Millionen-Betrug: Fünf erschreckende Fakten zum Infinus-Fall

Dresden - Es ist der größte und strittigste Wirtschaftskriminalfall in Sachsen seit der Wende. Der Finanzdienstleister INFINUS agierte jahrelang von Dresden aus. Doch seit drei Jahren müssen sich die sechs Chefs vorm Landgericht wegen Betruges verantworten.

Die Angeklagten und ihre Verteidiger im Strafprozess um den Finanzdienstleister Infinus stehen im Gerichtssaal des Landgerichts Dresden.
Die Angeklagten und ihre Verteidiger im Strafprozess um den Finanzdienstleister Infinus stehen im Gerichtssaal des Landgerichts Dresden.  © Sebastian Kahnert/dpa

Sie hätten mit unlauteren Geschäften 22.000 Anleger um 360 Millionen Euro betrogen, so die Anklage. Der zähe Strafprozess neigt sich jetzt dem Ende. Derzeit werden die Plädoyers gehalten. Der Staatsanwalt fordert für die Ex-Bosse des Finanzdienstleisters bis zu acht Jahren Haft.

Doch abseits des Verfahrens bangen, hoffen und kämpfen Anleger um ihre Gelder. Dazu hat sich eigens die IG Infinus gegründet. Denn die zu verteilende Masse wird immer kleiner.

TAG24 sprach mit dem Vorstand der IG, Axel Nagel, über fünf Fakten im Infinus-Fall.

1. Geld der Anleger wird noch immer gesucht

Bei der Razzia wurde Vermögen für 400 Millionen Euro gesichert. Insolvenzverwalter müssen all das Vermögen verwerten, sprich: zu Geld umwandeln, damit die Gläubiger (unter anderem die Anleger) ausbezahlt werden können. Klingt einfach: Laut Staatsanwalt entstand ein Schaden von 360 Mio Euro. Gesichert wurden 400 Millionen.

So könnten die Anleger doch schon lange ausbezahlt worden sein. Doch die warten noch immer. Denn noch wird offenbar zusammengetragen. Dafür wurden zahlreiche Zusatzanwälte und Insolvenzverwalter beauftragt. Sie alle werden aus der Insolvenzmasse bezahlt.

Dazu kommt, dass offenbar Vermögen wie Immobilien unter Wert verscherbelt wurde, was die Masse für die Gläubiger weiter schmälert.

Bei der Razzia im November 2013 transportierte die Staatsanwaltschaft auch beschlagnahmte Fahrzeuge ab.
Bei der Razzia im November 2013 transportierte die Staatsanwaltschaft auch beschlagnahmte Fahrzeuge ab.  © Bruno Satelmajer

2. Die angebliche Schadenssumme beträgt inzwischen drei Milliarden Euro!

"Es ist wie eine wundersame Vermehrung", so Axel Nagel. "Die Insolvenzverwalter und die von ihnen beauftragten Anwälte haben inzwischen Forderungen für drei Milliarden Euro angemeldet."

Insolvenzverwalter müssen die Forderungen der Gläubiger zusammentragen. "Da es unterschiedliche Einzelfirmen bei Infinus gab, können gegeneinander Forderungen gestellt werden", so Nagel. Dadurch wird die Summe ebenso immer höher, wie durch mutmaßliche Doppelanmeldungen der Forderungen.

Je höher die Masse, desto höher (logisch) auch die (Bearbeitungs)-Gebühren, die Insolvenzanwälte in Rechnung stellen können. Gebühren, die ebenfalls vom Geld der Gläubiger – also von der Insolvenzmasse - bezahlt werden.

3. Geprellte Anleger sollen jetzt auch noch Zinsen zurückzahlen!

Die Zinsen bekamen sie, als der Infinus-Konzern noch arbeitete. Laut der Insolvenzverwalter handelt es sich dabei aber um Scheinzinsen, denn das Unternehmen habe nicht korrekt agiert. Anleger, die sowieso schon ihr Geld verloren haben, sollen nun also auch noch draufzahlen.

Und das, obwohl Gerichte und Bundesbank (in einem internen Schreiben) bescheinigen, dass die Zahlungsfähigkeit der Infinus jederzeit gegeben war und die Bilanzen richtig erstellt waren. Von Scheinzinsen kann also kaum die Rede sein.

Axel Nagel ist Vorstand der Interessengemeinschaft Infinus, bündelt die Anliegen von gut 5000 ehemaligen Anlegern.
Axel Nagel ist Vorstand der Interessengemeinschaft Infinus, bündelt die Anliegen von gut 5000 ehemaligen Anlegern.  © Lena Dickgießer

Weil die Anleger den Forderungen nicht nachkommen, werden jetzt tausende von ihnen von den Insolvenzverwaltern verklagt!

Und auch hier gilt: Diese Klagen kosten Gebühren. Die wiederum aus der Insolvenzmasse, also vom Geld der Anleger, bezahlt werden. Sogar, wenn die Klagen abgewiesen werden sollten. "Die Insolvenzmasse, aus der die Anleger also eigentlich ihr Geld zurückbekommen sollen, wird verschmälert, weil daraus auch noch derartige Gerichtsgebühren bezahlt werden", erklärt Nagel voller Unverständnis.

Übrigens: Ein Musterverfahren wäre bedeutend günstiger, eben weil es nur ein Verfahren wäre, mithin auch nur einmal Gebühren anfallen würde.

4. Auch der Freistaat sollte zurückzahlen

Sachsen wurde von Insolvenzverwaltern aufgefordert, die von Infinus eingenommene Kapitalertragssteuer zurückzuzahlen. Denn solange das Unternehmen lief, kassierte ja auch der Freistaat Gelder von der Firma.

