Ein homosexueller Pfarrer, vier Flüchtlinge und Weihnachten
Frankfurt - Am Anfang war eine Frage: Die Seelsorgerin in der Psychiatrie der Frankfurter Uniklinik suchte für einen Nigerianer über Weihnachten eine Herberge und Geborgenheit.
Pfarrer Olaf Lewerenz und sein Mann sagten spontan zu. "Wir haben zusammen Weihnachten gefeiert, und dann ist er geblieben", erinnert sich der Geistliche an die erste Begegnung mit John 2012. Daraus entstand eine intensive, großfamilienähnliche Verbindung. Zu dem Nigerianer kamen noch drei andere Geflüchtete. Zwei von ihnen – Hamed aus Afghanistan und Petros aus Eritrea – verbrachten mehrere Monate in Lewerenz' Gemeinde im Kirchenasyl.
Rentnerin Heide Hintze gehört auch zu der Gruppe: Sie unterstützt die jungen Männer seit dem Weihnachtsfest mit John. "Es gibt Unterschiede in der Sprache, kulturell und bei allem möglichen, aber wir verstehen uns gut", sagt Lewerenz, der Weihnachten wieder alle eingeladen hat.
John studiert inzwischen Jura, macht viel Sport und hat eine eigene Wohnung. Der 27-Jährige, der aus einer Juristenfamilie stammt, war geflüchtet, als die radikalislamistische Terrororganisation Boko Haram seine Familie entführt hatte, wie Lewerenz berichtet. "Er weiß nicht, was mit ihnen ist." Längst nicht alle kennen aber seine Geschichte. "Er will ein normaler Student sein."
Sein ehemaliges kleines Zimmer im Gemeindehaus hat er Petros überlassen. Der inzwischen 22-jährige Eritreer wohnt immer noch dort, aber längst nicht mehr im Kirchenasyl. Sein Asylantrag sei inzwischen anerkannt, berichtet Lewerenz.
Die anderen drei jungen Männer haben diese Klarheit nicht.
Johns Asylantrag sei bereits im Flughafen-Schnellverfahren abgelehnt worden, berichtet der Pfarrer. Nach zwei Suizidversuchen sei er in die Psychiatrie gebracht worden. Seither lebe er mit einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund schwerer Traumatisierung, die allerdings Ende des Jahres ablaufe.
Der Afghane Hamed (21) wurde in seinem Asylverfahren zum ersten Mal im September 2017 angehört – nach rund dreidreiviertel Jahren in Deutschland, wie Hintze berichtet. "Das belastet ihn sehr." Sein Verfahren ist noch nicht entschieden. Jawid (22), der Hamed in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen kennengelernt hat, sei schon ein gutes Jahr vorher angehört worden. Sein Asylantrag wurde inzwischen abgelehnt, eine Klage dagegen laufe. Die beiden jungen Afghanen haben inzwischen eine Ausbildungsstelle: Hamed als Konfektionsschneider, Jawid als Hotelfachmann.
Petros, der kein Wort Deutsch sprach, als er im Sommer 2013 in die Bundesrepublik kam, musste sich lange verstecken. Er sei vor dem Militär, das seinen Vater ermordet habe, mit einem ungarischen Visum in die Niederlande geflüchtet, berichtet er. Auch er weiß nich, ob seine Mutter und seine drei Geschwister, die in den Sudan geflüchtet sind, noch leben. Von den Niederlanden wurde er nach Ungarn abgeschoben. Dort sei er geschlagen worden und habe keine Chance gesehen, zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Ein Bekannter brachte ihn mit dem Auto nach Deutschland. Nach vier Monaten in Gießen und Frankfurt sollte er erneut abgeschoben werden. "Kirchenasyl war die einzige Lösung", sagt Petros.
"Es musste schnell gehen", erinnert sich Lewerenz, inzwischen Stadtkirchenpfarrer. Und daran, dass Petros nicht zu Weihnachten, sondern kurz vor Ostern 2014 kam. Fast ein halbes Jahr durfte er die Gemeinderäume dann nicht verlassen, dann ging sein Asylverfahren an die Bundesrepublik über, das Kirchenasyl war zu Ende.
Petros hat erst den Hauptschulabschluss und dann zusammen mit Jawid den Realschulabschluss nachgeholt. Er spricht ausgezeichnet Deutsch. "Wir haben das Kirchenasyl ganz intensiv genutzt, um Deutsch zu lernen", sagt Lewerenz. Nach einem einjährigen Praktikum bildet eine Tochter der Deutschen Bahn Petros jetzt zum Fachinformatiker für Systemintegration aus.
In seiner Freizeit arbeitet der 22-Jährige intensiv an seinem Schrift-Deutsch und seinen IT- und Programmierkenntnissen. "Ich habe gelernt, wie man zielstrebig sein kann." Allerdings finde er es immer noch merkwürdig, dass die Deutschen "so hart für die Karriere kämpfen", sagt er – und ist mittendrin in einem lebendingen Gespräch mit Lewerenz und Hintze. Es geht um die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Rollenbilder und kulturelle Unterschiede im Umgang mit Verpflichtungen.
Manches bereden die jungen Männer am liebsten mit Hintze. Auch über die Pfarrer und ihre Homosexualität hätten sie anfangs mit ihr gesprochen, erzählt die 67-Jährige. "Inzwischen ist das zur Normalität geworden", sagt Petros. Er ist dankbar: "Wir unterstützen uns gegenseitig in schwierigen Situationen."
"Die meisten schnellen Kontakte laufen inzwischen über WhatsApp", berichtet Lewerenz. Die jungen Männer seien flügge geworden. "Wir feiern aber die Geburtstage, Ostern und Weihnachten zusammen. Und ab und an fahren wir zusammen zu Oma und Opa oder in den Urlaub." In diesem Jahr gibt es zu Weihnachten Lammgulasch mit Mangold und Reis.
Redaktioneller Hinweis: Die Flüchtlinge John, Hamed und Jawid heißen in Wirklichkeit anders. Die Namen sind zu ihrem Schutz geändert worden und sie sind auch nicht auf den Fotos zu sehen.
Titelfoto: dpa/Andreas Arnold