Die Familie ermordet: So ließ er den Horror hinter sich

Ruhe und Kraft findet Jung im Glauben und bei Spaziergängen mit seiner bezaubernden Shiba-Inu-Hündin Shakti.
Ruhe und Kraft findet Jung im Glauben und bei Spaziergängen mit seiner bezaubernden Shiba-Inu-Hündin Shakti.

Von Katrin Richter

Dresden - Mehr Horror geht nicht: Als Jugendlicher musste der Dresdner Andreas Jung (55) erleben, wie sein Stiefvater fast die ganze Familie auslöschte. Seither hat er gelernt, mit diesem Schmerz zu leben. Als Filmproduzent gilt Jungs Leidenschaft nun allem, was den Menschen Hoffnung macht.

Andreas Jung hat nie aufgehört, nach einer Erklärung für das Geschehene zu suchen. Er war ja fast noch ein Kind, als das Unvorstellbare geschah.

Sein Stiefvater Josef geht damals in der hessischen Heimat mit einem Messer auf seine Familie los. Ersticht seine Frau, den 14- jährigen Sohn, die dreijährige Tochter und die zwölfjährige Nichte, die gerade zu Besuch ist.

Die Spuren des Todeskampfes sind martialisch, ziehen sich durchs gesamte Haus.

In beiden Stockwerken kleben Blutspritzer an den Wänden, reichen bis fast unter die Decke. Andreas überlebt den Amoklauf nur, weil er gerade mit Freunden einen Ausflug nach Berlin macht.

Fast 40 Jahre liegt dieser Tag nun zurück. Doch die Zeit allein kann Jungs seelische Wunden nicht heilen. Immer wieder schmerzt es, wenn auch nicht mehr so stark wie am Anfang.

„Mein jüngerer Halbbruder war auf dem besten Weg, ein großer Sportler zu werden. Gerade erst hatte Frank den Titel Hessischer Jugendvizemeister im Kunstturnen gewonnen“, erzählt Jung.

Trost in allergrößter Not bekommt der Hinterbliebene im Teenageralter von seiner Pflegefamilie. Jung: „Mein Pflegebruder brachte mich in Berührung mit dem Spirituellen.“ Für ihn eine große Stütze, die Morde zu bewältigen.

Und um zu begreifen, was unbegreiflich ist.

Die beiden Brüder (Mitte: Andreas) bei einem Ausflug mit Mutter Inge.
Die beiden Brüder (Mitte: Andreas) bei einem Ausflug mit Mutter Inge.

Von seinem allerersten Berufswunsch „Pfarrer“ hat Andreas nach dem frühen Schicksalsschlag Abstand genommen. Auf der Suche, ob das Sterben einen Sinn hat, befasste er sich mit anderen Glaubensrichtungen.

Heute ist Jung Buddhist und meditiert mehrmals in der Woche.

Eine weitere Leidenschaft von ihm sind alternative Heilmethoden. Neben dem Schauspielstudium absolvierte der gebürtige Hesse eine Ausbildung zum Homöopathen.

Mittlerweile hat Jung einen Film über das Werk des Meißner Begründers der Homöopathie, Samuel Hahnemann, gemacht und den Heiler darin auch dargestellt. Ebenso übernahm er bereits zahlreiche Film- und Serienrollen im In- und Ausland, darunter die ARD Vorabendserien „Marienhof“ oder „Verbotene Liebe“.

Eines seiner wichtigsten Projekte ist momentan ein Film über das Tibetische Totenbuch - eine Art Reiseführer für Sterbende. Regisseur und Autor Jung: „Aus buddhistischer Sicht gibt es keinen Grund, sich vor dem Tod zu fürchten. Es ist nicht das Ende.“

Er selbst blickt nur noch voraus und hat mit der Vergangenheit abgeschlossen.

Sogar seine Wut auf den Stiefvater (nach seiner Haft längst wieder ein freier Mann) hat er inzwischen hinter sich gelassen.

Foto/Repro: Ove Landgraf (2), imago