Er lebt, weil jemand anderes gestorben ist: Eine neue Leber bewahrte Heinz vor dem Tod
Stuttgart - Heinz Suhling war ein gesunder Mann, bis plötzlich eine Autoimmunkrankheit seine Leber zerstörte. Der einzige Chance weiterzuleben war eine rettende Organspende. TAG24 hat mit ihm gesprochen.
Die Autoimmunerkrankung (PBC) wurde bei Suhling bei einer Routineuntersuchung festgestellt. Da war er 47 Jahre alt. "Ich habe nie etwas gehabt, bin immer regelmäßig zu den Checks gegangen", sagt Suhling. Nach einer Interferon-Behandlung, ähnlich einer Chemo-Therapie, nahm er täglich Medikamente und lebte uneingeschränkt weiter. Er fühlte sich gesund - die Welt war in Ordnung.
Bis zum April 2010: Seine Werte wurden schlechter. "Ich erhielt eine Überweisung in die Uniklinik Tübingen und kam mit einem kleinen Koffer für notwenige Untersuchungen", berichtet der heute 74-Jährige. Doch der kleine Koffer sollte nicht ausreichen. Es blieb nicht bei wenigen Untersuchungen, um auf die Organspenderliste zu kommen, es wurde ernst. Sehr ernst.
Suhlings Zustand verschlechterte sich dramatisch. Er erinnert sich noch genau daran, wie ihn seine Frau fragte, ob er das WM-Spiel Deutschland gegen Italien ansehen wollte. Er verneinte und das war sehr außergewöhnlich für den Sportbegeisterten.
Dem Tod näher als dem Leben
Am 6. Juli war es sehr heiß, daher standen die Türen zu den Patientenzimmern offen - das rettete Suhling womöglich das Leben.
Plötzlich wird ihm schlecht. Er muss sich übergeben - schwallartig - Blut. Über dreieinhalb Liter, also rund die Hälfte des Blutes im Körper, erbricht er. Lebensgefahr! Durch die offene Tür hörte ein Pfleger die Geräusche und drückt den Alarmknopf. "Es war spitz auf Knopf", sagt Suhling.
Die Ärzte kämpfen auf der Intensivstation um sein Leben. Bluttransfusionen werden ihm nach und nach verabreicht. Die Besuchszeiten werden für seine Frau abgeschafft. Es könnte jederzeit mit ihm zu Ende gehen. Doch Suhling kämpft und "es ist gut gegangen".
Die Leber arbeitete nahezu nicht mehr. Wasser bildete sich in den Beinen, er wird schwächer und er wusste: "Entweder du kriegst jetzt ein neues Organ oder du bist tot."
Die Ärzte gaben ihm ohne lebensrettende Spende drei Tage bis drei Wochen. Auf der Dringlichkeitsliste, dem sogenannten MELD-Score, für eine Organspende kam er auf den ersten Platz. Er war dem Tod näher als dem Leben. Mit seiner Frau führt er an einem dieser Tage ein sehr intensives Gespräch - das intensivste in über 30 Ehejahren. Obwohl beide nicht gläubig sind, zündete sie eine Kerze in der Kapelle des Krankenhaus für ihn an.
Leber in der Luft
Suhling erinnert sich noch ganz genau an den Moment und er lächelt: "Der Oberarzt stürmte ins Zimmer und sagte: Ihre Leber ist in der Luft."
Sofort griff er zum Telefon und rief seine Frau an. Er verabschiedeten sich mit den Worten "Vielleicht sehen wir uns wieder, vielleicht auch nicht". Und sie sahen sich wieder. In Suhlings Körper ist nun die Leber einer Frau mittleren Alters aus Hamburg transplantiert, die in der Nacht verunglückt ist.
20. Juli 2010 - Tag der Transplantation - Er darf weiterleben - dank der Frau aus seiner Heimatstadt, die einen Organspendeausweis bei sich hatte. Er bedankte er sich mit einem anonymen Schreiben, das über die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) bei der Familie der Verstorbenen. Antwort erhielt er nicht.
Nach der Transplantation litt Suhling an einem Durchgangssyndrom, war verwirrt und wollte beispielsweise einfach aus dem Bett aufstehen. "Wenn jemand der drei Monate nur im Bett liegt aufsteht, dann liegt der sofort flach". Er riss sich Schläuche raus und war neben sich. Doch das ging vorbei. Im September wurde er entlassen, er lernte in der Reha wieder laufen und findet in sein altes Leben zurück. Man kann kaum glauben, dass der Mann mit den roten Turnschuhen, dem lockeren Kaputzen-Hoodie und für sein Alter viel jünger aussehend, einmal so krank war.
Heute nimmt Suhling sechs Tabletten am Tag. Sie sorgen dafür, dass das Immunsystem die Leber nicht abstößt, dafür ist er anfälliger für Krankheiten. "Auch dank der jährlichen Grippeimpfung hatte ich die ganzen acht Jahre keine Erkältung." Der Mann mit den weißen Haaren ist vorsichtig, wäscht sich oft die Hände.
Etwas zurückgeben
Suhling wurde ein zweites Leben geschenkt. Nun setzt er sich beim Verein "Lebertransplantierte Deutschland e.V," ein und ist hier für Stuttgart und Esslingen zuständig.
"Wichtig ist, einen Organspendeausweis zu haben, damit die Verwandten nicht bei einer Todesnachricht entscheiden müssen." Auf diesem könne auch Nein angegeben werden.
Suhling klärt auf, geht an Schulen, Firmen und auf Messen, berichtet von seinen Erfahrungen und ist sehr demütig und dankbar.
An seinem Stand erklärt er Interessierten wie eine Organspende abläuft und wie wichtig ein Organspendeausweis ist: Nur ein Patient mit einer schwere Hirnschädigung, also dem Hirntod, kommt überhaupt als Spender infrage. Das Krankenhaus benachrichtigt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), anschließend wird von zwei Ärzten der Hirntod festgestellt, es folgt ein Gespräch mit den Angehörigen.
Willigen diese der Organspende ein, werden medizinische Untersuchungen am Verstorbenen durchgeführt. Diese Daten werden an Eurotransplant (ET) übermittelt, die überprüfen, ob die Organe zu einem Empfänger passen. Danach werden die Organe entnommen und schnellstmöglich zum Transplantationszentrum gebracht, wo sie dann einem Patienten transplantiert werden.
Sieben Organe kann ein hirntoter Mensch spenden, "damit können sieben Leben gerettet werden."
Jeder Mensch ab 16 Jahren kann sich für einen Organspendeausweis entscheiden, ab 14 Jahren bereits dagegen. Außerdem können bestimmte Organe auf dem Ausweis ausgeschlossen werden.
Es gibt keine Altersgrenze für Organspende. "Auch wenn das Herz mit 85 aufgibt, kann die Leber oder andere lebenswichtige Organe noch noch viele Jahre in einem anderen Körper weiterleben."
Titelfoto: TAG24