Ukraine-Krieg, Tag 114: Putin über Atomwaffen: "Alle sollen wissen, was wir haben"

Ukraine - Es ist der mittlerweile der 114. Tag, seit Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Nun will das von der Invasion erschütterte Land unbedingt die Aussicht auf einen EU-Beitritt. Alle aktuellen Entwicklungen gibt es Ihr hier im TAG24-Liveticker.

Bundeskanzler Olaf Scholz (64, 2.v.r., SPD) mit Mario Draghi (74, 3.v.r.), Ministerpräsident von Italien, Klaus Iohannis (63, 3.v.l.), Präsident von Rumänien, und Emmanuel Macron (44, 2.v.l.), Präsident von Frankreich, in Irpin.
Bundeskanzler Olaf Scholz (64, 2.v.r., SPD) mit Mario Draghi (74, 3.v.r.), Ministerpräsident von Italien, Klaus Iohannis (63, 3.v.l.), Präsident von Rumänien, und Emmanuel Macron (44, 2.v.l.), Präsident von Frankreich, in Irpin.  © dpa/Kay Nietfeld

Einen Tag nach der Kiew-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (64, SPD) und seinen Kollegen aus Italien, Frankreich und Rumänien kann die Ukraine am Freitag auf weitere Unterstützung für ihre Ambitionen auf einen EU-Beitritt hoffen.

Die EU-Kommission in Brüssel will gegen Mittag ihre Empfehlung zum Umgang mit dem ukrainischen Antrag auf einen EU-Beitritt abgeben. Auch soll es Empfehlungen und Analysen zu den Beitrittsanträgen der Moldau und Georgiens geben.

Nach Informationen aus der Nacht wird sich die Behörde unter der Leitung von Ursula von der Leyen (63) voraussichtlich dafür aussprechen, der Ukraine und der Moldau den Status als EU-Beitrittskandidaten zu geben.

Hamburgs Bürgermeister Tschentscher überraschend nach Kiew gereist
Ukraine Hamburgs Bürgermeister Tschentscher überraschend nach Kiew gereist

Auf Grundlage der Empfehlung der EU-Kommission müssen die EU-Staaten entscheiden, wie es weitergeht. Die Ansichten der Regierungen zum Thema gehen bislang weit auseinander. So halten Länder wie Portugal und die Niederlande die Vergabe des Kandidaten-Status an die drei Staaten im östlichen Europa nach Angaben von Diplomaten für verfrüht und rein symbolisch.

Die wichtigsten Geschehnisse des gestrigen Tages könnt Ihr im TAG24-Ticker vom Donnerstag nachlesen. Alle aktuellen Entwicklungen im Zuge des Krieges vom heutigen Freitag, den 17. Juni, gibt es hier im Liveticker.

21.49 Uhr: Ukrainische Truppen erobern angeblich Dorf im Osten zurück

Ukrainische Truppen haben nach Angaben ihrer Militärführung ein Dorf im umkämpften Osten des Landes von russischen Truppen zurückerobert. Der Generalstab nannte am Freitagabend das Dorf Dmytriwka bei Isjum im Gebiet Charkiw. Die Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar.

Zunächst hatte der Vorstoß über die Stadt Isjum hinaus die russischen Angreifer bis weit in den Rückraum der ukrainischen Verteidiger des Donbass geführt. Westliche Quellen wie das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) verzeichneten aber am Donnerstag für die Region Isjum erfolgreiche ukrainische Gegenangriffe.

In der östlichsten Stadt der Frontlinie, Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk, war den ukrainischen Angaben nach weiter jede Straße umkämpft. Die Stadt und ihre Umgebung liege unter schwerem Artilleriefeuer. In Bunkern unter dem Chemiewerk Azot in Sjewjerodonezk sollen sich Berichten zufolge noch mehrere Hundert Zivilisten aufhalten.

20.36 Uhr: Merz über Scholz' Kiew-Reise: Keine Waffen und zu wenig Konkretes

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeworfen, der Ukraine bei seinem Besuch in Kiew zu wenig konkrete Zusagen gemacht zu haben: nicht mehr Waffen und keine Unterstützung für einen Sieg des Landes.

"Es macht keinen Sinn, einem Land wie der Ukraine den Beitrittsstatus und den Kandidatenstatus (für die EU) zu geben, wenn das Land als Ganzes in seiner Existenz gefährdet ist", sagte Merz dem Fernsehsender Welt. "Und da finde ich muss Europa, da finde ich muss auch die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland mehr tun, als jetzt einen Status zu verleihen, für eine Zeit, die eben erst nach diesem Krieg überhaupt realistischerweise beginnen kann. Wir müssen, meine ich, schon etwas mehr sagen auch zur physischen Existenz dieses Staates, die ja nun von Russland massiv bedroht wird."

Die Ukraine müsse den Krieg gewinnen - in dem Sinne, dass sie die russische Armee zumindest bis an die Kontaktlinie zurückdränge, die vor Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 bestanden habe, sagte Merz. "Und ich hätte mir in der Tat vom deutschen Bundeskanzler eine klarere Sprache gewünscht."

