Dieser Sachse hat das Haus der Zukunft erfunden

Die Energiesparpioniere verzichten keinesfalls auf Annehmlichkeiten. Im Gegenteil: Es wird verschwendet. Die meiste Zeit des Jahres ist kostenlose Energie in Hülle und Fülle vorhanden.
Die Energiesparpioniere verzichten keinesfalls auf Annehmlichkeiten. Im Gegenteil: Es wird verschwendet. Die meiste Zeit des Jahres ist kostenlose Energie in Hülle und Fülle vorhanden.  © Kristin Schmidt

Freiberg - Kann man ein Haus bauen, das seine Bewohner selbst mit Strom, Wärme und E-Mobilität versorgt? Technisch wohl kein Problem. Doch es sei wirtschaftlich überhaupt nicht darstellbar, meinten bisher die Experten.

Damit wollte sich Solarpionier Timo Leukefeld (47) aber nicht abfinden. Seit über drei Jahren lebt er nun mit seiner Familie in einem selbst errichteten "energieautarken Haus". Die TU Freiberg und die Bundesregierung ließen jedes noch so kleine Strömchen messen. Und nun steht fest: Es rechnet sich!

Wer jetzt glaubt, die Freiberger Energiesparpioniere frierend im Kerzenschein anzutreffen, täuscht sich gewaltig. Denn die Familie - Frau, zwei Kinder und ein Au-pair-Mädchen - wohnen in einem modernen Haus mit allem Komfort.

Der Geschirrspülautomat läuft nahezu täglich, Licht oder Computer werden einfach angelassen, selbst wenn keine Person mehr im Raum ist. Aus den Wänden und dem Fußboden strömt bei Bedarf heimelige Wärme. Selbst die warme Dusche läuft viel öfter und länger, seit die Familie das energieautarke Haus bewohnt.

Professor Timo Leukefeld (47) gilt als Solarpionier. Das von ihm entworfene Haus wirft auch genügend Energie zum "Betanken" des Autos ab - an die 10.000 Kilometer im Jahr.
Professor Timo Leukefeld (47) gilt als Solarpionier. Das von ihm entworfene Haus wirft auch genügend Energie zum "Betanken" des Autos ab - an die 10.000 Kilometer im Jahr.  © Kristin Schmidt

„Lieber intelligent verschwenden als blöde sparen“, lautet da Timo Leukefelds paradoxes Rezept.

Der aus Ehrenfriedersdorf stammende Ingenieur, der zu diesem Lieblingsthema auch als Professor in Glauchau und Freiberg referiert, hat keinerlei Gewissensbisse gegenüber Umwelt und Geldbörse.

Denn Strom und Wärme liefert bei ihm die Sonne, und die stellt keine Rechnung für ihren ohnehin kostenlosen Service.

Knallhart durchgerechnet hat er für das Haus mit 160 Quadratmetern Wohnfläche sehr wohl, als er es mit dem Eigenheimhersteller Helma konzipierte. Schlüsselfertig mit Bodenplatte kostet das Haus 430.000 Euro - das Autarkie-Paket macht 85.000 Euro aus.

Zwanzig Jahre lang zahlt Leukefeld dann 980 Euro monatlicher Kreditraten, wo alles drin ist: Wohnen, Wärme, Strom und E-Mobilität. Eine Anschlussfinanzierung kommt danach.

"Was man am Anfang mehr bezahlt, spart man über die Jahre an Betriebskosten wieder ein", sagt der Sonnenprofessor.

In Freiberg steht das erste bezahlbare energieautarke Einfamilienhaus Europas: Wärme, Strom und Tankstelle in einem.
In Freiberg steht das erste bezahlbare energieautarke Einfamilienhaus Europas: Wärme, Strom und Tankstelle in einem.  © Kristin Schmidt

Damit das keine kühne Behauptung bleibt, hat die TU-Freiberg mit Förderung der Bundesregierung 190 Sensoren im Haus platziert, um jedes Grad Celsius und jedes Watt Strom zu messen.

Damit waren die Leukefelds in den letzten drei Jahren vielleicht die gläsernste Familie in Deutschland. "Wenn etwa im Schlafzimmer der CO2-Gehalt sprunghaft stieg, konnten sich die Prüfer einen Reim drauf machen", witzelt der Professor. "Doch für die Forschung muss man auch Opfer bringen."

