Ukraine-Krieg: Wirbt Tönnies in Not geratene Geflüchtete als billige Arbeitskräfte an?
Przemyśl/Rheda-Wiedenbrück - Offenbar will der Fleischkonzern Tönnies an der polnisch-ukrainischen Grenze Geflüchtete als billige Arbeitskräfte für seine deutschen Standorte anwerben. Versucht das Unternehmen, die Not der ukrainischen Kriegsflüchtlinge auszunutzen?

Wie die Tagesschau exklusiv berichtet, würden Mitarbeiter des Schlachtbetriebes im polnischen Przemyśl, einer Stadt mit 60.000 Einwohnern direkt an der Grenze, an Menschen aus der Ukraine Flyer verteilen, mit denen Produktionshelfer angeworben werden sollen.
Einer dieser Zettel liegt dem ARD-Politikmagazin "Panorama" vor. Auf Anfrage von "Panorama" habe Tönnies die Anwerbeversuche bestätigt.
Dazu habe die Firma drei Mitarbeiter ins Grenzgebiet geschickt, diese würden dann vor Ort den mehrheitlich weiblichen Kriegsflüchtlingen ein Arbeitsangebot machen.
Das räumte auch Tönnies-Sprecher Fabian Reinkemeier ein: Das Unternehmen suche an der Grenze gezielt nach Arbeitskräften, bevorzugt würden Einzelpersonen. Laut Reinkemeier bietet der Konzern "elf Euro die Stunde" und liegt "damit über dem gesetzlichen Mindestlohn".
Zusätzlich würde Tönnies Geflüchtete, die das Angebot annehmen, nach Deutschland bringen und eine Unterkunft organisieren. Die Kosten für die neue Bleibe würden allerdings direkt vom Gehalt abgezogen werden. Das stehe auch auf dem Flyer.
Doch die Aktion kommt nicht bei allen gut an!
Der Konzern hilft nur bestimmten Personen

Patrick Walkowiak, der für die NGO Friends of Medyka tätig ist, hat das Vorgehen der Tönnies-Abgesandten beobachtet und mit den Leuten gesprochen. Diese hätten ihm dann mitgeteilt, nur arbeitsfähigen Personen zu helfen - und deshalb auch keine Kinder oder alte Menschen mitzunehmen.
Der Ehrenamtliche Walkowiak beschreibt die Lage vor Ort als Extremsituation und chaotisch. Es sei ein Kommen und Gehen der Geflüchteten, von denen einige auch nach Deutschland wollten. Weil es an Transportmöglichkeiten fehlt, würden viele allerdings tagelang in den Erstaufnahmelagern ausharren.
In ihrer Not könnten die Ukrainer diese Anwerbeversuche gar nicht richtig bewerten. Und diese Lage könnte von Tönnies ausgenutzt werden!
Für Inge Bultschneider von der Interessengemeinschaft "WerkFAIRträge" sind diese Versuche geschmacklos. Die Organisation kämpft seit Langem für besser Arbeits- und Wohnverhältnisse von Migranten in der Fleischindustrie.
Bultschneider: "Sich am Elend zu bereichern und es als gute Tat zu verkaufen, ist in der Fleischbranche nichts Neues. 2015 bei der Flüchtlingswelle haben wir Ähnliches erlebt".
Clemens Tönnies spendet Wurstkonserven

Zudem habe sich Clemens Tönnies (65), Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tönnies Holding, bis zum Beginn des Ukraine-Krieges als Freund des russischen Präsidenten, Wladimir Putin (69) bekannt.
"Wir helfen den Kriegsflüchtlingen vor Ort und bieten ihnen eine Zukunftsperspektive. Wir bereichern uns nicht an der Not der Flüchtlinge. Das ist eine völlig irre Aussage. Wir tarnen auch nichts als gute Tat", weist Fabian Reinkemeier die Kritik zurück.
Seinen Angaben zufolge habe Tönnies bereits an zwei Standorten rund ein Dutzend Geflüchtete aus der Ukraine eingestellt. Darunter auch Frauen, die mit ihren Kindern in Unterkünften des privaten Wohnungsmarktes untergebracht werden konnten.
Außerdem verwies Reinkemeier gegenüber "Panorama" darauf, dass sich Konzernchef Tönnies persönlich Anfang März für die Ukraine-Flüchtlinge engagiert habe: Damals soll er einen Transport mit Hilfsgütern begleitet und lange haltbare Wurstkonserven gespendet haben.
Titelfoto: Montage: Jakub Golata/PA Media/dpa, David Inderlied/dpa