Kommentar zum ABBA-Comeback: Voulez-vous neue Lieder?

Berlin - ABBA ist wieder da – hurra? Für die einen die Pop-Sensation schlechthin, für die anderen ein musikalischer Schwedentrunk. Warum dieser ideologische Grabenkampf zwischen Clou und Tand schwierig ist. Ein Kommentar.

Eine virtuelle Version von ABBA soll am 27. Mai 2022 eine Reihe von Konzerten in London geben.
Eine virtuelle Version von ABBA soll am 27. Mai 2022 eine Reihe von Konzerten in London geben.  © Industrial Light And/PA Media/dpa

Das Undenkbare ist passiert: Nach ihrer Trennung im Jahr 1982 schloss die legendäre schwedische Pop-Band ein Comeback aus. Eigentlich.

2018 sollte sich das ändern, als Agnetha Fältskog (71), Benny Andersson (74), Björn Ulvaeus (76) und Anni-Frid "Frida" Lyngstad (75) bekannt gaben, dass sie zwei neue Songs aufgenommen hätten. Was würde uns erwarten? Loops von Billie Eilish (19)? Eine Hook von Mac Miller (†26)?

Als am Donnerstagabend endlich "I Still Have Faith In You" und "Don't Shut Me Down" erschienen, die YouTube-Trends aus dem Stand eroberten, an die Spitze schossen und in den Top 20 bei iTunes landeten, war klar: Es ist, als wären die Musik-Ikonen nie weg gewesen.

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Die besagten Songs des kommenden Albums "Voyage" schließen nahtlos an die Qualität der alten an, hängen sie sich doch an deren Struktur auf. Die Reise kann nur gut werden.

So ist auch das Wildern im eigenen Garten zu verzeihen, dass "Don't Shut Me Down" ein Selbstplagiat von "If It Wasn't For The Nights" (1980), garniert mit Anleihen an Al Bano & Romina Powers "Felicità" (1982), ist. Tatsächlich setzen ABBA qualitativ und inhaltlich fort, was mit dem Album "The Visitors" (1981) zunächst ein Ende fand.

Dennoch geht ein Raunen durch das Feuilleton. Darf ich mich über neue Songs freuen, steht ächzend über all dem, oder muss ich Kontra geben, dagegen anschreiben?

Es wird leider zerdenkt, ein popkultureller Diskurs angestrengt, als sei es falsch, die neuen Lieder, als das anzunehmen, was sie sind: sauber und stringent produziertes Gegenmittel gegen den Alltags-Trübsinn.

Wem das zu schnöd ist, darf gerne offiziell Zwölftonmusik konsumieren, heimlich aber in den holzvertäfelten Partykeller hinabsteigen, verstohlen die alten Platten hervorkramen, auflegen und mit einem Seufzer feststellen: die Schweden-Liebe war nie vorbei, sie erwacht nur langsam wieder.

Ein "Waterloo" ist für die Königinnen und Könige des Pop ausgeschlossen.

ABBA - Don't Shut Me Down

ABBA - I Still Have Faith In You

ABBA feiern nach 40 Jahren ein fulminantes Comeback. (Archivbild)
ABBA feiern nach 40 Jahren ein fulminantes Comeback. (Archivbild)  © Tsugufumi Matsumoto/AP/dpa

ABBA bringt die gefühlte Leichtfüßigkeit der 70er Jahre zurück, ein Lebensgefühl, das trotz teils romantischer Verklärtheit in der Corona-Pandemie schafft, was Politik-Talks bislang selten leisten: Vereinen statt Spalten.

Es hätte keinen besseren Zeitpunkt für dieses warme "Alles wird wieder, wie es war"-Gefühl geben können, nach dem sich so viele ganz grundsätzlich und derzeit erst recht sehnen. Die Welt darf in Rosarot getüncht sein.

Wir leben in Zeiten, in denen wenig beständig ist, und selbst Schlager-Star Tony Marshall (83) den Schein nicht mehr wahrt, uns in die Realität katapultiert, indem er seine Perücke in den Ruhestand schickt.

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Manche zischen nach dem Vorgeschmack auf das kommende Album: vertonte Spießigkeit, andere unken: ABBA reißt das eigene Denkmal ein – und wieder andere quäken: Warum tut uns die Band das nach vierzig Jahren an?

Weil sie weiter relevant ist, auch bei jungen Menschen: Ihr Hit "Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)" ist 42 Jahre alt und dennoch seit Wochen ein viraler Sound auf TikTok. Kann da ABBA Sünde sein? Daran wird sich auch Rapper Kayne West (44) künftig messen müssen, ob er den Test der Zeit besteht.

ABBA singt indes "Don't Shut Me Down", als hätten sie das Lüftchen geahnt, gegen das sie nun so fulminant ansegeln.

ABBA schüttet Nostalgie mit dem Füllhorn über die Fans aus

TAG24-Redakteur Denis Zielke.
TAG24-Redakteur Denis Zielke.  © privat

Festzuhalten bleibt: Der Grundtenor ist im Schnitt überschwänglich. Erlebte Gänsehaut-Momente prägen die Kommentarspalten, nur vereinzelt wird von einem faden Gulasch gesprochen, das auch aufgewärmt nicht besser schmecke. Von einer Rentner-Band kann aber keine Rede sein.

Zugegeben: Meine Generation musste noch mit den A*Teens Vorlieb nehmen – in einer Zeit, in der sich Abklatsch an Abklatsch reihte und halbseidene Cover-Versionen den Soundtrack von Dorfdiskos und Scheunenfesten in der Provinz prägten.

Eine Zeit, die noch heute eng verzahnt mit dem ersten Klammerblues und dem zart ins Ohr gehauchten "Honey Honey" ist. Nostalgie? Ja! Bedauern? Nein! Das Original hätte dennoch besser geschmeckt – und von dem nehme ich jetzt gerne Nachschlag.

In diesem Sinne: "Dance (While the Music Still Goes On)"!

Titelfoto: Tsugufumi Matsumoto/AP/dpa, privat (Kildmontage)

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