Im TAG24-Interview: Jörg Kachelmann warnt vor der "Chaos-Komponente"

Leipzig - "Lieber Herr Kachelmann, bei TAG24 wollen wir einen Ausblick wagen auf den Winter 2021/22. Was wird er uns wettertechnisch bringen? Was meinen Sie?..." Diese Anfrage von TAG24-Redakteurin Pia Lucchesi entfachte einen Sturm der Entrüstung bei Jörg Kachelmann (63). Er wetterte heftig. Die prompt folgende Bitte um ein großes Interview schlug er aber nicht ab. Lest hier, was Jörg Kachelmann über seine Mission, die Meteorologie und die Medien zu sagen hat.

Jörg Kachelmann (63) ist bekannt aus Funk und Fernsehen. Der Moderator, Unternehmer, Sachbuchautor und Journalist wohnt und lebt mit seiner Familie in der Schweiz.
Jörg Kachelmann (63) ist bekannt aus Funk und Fernsehen. Der Moderator, Unternehmer, Sachbuchautor und Journalist wohnt und lebt mit seiner Familie in der Schweiz.  © picture alliance/Geisler-Fotopress

TAG24: Herr Kachelmann, Sie nennen journalistische Beiträge über das Wetter im folgenden Winter zornig "abseitigen und spekulativen Schwachsinn". Warum?

Jörg Kachelmann: Weil die Wissenschaft leider nicht so weit ist, das zu können bisher. Es gibt Langfrist-Vorhersagen, die des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersagen (ECMWF) sagen für alle Wintermonate, also Dezember-Februar, im Schnitt einen etwas zu warmen Monat vorher. Für all den Schwachsinn, der in der letzten Zeit geschrieben wurde, gibt es absolut keine wissenschaftliche Basis. Es wird in Onlinemedien bei Wetter- und Klimathemen gelogen, dass sich die Balken biegen, fantasiert, dass "La Niña" irgendwas mit unserem Winter zu tun hätte - völliger Blödsinn.

Die moderne Meteorologie verfügt über Hightech-Messmittel, Datenbanken und Computer, die Modelle und Simulationen durchführen. Was fehlt den Wissenschaftlern ihres Fachs noch, um das Wetter der kommenden Jahreszeit treffsicher vorherzusagen?

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Es fehlt noch viel. Im Moment sind wir erst auf dem Niveau, das Vorzeichen - also zu warm oder zu kalt - hinzubekommen. Es wird noch einige Jahrzehnte dauern, bis man das Problem löst, dass am Ende nach ein paar Wochen immer eine Chaos-Komponente ins Spiel kommt, die selbst den besten Anfangszustand und das beste Modellsystem nach einer gewissen Zeit schmetterlingsartig flattern lässt.

Jörg Kachelmann nennt journalistische Beiträge über das Wetter im folgenden Winter zornig "abseitigen und spekulativen Schwachsinn".
Jörg Kachelmann nennt journalistische Beiträge über das Wetter im folgenden Winter zornig "abseitigen und spekulativen Schwachsinn".  © 123rf/denisbelitsky
Nur als Schattenriss ist dieser Meteorologe zu erkennen, der vor einer Bildschirmwand steht, auf der die weltweiten Niederschlagsmengen farbig dargestellt werden.
Nur als Schattenriss ist dieser Meteorologe zu erkennen, der vor einer Bildschirmwand steht, auf der die weltweiten Niederschlagsmengen farbig dargestellt werden.  © dpa/Boris Roessler

"Deutschland ist eine globale Schwurbelzentrale"

Tausende Menschen nahmen im Sommer in Stuttgart an einer Demo gegen Corona-Beschränkungen teil. Die Initiative Querdenken711 hatte dazu aufgerufen.
Tausende Menschen nahmen im Sommer in Stuttgart an einer Demo gegen Corona-Beschränkungen teil. Die Initiative Querdenken711 hatte dazu aufgerufen.  © Imago images

Nervt es Sie als Meteorologen, dass so viele Menschen wissen wollen, ob sie sich auf eine weiße Weihnacht oder einen schneereichen Winter freuen können?

Das wollen nicht so viele Menschen wissen. Skrupellose JournalistInnen haben die Maxime entdeckt "Dumm klickt gut" und finden in der Branche immer ein, zwei Scharlatane, die völligen Blödsinn von sich geben, der dann veröffentlicht wird. Das klickt gut, woraus Sie dann ableiten, dass viele Menschen das wissen wollen. Ich persönlich kenne diese Menschen nicht, deren Leben davon abhängt, ob es zu Weihnachten Schnee gibt. Es sind einfach skrupellose Medien, die dazu beitragen, dass Wissenschaft in unserem Land keine große Rolle mehr spielt. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man Dinge wie Homöopathie, Impfverweigerung, Glaube, dass der Mond das Wetter beeinflusse und Schlimmeres ansieht: Deutschland ist eine globale Schwurbelzentrale und durch dumme Wettergeschichten wird das genutzt und befördert.

Warum ist es Wissenschaftlern möglich, Klimaveränderungen auf 0,1 Grad genau vorherzusagen, während Wetterprognosen zwei Monate im Voraus unseriös sind?

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Wenn Sie einen Topf Wasser auf den Herd stellen und diesen anmachen, wissen Sie, dass das Wasser mit der Zeit kochen wird. Sie wissen aber nicht, wo die erste Blase hochkommt.

Wie blicken Sie in Bezug aufs Klima in die Zukunft?

Pessimistisch.

Meteorologe & Moderator

Heiter bis sonnig: Jörg Kachelmann genießt als Moderator des Wetterberichts Kultstatus. Mitte der 1990er-Jahre gehörten lässige Kleidung und flapsige Sprüche zu seinen Markenzeichen im TV.
Heiter bis sonnig: Jörg Kachelmann genießt als Moderator des Wetterberichts Kultstatus. Mitte der 1990er-Jahre gehörten lässige Kleidung und flapsige Sprüche zu seinen Markenzeichen im TV.  © imago stock&people

Jörg Kachelmann zählt zu den bekanntesten TV-Gesichtern im deutschsprachigen Raum. Der 63-Jährige moderiert u.a. die Talkshow "Riverboat" im mdr-Fernsehen.

Dem Schweizer eilt der Ruf voraus, ein streitbarer Mensch, Multi-Unternehmer und Medienkritiker zu sein.

Sein Schwerpunkt ist die Meteorologie. Interesse an der Wetterkunde zeigte er bereits in Kindertagen.

Nach einer Karriere als Journalist in der Schweiz erklärte er jahrelang zur Primetime im deutschen Fernsehen Millionen Menschen das Wetter.

Seine Kachelmann-Unternehmensgruppe bietet meteorologische Dienstleistungen weltweit an und betreibt diverse Websites.

Titelfoto: Montage: 123rf/denisbelitsky; picture alliance/Geisler-Fotopress

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