Offenbar wurden alle Männer aus einem Dorf zum Kriegseinsatz gegen die Ukraine gezwungen
Tyumenevo (Russland) - Seit der am Mittwoch verkündeten Teilmobilmachung der russischen Streitkräfte, mit der Kremlchef Putin (69) eine Wende im Krieg gegen die Ukraine erreichen will, werden Männer im ganzen Land eingesammelt und an die Front geschickt. Das russische Volk ist entsetzt.
Landesweit kommt es immer wieder zu Protesten. Inzwischen machen die vermummten Einsatzkräfte nicht mehr nur von ihren Schlagstöcken Gebrauch, um auf Demonstranten einzuprügeln, sondern sie schrecken auch nicht mehr vor dem Gebrauch von Elektroschockern zurück.
Laut der Bürgerrechtsorganisation OVD-Info hätten in der Teilrepublik Dagestan im Kaukasus Polizisten bei Protesten sogar Schüsse in die Luft abgefeuert. Demnach blockierten im Dorf Endirej Anwohner eine Straße, um die Teilmobilisierung zu behindern.
Auf Videos sei zu sehen, wie Polizisten Gewehre in die Luft richteten, danach waren Schüsse zu hören. Außerdem kam es zu einem Gerangel zwischen Bewohnern und Beamten. Ursache für den Protest war, dass zuvor 110 Männer aus dem Dorf in den Krieg gegen die Ukraine gezwungen wurden.
Dagestan im Nordkaukasus im südlichen Teil Russlands ist muslimisch geprägt. Beobachtern zufolge würden von dort besonders viele Männer eingezogen werden.
Aktivisten kritisieren, dass Angehörige ethnischer Minderheiten besonders stark von der Mobilmachung betroffen seien und sprechen deshalb sogar von "ethnischen Säuberungen".
Bewohner werden an Konsequenzen im Falle von "Falschinformationen" zum Krieg erinnert
Ähnlich dramatische Szenen sollen sich in Tyumenevo in der Region Kemerowo in Sibirien abgespielt haben. Wie das polnische Nachrichtenportal Interia mit Bezug auf die unabhängige russische Zeitung "Nowaja Gaseta" berichtet, würden aus dem Dorf alle Männer in den Krieg geschickt.
Es handele sich um etwa 59 Personen. "Heute sind sie durch die Höfe gelaufen und haben Vorladungen verteilt. Am Montag müssen Sie zur Militärstation kommen", hieß es in dem Bericht. In den umliegenden Dörfern sei die Situation "praktisch dieselbe".
Die Behörden der Region Kusbass dementierten die Information im russische Fernsehsender kemerovo.tsargrad.tv und sprachen von Gerüchten.
Nach einer Überprüfung hätte sich die Meldung als gefälscht erwiesen und nur zehn männliche Bewohner hätten den Befehl erhalten, sich beim zuständigen Militärkommissariat zu melden. Unabhängig prüfen lassen sich diese Angaben nicht.
Außerdem seien "die Bewohner daran erinnert worden, dass die Verbreitung falscher Informationen über die Durchführung einer Spezialoperation strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht".
Macht Russland bald seine Grenzen dicht?
Laut der russischen Internetzeitung Meduza mit Sitz im lettischen Riga plane Russland, 1,2 Millionen Menschen zu mobilisieren, hauptsächlich aus ländlichen Gegenden. Offiziell sprechen die Behörden von etwa 300.000 Personen. Die genaue Zahl ist geheim.
Einem weiteren Bericht von Meduza zufolge werde Russland "in wenigen Tagen die Grenzen sperren", damit Wehrpflichtige nicht aus dem Land fliehen können.
Seit die Mobilisierung angekündigt wurde, stürmen die Russen Grenzen und Flugverbindungen, um aus Russland herauszukommen.
Titelfoto: Uncredited/AP/dpa