Und die haben sich gelohnt. Bei der Wärmedeckung erreichte das Haus 72 Prozent - 65 waren prognostiziert. In den Wintermonaten heizt die Familie über den Kamin Brennholz zu, was mit 200 Euro pro Jahr zu Buche schlägt. "Wir haben aber eine Wohlfühltemperatur von 23 Grad im ganzen Haus", betont Leukefeld.

Bei der Solarenergie wurden die angestrebten 100 Prozent knapp verfehlt. So mussten etwa 2014 einmal in der sonnenarmen Jahreszeit 180 Kilowattstunden hinzu gekauft werden, 2016 waren es nur 8 kwh im ganzen Jahr. Die schwierigsten Monate sind in unseren Breiten naturgemäß Dezember und Januar. Andererseits gab das Haus aber auch 5000 kwh an überschüssigen Solarstrom an das Netz ab, wofür es eine Vergütung gab.

Ab März spätestens hamstert das Haus die Sonnenenergie. Dann lässt Leukefeld auch schon den Pool mit vorgewärmtem Wasser volllaufen. Auch das Elektro-Auto wird kostenlos vom eigenen Haus vollgetankt - an die 10.000 Kilometer fahren die Leukefelds im Jahr damit.

Insgesamt spart die Familie rund 3500 Euro pro Jahr, die sie nicht an Energieversorger oder die Tankstelle zahlen. Wenn die Sonne weiter scheint, soll das auch immer so bleiben. Und der Professor kann behaupten: "Wir wohnen im ersten bezahlbaren energieautarken Einfamilienhaus Europas!"