Seiner Ansicht nach wäre es gut gewesen, wenn die vier Staats- und Regierungschefs eine gemeinsame Sprache auch gegenüber Russland gesprochen hätten. "Dazu sind sie offensichtlich nicht in der Lage, weil der Dissens auf der europäischen Seite zu groß ist."

Friedrich Merz hat Olaf Scholz vorgeworfen, der Ukraine bei seinem Besuch in Kiew zu wenig konkrete Zusagen gemacht zu haben.
Friedrich Merz hat Olaf Scholz vorgeworfen, der Ukraine bei seinem Besuch in Kiew zu wenig konkrete Zusagen gemacht zu haben.  © Robert Michael/dpa

20.14 Uhr: Militäroperation in Ukraine war laut Putin "erzwungen und notwendig"

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den seit fast vier Monaten andauernden Krieg gegen die Ukraine erneut als alternativlos gerechtfertigt.

"In der aktuellen Situation, vor dem Hintergrund zunehmender Risiken und Bedrohungen für uns, war die Entscheidung Russlands, eine militärische Spezial-Operation durchzuführen, (...) erzwungen und notwendig", sagte Putin am Freitag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Der Westen habe die Ukraine zuvor "buchstäblich mit seinen Waffen und seinen Militärberatern aufgepumpt", meinte der Kremlchef.

Putin sagte weiter: "Die Entscheidung zielt auf den Schutz unserer Bürger ab und auf den der Bewohner der Volksrepubliken im Donbass, die acht Jahre lang dem Völkermord durch das Kiewer Regime ausgesetzt waren." Angesprochen auf Russen, die sich angesichts der Angriffe ihrer Armee im Nachbarland schämten, sagte Putin: "Wissen Sie, es schämen sich diejenigen, die ihr Schicksal und ihr Leben, das Leben ihrer Kinder, nicht mit unserem Land verbinden."

20 Uhr: Scholz: "Es ist absolut notwendig, mit Putin zu sprechen"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat direkte Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verteidigt und weitere angekündigt. "Es ist absolut notwendig, mit Putin zu sprechen", sagte Scholz am Freitag in einem auf Englisch geführten TV-Interview der Deutschen Presse-Agentur.

"Ich werde dies auch weiterhin tun, ebenso wie der französische Präsident." Es sei notwendig, dass einige Länder und einige Führungspersönlichkeiten mit Putin sprechen.

Es sei auch nötig, dass diese Gespräche mit dem russischen Präsidenten klar seien. "Ich sage zum Beispiel dieselben Dinge, die ich Ihnen sage", sagte Scholz an die Reporterin, mit Blick auf Putin: "Verstehen Sie bitte, dass es keinen Diktatfrieden geben wird.

Und wenn Sie glauben, Sie könnten Land rauben und dann hoffen, dass sich die Zeiten ändern und Dinge wieder normal werden, dann ist es ein Irrtum." Er fordere Putin auch auf, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen und eine Vereinbarung mit der Ukraine zu erzielen, die akzeptabel und richtig für die Ukraine sei, sagte Scholz.

19.08 Uhr: Putin über Atomwaffen: "Alle sollen wissen, was wir haben"

Kremlchef Wladimir Putin hat eine von Russland ausgehende Gefahr eines Atomkriegs zurückgewiesen. Sobald man auf Äußerungen ausländischer Politiker reagiere, hieße es sofort, Russland drohe irgendjemandem, sagte Putin am Freitag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg.

Dann fügte er hinzu: "Wir bedrohen nichts. Aber alle sollen wissen, was wir haben und was wir gegebenenfalls einsetzen werden, um unsere Souveränität zu schützen."

Wegen des seit fast vier Monaten andauernden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine machen sich viele Sorgen, dass es im schlimmsten Fall sogar zum Einsatz von Atomwaffen kommen könnte. Moskau weist diese Absicht stets zurück. Russland betont vielmehr immer wieder, dass es - anders als die USA - in seiner Militärdoktrin kein Erstschlagrecht verankert habe.

Dieses vom russischen Fernsehsender RU-RTR via AP zur Verfügung gestellte Standbild zeigt den Teststart einer neuen Sarmat-Interkontinentalrakete. Nuklear bestückbare Interkontinentalraketen mit unbegrenzter Reichweite sind ein Beispiel aus einem ganzen Arsenal neuer atomarer Waffen.
Dieses vom russischen Fernsehsender RU-RTR via AP zur Verfügung gestellte Standbild zeigt den Teststart einer neuen Sarmat-Interkontinentalrakete. Nuklear bestückbare Interkontinentalraketen mit unbegrenzter Reichweite sind ein Beispiel aus einem ganzen Arsenal neuer atomarer Waffen.  © RU-RTR Russian Television/AP/dpa

18.33 Uhr: Putin über EU-Perspektive für Ukraine: "Haben nichts dagegen"

Russland hat Aussagen von Wladimir Putin zufolge grundsätzlich keine Einwände gegen einen EU-Beitritt der Ukraine, gegen die es seit fast vier Monaten Krieg führt.

