Verherrlichung von Grusel-Effekten: So machte die Stasi Jagd auf Gruftis

Das ist kein Schülergekrakel, sondern allen Ernstes die originale Unterscheidungs-Kartei "negativ-dekadenter Jugendlicher in der DDR" des Ministeriums für Staatssicherheit.  © Ralf Seegers

Leipzig - Zu Pfingsten wird die Messestadt wieder zur Hochburg der "Schwarzen Szene". Was heute zur Normalität gehört, galt zu DDR-Zeiten als "negativ dekadenter" Jugendkult.

"Gruftis" wurden von der Stasi überwacht. Deren Spitzelberichte waren an Trivialität und Lächerlichkeit kaum zu überbieten, wie eine Ausstellung in Leipzigs ehemaliger Stasi-Zentrale zeigt.

Die wohl wichtigste Unterlage für den subkulturellen Einsatz des gemeinen Stasi-Spitzels war handgemalt: In acht Porträtzeichnungen wurde den Genossen der Unterschied zwischen Gruftis, Punkern, Trampern, Skinheads, Teds, Heavy-Metal-Fans, New Romantiks und Poppern visuell erklärt.

Darunter sind Kurzbeschreibungen zu lesen. Unter "Gruftis" ist unter anderem Folgendes vermerkt: "Verherrlichung von Gruseleffekten, Satans- u. Totenkult .... schwarz oder weiß gefärbtes, nach allen Seiten stehendes Haar ... totales politisches und gesellschaftliches Desinteresse".

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Die Leiterin der Leipziger Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde, Regina Schild (59), wird am Samstag ihre Archive für WGT-Besucher öffnen.  © Ralf Seegers

Und trotz dieser letzten Einschätzung war die "Schwarze Szene", der laut den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 1989 rund 600 DDR-Bürger angehörten, dem SED-Staat ein Dorn im Auge.

"Allein aufgrund ihres Aussehens wurde sie von der Stasi in der Sonderkartei 'negativ-dekadente Jugendliche' erfasst", sagt Regina Schild (59), die Chefin der Leipziger Stasi-Unterlagenbehörde (BStU). So wurden aus eher unpolitischen, vorrangig von modischen Interessen geleiteten jungen Menschen erst "Staatsfeinde" gemacht.

Aus den Akten des MfS geht zudem hervor, dass fast alle „Grufti“-Cliquen mit Stasi-IMs durchsetzt waren. "Einerseits wollte das MfS wissen, was die Szene macht und wie sie sich entwickelt, andererseits wurde versucht, Angst und Misstrauen einzubringen", erklärt Stasi-Expertin Schild.

Allerdings waren die Erkenntnisse der Spitzel oft trivial, ihre Berichte geradezu lächerlich. So notierte ein Stasi-IM nach einem Konzert der Gruppe „Frontal“, dass die "Guftis" Totenkopf-Anhänger trugen und "... tanzten wie ein billiger Indianertanz". Am Ende forderte der beflissene IM die Stasi gar zur "Wiederherstellung der sozialistischen Ordnung" auf.

Zum Wave-Gotik-Treffen öffnet die Unterlagenbehörde am Samstag ab 11 Uhr ihre Archive. Die Ausstellung "Gruftis, Punks & Co." in der "Runden Ecke" (Dittrichring 24) dokumentiert anhand von Original-Dokumenten und -Fotos des MfS die Angst des SED-Staats vor Subkulturen und deren Überwachung durch die Stasi. Der Eintritt ist frei.

An Pfingsten verdunkelt sich die Messestadt zum 26. Mal: Das WGT startet am Freitag.  © DPA
Ein Gothic-Mädchen in den Fängen der Stasi. Dieses Foto dokumentiert die erkennungsdienstliche Behandlung der jungen Frau Ende der 1980er jahre.  © Ralf Seegers
Leipzigs einstige Stasi-Zentrale, im Volksmund "Runde Ecke" genannt.  © Ralf Seegers