Nun sollten diese Gelder zurück- und damit in die Insolvenzmasse fließen. "Der Freistaat hat das abgelehnt", weiß Nagel. "Er teilte mit, dass aus fiskalischer Sicht die Infinus-Gruppe ein tragfähiges Geschäftsmodell war." Heißt: Die Finanzen bei Infinus waren nicht zu beanstanden. Das Geld, das der Staat einst mit Infinus verdiente, bleibt beim Staat.

"Aber die Kleinen, die sollen bluten", ärgert sich Nagel angesichts hunderter Mahnbescheide und Klagen, die an die Anleger geschickt wurden, mit der Forderung, ihre Zinsen zurückzuzahlen.

Zahlreiche Anleger werden das Prozessende aufgrund ihres Alters wohl nicht mehr erleben.
Zahlreiche Anleger werden das Prozessende aufgrund ihres Alters wohl nicht mehr erleben.  © dpa/Arno Burgi

5. Viele Anleger werden das Ende des Verfahrens nicht mehr erleben

Zahlreiche betagte Anleger hatten für ihre Rente ihr ganzes Erspartes bei Infinus angelegt.

"Ich bekomme täglich Post und Anrufe von Leuten, die besorgt fragen, ob sie es noch erleben, ihr Geld wiederzusehen. Ich bekomme Mitteilungen darüber, dass Anleger inzwischen verstorben sind. Ich weiß von zwei Fällen, wo die Leute sogar den tragischen Freitod wählten", sagt Nagel, dem zahlreiche Schicksale geschildert werden.

"Der schlimmste Fall stammt von einem Anleger-Ehepaar. Das bat den Sohn, zur Gläubigerversammlung zu fahren, weil ihnen der Weg zu beschwerlich war. Der Sohn ist aber auf der Fahrt tödlich verunglückt. Das Leid ist unfassbar."

EIN DAUERBRENNER QUER DURCH DIE JUSTIZ

Jörg Biehl (56) war der Boss bei Infinus. Seine Verteidiger forderten jetzt Freispruch, während der Staatsanwalt acht Jahre Haft für den Finanzer beantragte.
Jörg Biehl (56) war der Boss bei Infinus. Seine Verteidiger forderten jetzt Freispruch, während der Staatsanwalt acht Jahre Haft für den Finanzer beantragte.  © dpa/Sebastian Kahnert

"Hunderte Richter in ganz Deutschland sind mit Infinus beschäftigt", so Axel Nagel. Der Fall "zerfällt" in drei Justiz-Bereiche: "Der Strafprozess, das Insolvenzverfahren und die Prozesse um zivilrechtliche Ansprüche. Und jeder Verfahrens-Bereich hat seine eigenen Gesetze und mit dem jeweils anderen eigentlich nichts zu tun", erklärt Nagel.

Klar scheint: Egal, wie das Strafverfahren ausgeht - das Geld ist weg. Und Nagel, der deutschlandweit durch Gerichte "tingelt", um Betroffenen zu helfen, sagt:

"Es ist ärgerlich, dass ein solch komplexer Fall bei so vielen Zivilrichtern landet. Da kommt es schon mal vor, dass Verkehrsrichter plötzlich solche Akten auf dem Tisch haben…"

VOM GEPRELLTEN ZUM "OPFER-CHEF"

Bis zum 5. November 2013, dem Tag der Razzia bei Infinus, verdiente Nagel sein Geld mit dem Einrichten von Krankenhäusern. Nebenbei vertrieb er Infinus-Anteile. Kurz nach der Razzia musste die Infinus-Gruppe Insolvenz anmelden.

Um alle Anliegen Betroffener zu bündeln, gründete sich die "IG Infinus" (Interessengemeinschaft). Deren Vorstand ist Axel Nagel. "Unser Antrieb ist zu erfahren, wer uns betrogen hat", so der Kaufmann. "Waren es die Infinus-Bosse? Waren es die Insolvenzverwalter? War es die Staatsanwaltschaft? Wir werden einen langen Atem brauchen, müssen durchhalten."

DER FALL IN ZAHLEN

Bis 2013 agierte der Finanzdienstleister von Dresden aus deutschlandweit anstandslos. Nach einem anonymen Hinweis auf Unregelmäßigkeiten, kam es am 5. November 2013 zur Razzia in Büros und Immobilien der Infinus. Bilder, Uhren, Bargeld, Immobilien, Luxusautos wurden beschlagnahmt, die sechs Manager kamen in U-Haft. Nur Tage später musste das Unternehmen, das jahrelang unbeanstandet von Finanzamt oder Aufsichtsbehörde arbeitete, Insolvenz anmelden.

Seit Oktober 2015 läuft der Prozess gegen die sechs Männer, die inzwischen alle aus der U-Haft entlassen wurden. Die Anklage ist 757 Seiten lang. Es wurden an knapp 160 Prozesstagen fast 240 Zeugen gehört.

Inzwischen hat die Strafkammer ein Urteil für Ende Juni angekündigt. Doch Beobachter gehen davon aus, dass sich der Bundesgerichtshof per Revision damit auch noch beschäftigen muss. Ausgang also ungewiss.

DIE WEITEREN ANGEKLAGTEN

Andreas Kison (49)
Andreas Kison (49)  © Ove Landgraf
Dr. Kewan Kadkhodai (52)
Dr. Kewan Kadkhodai (52)  © Ove Landgraf
Siegfried Bullin (52)
Siegfried Bullin (52)  © Ove Landgraf
Jens Pardeike (51)
Jens Pardeike (51)  © Thomas Türpe
Rudolf Ott (57)
Rudolf Ott (57)  © Ove Landgraf

Titelfoto: Sebastian Kahnert/dpa, Arno Burgi/dpa