Ukraine-Krieg, Tag 116: Deutscher Ministerpräsident wirft Putin Desinformation vor
Kiew (Ukraine) - 116 Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine toben im Osten des Landes sehr schwere Kämpfe. Russische Truppen dringen dabei langsam weiter vor. Alle aktuellen Entwicklungen gibt es im TAG24-Liveticker.
In dem erbitterten Kampf um die ostukrainische Stadt Sjewjerodonezk haben russische Truppen Geländegewinne erzielt und sind in einen Vorort eingedrungen. "Durch Beschuss und die Erstürmung hat der Feind in der Ortschaft Metjolkine einen Teilerfolg erzielt und versucht sich dort festzusetzen", teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Samstagabend mit.
Das große Dorf Metjolkine liegt südöstlich von Sjewjerodonezk. Dort seien Offiziere und Soldaten des ukrainischen Bataillons Ajdar freiwillig in Gefangenschaft gegangen, meldete die russische Agentur Tass unter Berufung auf die prorussischen Separatisten der Volksrepublik Luhansk. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Russische Truppen haben das weitgehend zerstörte Sjewjerodonezk immer noch nicht unter Kontrolle. Dort sind auch weiterhin unzählige Zivilisten und suchen Schutz.
Die Geschehnisse des gestrigen Tages könnt Ihr im TAG24-Ticker vom Samstag nachlesen. Alle aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom heutigen Sonntag, den 19. Juni, gibt es hier im Liveticker.
22.59 Uhr: Lars Klingbeil kritisiert Verhalten der Union
SPD-Parteichef Lars Klingbeil (44) hat Kritik am Verhalten der Union im Ukraine-Konflikt geübt und den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz (66) scharf attackiert.
Merz sei "andauernd am Kritisieren", sagte Klingbeil am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". "Und er muss ein bisschen aufpassen, dass man nicht irgendwann so der verstimmte, der nörgelnde Onkel ist, der alles kritisiert. Irgendwann hört man gar nicht mehr hin, was die Union eigentlich will."
19.32 Uhr: Rundschreiben an britische Soldaten Kriegsvorbereitungen betreffend.
Die britischen Streitkräfte haben per Rundschreiben die Info erhalten, dass Vorbereitung auf einen Kriegseinsatz in Europa gefordert wird. Mehr dazu lest Ihr im Artikel: "Neuer britischer Armeechef mahnt Soldaten zu Vorbereitungen auf Krieg gegen Russland".
16.48 Uhr: Hendrik Wüst betont Bedeutung von unabhängigem Journalismus
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (46, CDU) hat die Bedeutung von unabhängigem Journalismus vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs hervorgehoben.
Putins Krieg gegen die Ukraine sei auch ein Krieg der Desinformation und der Propaganda, betonte Wüst in einem Videogrußwort zum Global Media Forum, das am Montag in Bonn eröffnet wird. "Dieser Informationskrieg zeigt auf schreckliche Weise, wie wichtig ein freier und unabhängiger Journalismus ist", sagte Wüst.
11.38 Uhr: Kasachstan ruft zur vollständigen Vernichtung von Atomwaffen auf
Die Führung der Ex-Sowjetrepublik Kasachstan in Zentralasien hat vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs dazu aufgerufen, bis 2045 weltweit alle Atomwaffen zu vernichten.
"Der derzeitige militärische Konflikt auf dem Gebiet der Ukraine, die Gespräche über die atomare Wiederbewaffnung und gegenseitige Drohungen über die Anwendung der Atomwaffen, zwingen uns mehr als je zuvor dazu, darüber nachzudenken, wie verwundbar die Menschheit und wie dringend nötig ein Verbot und die Vernichtung dieser tödlichen Waffe ist", schrieb der kasachische Außenminister Muchtar Tleuberdi in einem Artikel, der am Sonntag auf der Webseite der Tageszeitung "Liter" erschien.
Er rufe alle Staaten, darunter auch die Atommächte, dazu auf, einen Etappenplan zu erarbeiten, um bis 2045 weltweit das gesamte Atomwaffenarsenal zu liquidieren. Das Jahr 2045 sei wegen des 100. Geburtstag der Vereinten Nationen ein wichtiges Datum, so Tleuberdi.
11.10 Uhr: Fahnenflucht auch Problem aufseiten der Ukraine?
Die intensiven Gefechte im Donbass setzen nach Einschätzung britischer Geheimdienstexperten der Kampfmoral der Truppen beider Seiten im Ukraine-Krieg zu. "Ukrainische Kräfte haben wahrscheinlich in den vergangenen Wochen unter Desertionen gelitten, allerdings ist höchstwahrscheinlich insbesondere die russische Moral weiterhin mit Problemen belastet", hieß es in dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London.
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine vor rund vier Monaten hatte es immer wieder Berichte über russische Soldaten gegeben, die Fahnenflucht begingen. "Es gibt weiterhin Fälle, in denen gesamte russische Einheiten Befehle verweigern, und es kommt weiterhin zu bewaffneten Konfrontationen zwischen Offizieren und Soldaten" so die Mitteilung weiter.