"Wir haben nichts dagegen. Es ist die souveräne Entscheidung jedes Landes, Wirtschaftsbündnissen beizutreten oder nicht beizutreten", sagte Putin am Freitag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg.

"Die EU ist im Gegensatz zur Nato keine militärische Organisation, kein politischer Block." Ob eine Mitgliedschaft der Ukraine im Sinne der EU sei, müsse sie selbst wissen, meinte er. "Aber die Wirtschaftsstruktur der Ukraine ist so, dass sie sehr große Substitutionen brauchen wird."

Die EU-Kommission hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, die Ukraine und ihr Nachbarland Moldau offiziell zu Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union zu ernennen. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte daraufhin, Russland werde die Situation "sehr genau beobachten".

16.21 Uhr: Russland behindert die ukrainischen Getreidelieferungen laut Putin nicht

Russland behindert nach Worten von Kremlchef Wladimir Putin nicht die Getreidelieferungen aus der Ukraine. "Nicht wir haben die Häfen vermint", sagte der russische Präsident am Freitag auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Sollte Kiew sich entscheiden, die Minen zu räumen, werde Moskau die Sicherheit der Ausfuhren gewährleisten, sagte Putin.

Nach Darstellung des russischen Präsidenten sind die ukrainischen Getreidelieferungen für den Weltmarkt allerdings unbedeutend. Es gehe um fünf bis sechs Millionen Tonnen Weizen und eine etwa ebenso große Menge Mais. Das sei für den Weltmarkt unerheblich, sagte Putin.

Viel größere Auswirkung auf die steigenden Lebensmittelpreise hätten die westlichen Sanktionen gegen Russland. Gerade die Ausfuhr von Düngemitteln gefährde künftige Ernten und treibe so weiter die Preise an, warnte er.

16.07 Uhr: Wagenknecht: Biden ohne Interesse an schnellem Ende des Ukraine-Kriegs

Die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht hat US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premierminister Boris Johnson vorgeworfen, den Krieg in der Ukraine weiterlaufen lassen zu wollen.

"Das Schlimme ist, dass es auf westlicher Seite, zumindest bei Joseph Biden und Boris Johnson, erklärtermaßen kein Interesse gibt, diesen Krieg schnell auf dem Verhandlungsweg zu beenden", sagte Wagenknecht der Tageszeitung "Junge Welt".

"Sie setzen auf einen langen Krieg, um Russland maximal zu schwächen." Mit solch einer "absolut zynischen und hochgefährlichen Strategie" könne der Krieg jederzeit über die Ukraine hinaus eskalieren.

15.30 Uhr: "Wirtschaftlicher Blitzkrieg" des Westens laut Putin gescheitert

Die westlichen Sanktionen gegen Russland haben nach Darstellung von Kremlchef Wladimir Putin ihre Wirkung verfehlt. "Der wirtschaftliche Blitzkrieg hatte von Anfang an keine Chancen auf Erfolg", sagte Putin am Freitag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg.

"Wir sind starke Leute, und wir kommen mit jeder Herausforderung klar." Die Sanktionen, die westliche Staaten als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine verhängt haben, bezeichnete Putin als "wahnsinnig" und "gedankenlos". Die Strafmaßnahmen träfen die EU ebenfalls hart. Er bezifferte den Schaden für Europa mit 400 Milliarden Dollar.

Putin kritisierte in seiner Rede vor Wirtschaftsvertretern den Westen auch darüber hinaus. Die USA führten sich wie der "Bote Gottes auf Erden" auf, meinte er. Der Westen wolle andere Teile der Welt kolonialisieren.

Wladimir Putin (69) betrachtet die westlichen Sanktionen gegen Russland als gescheitert.
Wladimir Putin (69) betrachtet die westlichen Sanktionen gegen Russland als gescheitert.  © Evgeny Biyatov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

13.22 Uhr: Kreml will EU-Perspektive für Ukraine "genau beobachten"

Der Kreml hat sich zur EU-Perspektive der Ukraine zurückhaltend gezeigt.

Es handele sich hier nicht um eine militärpolitische Ebene, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow (54) der Agentur Interfax zufolge als Reaktion auf die Empfehlung der EU-Kommission, die Ukraine offiziell zur EU-Beitrittskandidatin zu ernennen.

Trotzdem erfordere diese Entwicklung Russlands erhöhte Aufmerksamkeit, weil man über die "Stärkung der Verteidigungskomponente der Europäischen Union" Bescheid wisse, sagte Peskow. "Es finden verschiedene Transformationen statt, die wir natürlich sehr genau beobachten." Moskau hatte der EU bereits in der Vergangenheit vorgeworfen, sich aus einem Wirtschaftsbündnis in "einen aggressiven militanten Akteur" verwandelt zu haben.

Titelfoto: RU-RTR Russian Television/AP/dpa

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