Diese Dinge machen den Unterschied

Kollektoren: Oben sammeln 46 Quadratmeter Sonnenkollektoren die direkte Sonnenwärme, ein Wärmeträger-Medium leitet die Hitze über Rohre ins Haus. Unten wandeln 58 Quadratmeter Photovoltaik die Sonnenenergie in Strom um.
Kollektoren: Oben sammeln 46 Quadratmeter Sonnenkollektoren die direkte Sonnenwärme, ein Wärmeträger-Medium leitet die Hitze über Rohre ins Haus. Unten wandeln 58 Quadratmeter Photovoltaik die Sonnenenergie in Strom um.  © Kristin Schmidt
Wärmespeicher: Im Heizungsraum wird die Solarthermie in den 9000 Liter fassenden Langzeit-Wärmespeicher geleitet. Über eine Art Tauchsieder-System wird das Wasser darin erhitzt. Die Waschmaschine bezieht von hier ihr warmes Wasser.
Wärmespeicher: Im Heizungsraum wird die Solarthermie in den 9000 Liter fassenden Langzeit-Wärmespeicher geleitet. Über eine Art Tauchsieder-System wird das Wasser darin erhitzt. Die Waschmaschine bezieht von hier ihr warmes Wasser.  © Kristin Schmidt
Steuergerät: Sowohl die Solarthermie als auch die Photovoltaik können vom Haus aus geprüft und gesteuert werden - das Wasser ist knapp 80 Grad heiß. Die meiste Zeit des Jahres läuft die Technik aber vollautomatisch.
Steuergerät: Sowohl die Solarthermie als auch die Photovoltaik können vom Haus aus geprüft und gesteuert werden - das Wasser ist knapp 80 Grad heiß. Die meiste Zeit des Jahres läuft die Technik aber vollautomatisch.  © Kristin Schmidt
Starke Akkus: Die 24 Blei-Gel-Akkus können 58 Kilowattstunden zwischenspeichern. So viele sind nötig, um zu 100 Prozent von seiner Solarenergie zu leben. Für einen Deckungsgrad von 80 Prozent hätten zehn Batterien genügt.
Starke Akkus: Die 24 Blei-Gel-Akkus können 58 Kilowattstunden zwischenspeichern. So viele sind nötig, um zu 100 Prozent von seiner Solarenergie zu leben. Für einen Deckungsgrad von 80 Prozent hätten zehn Batterien genügt.  © Kristin Schmidt
Kluge Anschlüsse: Der Geschirrspül-Automat bezieht sein 60 Grad warmes Wasser aus dem zentralen Tank. Somit ergibt sich eine Stromersparnis von 80 Prozent. Schon bei der Planung des Hauses wurde darauf geachtet, nicht zu viel zu verbrauchen.
Kluge Anschlüsse: Der Geschirrspül-Automat bezieht sein 60 Grad warmes Wasser aus dem zentralen Tank. Somit ergibt sich eine Stromersparnis von 80 Prozent. Schon bei der Planung des Hauses wurde darauf geachtet, nicht zu viel zu verbrauchen.  © Kristin Schmidt
Lampen-Luxus: Doch die meiste Zeit des Jahres wird so viel Strom erzeugt, dass man verschwenderisch damit umgehen kann. Licht und Computer bleiben einfach an, obwohl keine Person im Raum ist.
Lampen-Luxus: Doch die meiste Zeit des Jahres wird so viel Strom erzeugt, dass man verschwenderisch damit umgehen kann. Licht und Computer bleiben einfach an, obwohl keine Person im Raum ist.  © Kristin Schmidt
Holzvorrat: Für den Winter hat der Professor einen Holzvorrat an- gesammelt. Zwischen November und Februar muss - je nach Wetter - für bis zu 200 Euro pro Jahr nachgeheizt werden, damit im Haus gemütliche 23 Grad bleiben
Holzvorrat: Für den Winter hat der Professor einen Holzvorrat an- gesammelt. Zwischen November und Februar muss - je nach Wetter - für bis zu 200 Euro pro Jahr nachgeheizt werden, damit im Haus gemütliche 23 Grad bleiben  © Kristin Schmidt
Ofen mit Tank: Im Sommer bleibt der Kamin ungenutzt: Sobald die Heizperiode los geht, wärmt der Ofen aber direkt den dahinterliegenden Wassertank auf. Von dort fließt die Wärme in die Fußbodenheizung
Ofen mit Tank: Im Sommer bleibt der Kamin ungenutzt: Sobald die Heizperiode los geht, wärmt der Ofen aber direkt den dahinterliegenden Wassertank auf. Von dort fließt die Wärme in die Fußbodenheizung  © Kristin Schmidt
Tiefenkälte: In der heißen Jahreszeit schickt Leukefeld den Solarstrom nicht in eine Klima-Anlage. Stattdessen ließ er ein 50 Meter tiefes Loch für Geothermie bohren. So ist es im Haus etwa vier Grad kälter als ohne Kühlung. Kosten: einmalig 5000 Euro.
Tiefenkälte: In der heißen Jahreszeit schickt Leukefeld den Solarstrom nicht in eine Klima-Anlage. Stattdessen ließ er ein 50 Meter tiefes Loch für Geothermie bohren. So ist es im Haus etwa vier Grad kälter als ohne Kühlung. Kosten: einmalig 5000 Euro.  © Kristin Schmidt
Brunnen: Mit einem eigenen Brunnen für Garten, Brauchwasser und Toilettenspülung spart die Familie auch die Hälfte der Trinkwasser-Kosten.
Brunnen: Mit einem eigenen Brunnen für Garten, Brauchwasser und Toilettenspülung spart die Familie auch die Hälfte der Trinkwasser-Kosten.  © Kristin Schmidt
E-Tankstelle: Das Haus wandelt sich sogar zur eigenen Tankstelle. Bis zu 10.000 Kilometer ist das E-Mobil der Leukefelds pro Jahr unterwegs. Und weder ein Energieversorger noch ein Tankwart haben die Hand aufgehalten.
E-Tankstelle: Das Haus wandelt sich sogar zur eigenen Tankstelle. Bis zu 10.000 Kilometer ist das E-Mobil der Leukefelds pro Jahr unterwegs. Und weder ein Energieversorger noch ein Tankwart haben die Hand aufgehalten.  © Kristin Schmidt
Sensoren: Das Kontrollzentrum für die Energiestudie: Mit 190 Sensoren zu allen möglichen Daten ist das Eigenheim der Familie Leukefeld wohl das am besten vermessene Haus in Deutschland.
Sensoren: Das Kontrollzentrum für die Energiestudie: Mit 190 Sensoren zu allen möglichen Daten ist das Eigenheim der Familie Leukefeld wohl das am besten vermessene Haus in Deutschland.  © Kristin Schmidt

Titelfoto: Kristin Schmidt