Hintergrund für die niedrige russische Moral seien unter anderem eine als schlecht wahrgenommene Führung, begrenzte Möglichkeiten zur Ablösung von der Front, sehr schwere Verluste, Stress, schlechte Logistik und Probleme mit der Bezahlung.
Beide Seiten setzten den Briten zufolge in den vergangenen Tagen ihre schweren Artilleriebeschüsse auf den Achsen nördlich, östlich und südlich des Kessels von Sjewjerodonezk im Osten des Landes fort. Die Frontlinie habe sich aber kaum verändert.
10.57 Uhr: Neue Luftangriffe auf ukrainische Hauptstadt Kiew
Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist am Sonntagmorgen erneut aus der Luft angegriffen worden - es waren Sirenen des Luftalarms und Explosionen zu hören. Nach offiziellen Angaben schoss die ukrainische Luftabwehr russische Raketen über der Stadt jedoch ab.
"Im Stadtbezirk Wyschhorod waren heute Morgen Explosionen zu hören. Die Luftabwehr hat feindliche Flugziele beschossen", teilte der Militärgouverneur des Gebiets Kiew, Olexij Kuleba, am Sonntag auf seinem Telegram-Kanal mit.
Seinen Angaben zufolge gab es keine Schäden und Verletzten in der Stadt. Er bat die Kiewer allerdings darum, weiterhin nach dem Luftalarm die Schutzkeller aufzusuchen. In verschiedenen sozialen Netzwerken tauchten später Fotos auf, die Spuren einer Rakete am Himmel über dem Gebiet Kiew zeigen sollen.
9.52 Uhr: Wirtschaftsminister Habeck will Gasverbrauch reduzieren
Anscheinend ist die Gasversorgung in Deutschland nicht so sicher, wie bislang kommuniziert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (52, Grüne) setzt auf hohe Einsparungen und greift dazu sogar auf Kohlekraftwerke zurück.
Was der Minister plant, lest Ihr im Artikel "Wird es im Winter eng? So will Habeck jetzt bei Gasversorgung gegensteuern".
9 Uhr: FDP will Fracking statt russischem Erdgas
Angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine denkt die FDP über eine Rücknahme des Fracking-Verbots nach.
Das Ziel: mögliche heimische Gasreserven anzapfen, um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Mehr dazu lest Ihr im Artikel "Liberale Energiewende: FDP will Fracking-Verbot kippen".
6.26 Uhr: Selenskyj verspricht Rückeroberung der Südukraine
Nach der Rückkehr von seiner Reise in den Süden Landes hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (44) den bedrohten Regionen dort Schutz versprochen und die Rückeroberung der bereits von russischen Truppen besetzten Gebiete angekündigt.
"Wir werden niemandem den Süden abgeben. Alles, was uns gehört, holen wir zurück", sagte Selenskyj in einer Videoansprache in der Nacht zum Sonntag. Die Ukraine werde dabei auch den sicheren Zugang zum Meer wiederherstellen, versicherte er.
4.20 Uhr: Russland schickt weitere Truppen
Russland werfe alle seine Reserven in den Kampf, um Sjewjerodonezk und die Stadt Bachmut zu erobern, sagte der Gouverneur des Gebietes Luhansk, Serhij Hajdaj zur militärischen Lage im Donbass.
Auch nach Angaben des Generalstabs gehen die Kämpfe um Sjewjerodonezk unvermindert weiter. Demnach beschossen russische Truppen das Verwaltungszentrum des Gebiets Luhansk mit schwerer Artillerie. Ein versuchter Sturm der ukrainischen Stellungen im Industriegebiet der Stadt sei aber gescheitert. Auch in Syrotyne, einem Dorf westlich von Metjolkine, blieben die russischen Sturmversuche erfolglos.
Russische Truppen setzten auch im Gebiet Charkiw gegen eine Reihe von Ortschaften Artillerie ein. In Richtung Slowjansk versuche der Feind durch den Einsatz schwerer Waffen günstige Voraussetzungen für eine Offensive zu schaffen, heißt es in dem Lagebericht. Gleichzeitig betonte die ukrainische Militärführung, dass russische Versuche, gewaltsame Aufklärung im Gebiet Krasnopillja zu betreiben, mit hohen Verlusten für die Angreifer endeten.
Der russische Vormarsch auf den Raum Slowjansk-Kramatorsk, in dem das Hauptquartier der ukrainischen Streitkräfte im Donbass liegt, stockt damit weiterhin.
4 Uhr: Johnson fordert Westen zu dauerhafter Unterstützung der Ukraine auf
Der britische Premierminister Boris Johnson (58) hat die westlichen Verbündeten der Ukraine aufgefordert, das Land langfristig zu unterstützen und vor den Folgen eines möglichen Siegs Russlands gewarnt.
