteinrelief entfernt wird.  © Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa

Am 9. November 1988 - 50 Jahre nach der von den Nationalsozialisten organisierten Pogromnacht des Jahres 1938 - wurde unter der Skulptur ein in den Boden eingelassenes Mahnmal aus Metall enthüllt. Damit stehe das Relief nicht unkommentiert, so die Begründung der Lutherstadt.

Die antijüdische Skulptur an der Kirche stammt nach Angaben des Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert. In Deutschland gebe es etwa drei Dutzend dieser Schmähplastiken aus dem Mittelalter an und in Kirchen.

Die Diskussion, ob das Wittenberger Relief entfernt, verhüllt, als Symbol der Schande, als Mahnmal für die Verbrechen an jüdischen Menschen, an seinem Platz bleiben soll, hat in der jüngsten Geschichte an Brisanz und Aktualität zugenommen. Allein vor dem Hintergrund antisemitischer Straftaten, wie der rechtsterroristische Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019.

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Ein jahrelanger juristischer Streit um das Wittenberger Relief ist indes beim Bundesverfassungsgericht angekommen. Dietrich Düllmann, der 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt, will erreichen, dass das antijüdische Sandsteinrelief entfernt wird. Seine Anwälte fordern, dass ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu dem Thema aufgehoben und der Fall an den BGH zurückverwiesen wird. Das Relief sei "in Ansehung der damit verbundenen schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht nur des Beschwerdeführers, sondern jedes Juden in Deutschland zu entfernen", heißt es in der Verfassungsbeschwerde.

Der BGH hatte im Juni entschieden, dass die Bodenplatte - das 1988 eingelassene Mahnmal - und ein Aufsteller mit erläuterndem Text vor der Kirche ausreichten, um aus dem "Schandmal" ein "Mahnmal" zu machen. Es könne bleiben.

"Übel des Antisemitismus zieht sich durch die gesamte Kirchen- und Gesellschaftsgeschichte"

Eine Infotafel mit der Aufschrift "Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg" ist am Fuße der Stadtkirche von Wittenberg zu sehen. Der Text informiert auf Deutsch und in Englisch über das antijüdischen Schmähplastik.
Eine Infotafel mit der Aufschrift "Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg" ist am Fuße der Stadtkirche von Wittenberg zu sehen. Der Text informiert auf Deutsch und in Englisch über das antijüdischen Schmähplastik.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Der Vorsitzendes Richter des BGH habe in der Urteilsbegründung zugleich sehr deutlich davon gesprochen, das Relief sei in Stein gemeißelter Antisemitismus, sagt die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer (72). Daran gebe es keinen Zweifel.

"Das Übel des Antisemitismus zieht sich durch die gesamte Kirchen- und Gesellschaftsgeschichte und erfordert gerade von uns Deutschen eine ganz besondere Achtsamkeit, und es erfordert sowohl eine Einordnung in die Geschichte als auch ein entschiedenes Entgegentreten", sagt Böhmer. Dabei könne der Vermittlungsauftrag einer Welterbestätte helfen. "Das halte ich für wichtig."

Denn die Wittenberger Stadtkirche gehört wie alle Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt seit 1996 zum Unesco-Welterbe.

Die gleichnamige Stiftung vertritt bisher die Position, die Schmähplastik sollte an der Stadtkirche bleiben, als Teil der Geschichte, als ein Zeichen der Schuld. Ähnlich positionierte sich die Stadt, in der 2017 an das weltweite Thema "500 Jahre Reformation", an den Thesenanschlag Luthers gegen den Ablasshandel der Kirche 1517, erinnert wurde.

Die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission betont: "Wir sollten die Schmähskulptur und dieses Mahnmal nicht aus seinen negativen Gesamtdimensionen herauslösen, denn es würde der Skulptur einen wesentlichen Bezug entziehen". Es sei wichtig, die Gesamtdimension vor Augen zu haben und aktiv gegen Antisemitismus aufzutreten. "Das ist eine Aufgabe, die sich hier vor Ort in Wittenberg stellt, die sich die Kirche stellt, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss".

Originaltext vom 31. August, 7.15 Uhr

Aktualisiert am 31. August, 17.32 Uhr

Titelfoto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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