Lars Eidinger spielt Stasi-Mitarbeiter in TV-Drama "Nahschuss"
Berlin/München - Für Franz Walter läuft es richtig gut. Er hat gerade promoviert, ist verliebt und hat Aussichten auf einen guten Job und eine schöne Wohnung. Er soll die Nachfolge seiner Professorin an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin antreten. Zuvor gibt es nur eine Kleinigkeit für ihn zu tun - für den Auslandsnachrichtendienst der DDR, für die Staatssicherheit.
Ein Auftrag, der ihn psychisch und moralisch an Grenzen bringt. "Nahschuss" heißt das eindringliche und erschütternde Drama mit Lars Eidinger (47), Luise Heyer (37) und Devid Striesow (49).
Der Film am Freitag um 20.15 Uhr auf Arte beruht auf der Lebensgeschichte von Werner Teske, der 1981 als letzter Mensch in der DDR wegen Spionage zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
Der Filmemacherin und Fotokünstlerin Franziska Stünkel (50) gelingt es, mit einfühlsamer Regieführung und einem hervorragenden Ensemble eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Kontrolle des Staates ist darin allgegenwärtig. Nichts, was der Stasi verborgen bleibt.
Bis in intimste Bereiche hinein sammelt sie ihre Informationen und setzt ihre Opfer damit skrupellos unter Druck. Dafür ist jedes noch so perfide Mittel recht. Bei Franz ist es seine kranke Mutter, die ihn verletzlich macht. Hält sich ihr Sohn an alle Regeln, erhält sie die lebensrettende Operation. Andernfalls....
Lars Eidinger spielt diesen Franz großartig
Eidinger spielt diesen Franz großartig - einen jungen Wissenschaftler voller Pläne, der an eine gute Zukunft glaubt. Dem beim Gedanken an seine Arbeit für die Staatssicherheit zwar leicht unwohl ist, der dann aber doch das macht, was die Stasi-Oberen von ihm verlangen: Den in die Bundesrepublik Deutschland geflohenen Fußballer Horst Langfeld (Leon Högehoge) bespitzeln.
Dazu muss er sogar nach Hamburg reisen, gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Dirk, beflissen-schmierig gespielt von Striesow. Erst allmählich bekommt die Zuversicht von Franz Risse, wachsen die Zweifel, die moralischen Bedenken und die Ängste, bis hin zum Gefühl ständiger Verfolgung. Denn eines macht ihm die Stasi unmissverständlich klar: Aussteigen kommt nicht infrage.
"Nahschuss" spielt zwar in der DDR, doch die moralischen Fragen, um die es geht, sind universell
Eidingers Darstellung des verzweifelten Franz geht unter die Haut und ist bisweilen kaum auszuhalten. Bis in die kleinste Regung hinein lotet er die Gefühle seiner Figur aus, ihre Alpträume, ihre Wut und ihre Fassungslosigkeit. Beeindruckend auch Luise Heyer als Corina, die den Erfolg ihres Liebsten anfangs kaum hinterfragt. Als sich Franz zurückzieht, ist sie erst verletzt, doch schließlich begreift auch sie den Ernst der Lage. Heyer steht mit ihrem intensiven Spiel Eidinger in nichts nach. Die beiden verstehen sich auch ohne viele Worte - was ihrer Beziehung Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit verleiht. Das macht die Geschehnisse umso aufwühlender.
"Nahschuss" spielt zwar in der DDR, doch die moralischen Fragen, um die es geht, sind universell. Wie weit kann und darf man in einem menschenverachtenden System mitspielen, um sich selbst zu schützen? Wo sind die Grenzen? Ab wann hält man es nicht mehr aus, selbst Teil dieser Maschinerie zu sein, die andere Menschen ins Unglück stürzt? Einfache Antworten gibt es nicht - und auch der Film verzichtet auf einen erhobenen moralischen Zeigefinger, sondern zeigt die Ohnmacht der Figuren in einem zutiefst menschenverachtenden System.
Die Regisseurin wollte aber noch etwas anderes bewirken: Auf ein düsteres Kapitel der Geschichte hinweisen. Dass es die Todesstrafe in der DDR gegeben habe, sei wenig im Bewusstsein der Gesellschaft verankert, stellte Stünkel fest. Der Film will seinen Teil zur Aufklärung beitragen. Er verweist deshalb nicht nur auf Teske, der am 26. Juni 1981 mit einem Genickschuss in der zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in Leipzig getötet wurde, sondern auch auf die 165 anderen Menschen, die in der DDR hingerichtet wurden. Erst im Jahr 1987 wurde die Todesstrafe in Ostdeutschland abgeschafft.
Titelfoto: Franziska Stünkel/ZDF/arte/dpa