In einem Gastbeitrag für die Zeitung The Sunday Times schrieb Johnson, Kiews Unterstützer müssten sicherstellen, dass die Ukraine "die strategische Ausdauer hat, um zu überleben und schließlich zu gewinnen".
"Zeit ist jetzt der entscheidende Faktor", schrieb Johnson in seinem am späten Samstagabend online veröffentlichten Artikel. Alles werde jetzt davon abhängen, "ob die Ukraine ihre Verteidigungsfähigkeit schneller stärkt, als Russland seine Angriffsfähigkeit erneuert". Aufgabe der Verbündeten sei es "dafür zu sorgen, dass die Zeit für die Ukraine spielt".
3.33 Uhr: Scholz verteidigt Merkels Aussöhnungsversuch mit Russland
Bundeskanzler Olaf Scholz (64, SPD) hat die Aussöhnungspolitik seiner Vorgängerin Angela Merkel (67, CDU) mit Russland im Grundsatz verteidigt. "Der Versuch einer Aussöhnung kann nie falsch sein und der Versuch, friedlich miteinander zurechtzukommen, auch nicht", sagte Scholz in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. "Da sehe ich mich eng an der Seite meiner Vorgängerin."
Ganz anders bewertete der SPD-Politiker allerdings die Energiepolitik gegenüber Russland in den letzten Jahren. "Ein Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik war es aber, dass wir unsere Energieversorgung zu sehr auf Russland konzentriert haben, ohne die nötige Infrastruktur zu bauen, dass wir im Falle eines Falles schnell umsteuern können", sagte er.
Er selbst habe sich als Hamburger Bürgermeister allerdings dafür eingesetzt, an der norddeutschen Küste Flüssiggas-Terminals zu bauen. "Nun müssen wir das rasch nachholen."
0.35 Uhr: NATO-Generalsekretär hält jahrelangen Krieg für möglich
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (63) rechnet mit einem jahrelangen Krieg in der Ukraine. "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass er Jahre dauern könnte", sagte er der Bild am Sonntag. Deshalb dürfe man nicht nachlassen in der Unterstützung der Ukraine gegen Russland.
Die Kosten dafür seien hoch, weil die Militärhilfe teuer sei und die Preise für Energie und Lebensmittel steigen. Aber das sei kein Vergleich zu dem Preis, den die Ukraine jeden Tag mit vielen Menschenleben zahle, sagte Stoltenberg. Wenn man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) nicht entschieden entgegentrete, "dann bezahlen wir einen viel höheren Preis".
Der NATO-Chef erwartete, dass die Ukraine mithilfe weiterer Waffenlieferungen aus dem Westen die russischen Truppen wieder aus dem Donbass vertreiben kann. "Die Ukrainerinnen und Ukrainer wehren sich mutig gegen die russischen Invasoren", sagte er der Zeitung.
0.20 Uhr: Zivilisten wollen ukrainisches Chemiewerk angeblich nicht verlassen
Die ukrainischen Zivilisten in Schutzräumen des Chemiewerks Azot in der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk wollen nach Angaben der Gebietsführung nicht evakuiert werden.
"Es gibt ständigen Kontakt zu ihnen. Man hat ihnen mehrfach eine Evakuierung angeboten, aber sie wollen nicht", sagte der Gouverneur des ostukrainischen Gebietes Luhansk, Serhij Hajdaj, am Samstag im Fernsehen. In dem Werk hätten 568 Zivilisten Schutz gesucht, darunter 38 Kinder.
Der Ort sei nicht mit dem Stahlwerk Azovstal in der Hafenstadt Mariupol zu vergleichen, sagte Hajdaj. "Das ist keine unterirdische Stadt. Das sind einzelne Notunterkünfte, die getrennt, nicht untereinander verbunden sind." In einem Bunkersystem unter dem Stahlwerk Azovstal hatten ukrainische Verteidiger und Zivilisten noch wochenlang ausgeharrt, als Mariupol schon längst von russischen Truppen erobert war.
0.01 Uhr: Russische Raketen zerstören ukrainische Öltanks bei Dnipro
Russische Truppen haben am Samstag mit einem Raketenangriff Öltanks nahe der zentralukrainischen Stadt Dnipro zerstört. Die regionale Verwaltung berichtete von drei Raketen, die das Depot im Kreis Nowomokowsk trafen.
"Es gibt ein starkes Feuer", schrieb der Gouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, auf Telegram. Drei Menschen seien mit Verbrennungen in Krankenhäuser gekommen. Insgesamt seien elf Menschen verletzt worden.
In der Nähe der Stadt Isjum in der Ostukraine trafen russische Raketen eine Fabrik, die Gas verarbeitet. Auch dort gab es einen großen Brand, wie der Gouverneur des Gebietes Charkiw, Oleh Synjehubow, mitteilte. Außer der Fabrik seien auch Wohnhäuser getroffen worden. Angaben zu Opfern wurden in diesem Fall nicht gemacht.
Titelfoto: Oliver Berg/dpa