Chance oder Flop? Forscher wollen Fischstäbchen aus Zellen herstellen

Lübeck – Fischstäbchen, die im Labor aus Zellen von Fischen gezüchtet wurden, sollen nach den Plänen des Start-up-Unternehmens "Bluu Seafood" schon bald auf den Tellern der Verbraucher landen.

Proben kultivierter Fischzellen sind auf einem Monitor eines Mikroskops von "Bluu Seafood" zu sehen.
Proben kultivierter Fischzellen sind auf einem Monitor eines Mikroskops von "Bluu Seafood" zu sehen.  © Axel Heimken/dpa

Viele Gewässer sind überfischt. Als Ausweg setzt ein Lübecker Start-up auf die Zucht von Lachsen und Forellen aus Fischzellen.

Die Produkte hätten Marktreife erreicht, jetzt gingen sie in das Zulassungsverfahren, sagte der Vizepräsident von "Bluu Seafood", Hans-Georg Höllerer. Anfang 2025 könnten die ersten Zuchtfisch-Produkte des Unternehmens in Europa erhältlich sein.

"Wir entnehmen aus dem Gewebe lebender Forellen oder Lachse Stammzellen und lassen sie in einer Nährlösung zu Muskelzellen heranreifen", sagte Höllerer.

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Die würden anschließend in einem Bioreaktor auf einem Gerüst aus Kollagen oder Polysacchariden verankert.

"Dadurch entsteht eine Struktur aus Muskelfasern, die mit pflanzlichen Proteinen angereichert und zu Fischbällchen oder Fischstäbchen geformt werden kann", so Höllerer.

Beliebige Menge an Fischstäbchen aus unsterblichen Zelllinien

Sebastian Rakers, Gründer und Geschäftsführer von "Bluu Seafood" betrachtet im Labor Proben kultivierter Fischzellen.
Sebastian Rakers, Gründer und Geschäftsführer von "Bluu Seafood" betrachtet im Labor Proben kultivierter Fischzellen.  © Axel Heimken/dpa

Die Zellen dafür werden nach Unternehmensangaben durch eine Biopsie, also eine Gewebeentnahme von lebenden oder frisch geschlachteten Fischen, gewonnen.

"Das ist ein einmaliger Vorgang", betonte Höllerer. "Da wir eine sogenannte immortalisierte (unsterbliche) Zelllinie kreieren, können die Zellen unbegrenzt wachsen und sich teilen. So können wir eine beliebige Menge an Produkten herstellen, ohne neue Fische töten zu müssen", erläuterte er.

Außerdem sei der kultivierte Fisch im Gegensatz zu Wildfängen oder Fisch aus Fischfarmen frei von Mikroplastik, Medikamenten oder Schwermetallen.

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Entstanden ist das Unternehmen im Jahr 2021 als Ausgründung des Fraunhofer-Entwicklungszentrums für Marine und Zelluläre Biotechnologie (EMB) in Lübeck. In dem Zentrum werde bereits seit Jahren unter anderem zur Kultivierung von Nahrungsmitteln auf Zellbasis geforscht, sagte der Leiter der Einrichtung, Charli Kruse. "Das erste Patent zu fleischähnlichen zellbasierten Lebensmitteln haben wir hier schon 2004 entwickelt", sagte er.

"Die Kultivierung von Fischzellen ist nicht schwieriger, als die von Säugetierzellen. Mit denen gibt es nur mehr Erfahrung", sagte Kruse.

Vor der Vermarktung müssen die Produktionskosten gesenkt werden

Sebastian Rakers betrachtet im Labor gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Ying Ying Lang aus Taiwan Proben kultivierter Fischzellen.
Sebastian Rakers betrachtet im Labor gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Ying Ying Lang aus Taiwan Proben kultivierter Fischzellen.  © Axel Heimken/dpa

Derzeit werde noch im Labormaßstab produziert, sagte der Gründer und Geschäftsführer von "Bluu Seafood", Sebastian Rakers. "Doch wir wollen voraussichtlich Ende 2022 in Hamburg eine Produktionsstätte errichten, in der pro Monat mehrere hundert Kilogramm Biomasse kultiviert werden können."

Derzeit werde noch an der Optimierung der Prozesse gearbeitet, um die Produktionskosten zu senken.

"Im Moment kostet die Herstellung von einem Kilogramm Biomasse noch etwa 100 Euro, rund die Hälfte davon entfällt auf die Wachstumslösung für die Zellen", sagte Rakers.

"Diese Kosten wollen wir in den nächsten fünf Jahren auf etwa einen Euro je Kilo senken."

Fischereibiologe übt Kritik: "Davon kann man die Welt nicht ernähren"

Der Fischereibiologe Rainer Froese vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar hält dagegen wenig von zellbasierter Fischzucht. "Die Natur hat bereits völlig kostenlos Wild-Fische wachsen lassen, die wir nur nachhaltig ernten müssten", sagte er. Nachhaltig wäre es, pro Jahr etwa 20 Prozent der vorhandenen Wild-Fischmenge zu fangen. Gegenwärtig würden jedoch 40 bis 60 Prozent abgefischt, sagte er.

In einer 2018 in der Zeitschrift "Marine Policy" veröffentlichten Studie kommen Froese und seine Kollegen vom Geomar-Institut zu dem Ergebnis, dass bei nachhaltiger Befischung in Europa dauerhaft mehr als 5 Millionen Tonnen pro Jahr mehr gefangen werden könnten.

"Zellbasierter Fisch wird meiner Ansicht nach ein Nischenprodukt bleiben, die Welt kann man damit mit Sicherheit nicht ernähren", sagte Froese.

Titelfoto: Axel Heimken/dpa

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