Urlaub hinter Gittern! Im Zuchthaus sind noch Zellen frei

Knastbesitzer Nicholas Osbourne ist sein erster Insasse. In seiner kargen Zelle nimmt er sein Frühstück zu sich.
Knastbesitzer Nicholas Osbourne ist sein erster Insasse. In seiner kargen Zelle nimmt er sein Frühstück zu sich.  © Holm Helis

Großenhain - Die meterhohen Mauern der ehemaligen JVA Großenhain wirken unüberwindbar. Doch das Gefängnistor steht sperrangelweit offen. Zuchthaus-Fans aus aller Welt können sich hier einsperren lassen - freiwillig.

Orangefarbener Overall, Handschellen und Leibesvisitation gehören zum Standard-Programm, Rollenspiele inklusive. Dunkelzelle, Käfig, Folterkammer gibt es auf Extrawunsch.

Noch hält sich die Nachfrage in Grenzen, bisher finden nur Privatpartys statt.

Einsam, fast wie ein Fremdkörper wirkt der denkmalgeschützte Knast zwischen Bäcker, Musikschule und Pflegeheim.

Doch die dreigeschossige, vergitterte Fensterfront direkt neben der Bundesstraße 101 gehört schon seit 1895 zum Großenhainer Stadtbild. Was hinter den dicken Mauern geschieht, darüber kursieren die wildesten Gerüchte.

Der neue Besitzer Nicholas Osbourne (59) möchte nun mit allen Spekulationen aufräumen - und gewährt freimütig Einblick in die dunklen Zellen.

Nunmehr 240 Tattoos zieren Osbournes Körper. Eins davon widmete er der JVA Großenhain. "Ich mag mehr", sagt er.
Nunmehr 240 Tattoos zieren Osbournes Körper. Eins davon widmete er der JVA Großenhain. "Ich mag mehr", sagt er.  © Holm Helis

Im Treppenhaus riecht es muffig.

Die Wandfarbe bröckelt, Patina überzieht den Boden. Die schwere Gittertür fällt ins Schloss. Der Rundgang beginnt in der ersten Etage.

"Ich liebe dieses Gefängnis", sagt der irische Landsmann auf Englisch. Deutsch versteht er zwar etwas, spricht aber lieber in seiner Muttersprache. Haftanstalten faszinieren ihn seit der Kindheit, erzählt er auf dem Weg durch die Zellen.

Als 20-Jähriger saß er in Malaysia wegen Drogenkonsums ein. Er wählte die Prügelstrafe und verkürzte seine lange Haftstrafe auf wenige Tage.

Später als Anwalt in London besuchte er seine Klienten auch hinter Gittern. 2006 kam er das erste Mal nach Großenhain. Inzwischen ist er auf Knasterfahrungen spezialisiert. Der Gefängnisliebhaber machte seine Passion zum Beruf.

"Zelle 19", "Osbourne, Nicholas Robert Paul" steht auf dem gelben Magnetschild, das an der Eisentür über dem Guckloch pinnt. "Das ist meine Zelle", sagt er. Der Knast-Eigentümer ist zugleich sein erster Gefangener.

Persönlichkeitsrechte ade: Wer im „Großenhainer JVA Prison“ eincheckt, tauscht die Alltagsklamotten gegen den Knast-Overall.
Persönlichkeitsrechte ade: Wer im „Großenhainer JVA Prison“ eincheckt, tauscht die Alltagsklamotten gegen den Knast-Overall.  © Holm Helis

2016 kaufte Nicholas Osbourne sein "JVA Großenhain prison" in der Meissner Straße von Vorbesitzer Wilfried Lindemann.

Knapp 300 000 Euro investierte er bislang, sanierte die Heizung, baute neue Sanitäranlagen und eine Küche ein. Auch in den Nachbarzellen werkelt er kräftig, montiert Stahlbetten, Fitnesspressen oder plant die Installation eines Waschbeckens im medizinischen Untersuchungsraum.

Wer ein authentisches Knast-Erlebnis anfragt, den fährt Osbourne im grünen Gefängnisbus vor. Eine Voraussetzung neben der Volljährigkeit sind starke Nerven. Hinter den Mauern gibt es nichts mehr zu lachen. Manager, Politiker, Geschäftsmänner seien es angeblich, die ihren teuren Zwirn gegen die Knast-Kluft tauschen, nackt vor der Messlatte für ein Polaroid posieren und sich nach Schmuggelware untersuchen lassen.

Auch für Junggesellenabschiede, Polterabende oder Geburtstage steht das Haus offen.

Bei Caro-Kaffee und trocken Brot, mit dem Fuß an die Eisenkugel gekettet oder weggesperrt in einen Käfig, die Dunkelzelle oder das Erdloch im Kellerverlies, das löst offenbar Gefühle aus, die manch einer sucht und im Großenhainer Knast findet. Und das soll kein Sado-Maso sein? "Nein, im Gegensatz zum SM respektieren Insassen und Aufseher gegenseitig ihre Gefühle", sagt Osbourne. Und: "Das ist weder ein SM-Ghetto, noch eine Gay-Parodie. Und Sex-Shows gibt es hier auch nicht."

Die ehemalige JVA Großenhain liegt zentrumsnah zwischen Eisdiele und HNO-Praxis, direkt an der Bundesstraße 101.
Die ehemalige JVA Großenhain liegt zentrumsnah zwischen Eisdiele und HNO-Praxis, direkt an der Bundesstraße 101.  © Holm Helis

Was vielen wohl eher Grauen einflößt, nennt der "Big Boy" eine gute Erfahrung. Er hält sich für einen großen Jungen, der Gefängnis spielt.

Die Touristen müssten aber wissen, worauf sie sich einlassen, damit aus Spaß kein Alptraum wird. "Das ist kein Kindergarten."

Bevor die Privatpartys beginnen, wird alles vertraglich festgelegt. Neben Kleidergrößen und angestrebten Strafen fragt der Gefängnisdirektor auch gesundheitliche Probleme ab. "Niemand soll das Haus krank, verletzt oder enttäuscht verlassen."

Angst vor der zivilisierten Welt hat der Mann mit den 240 Tattoos nicht, wie er sagt. In der 18.000-Einwohner-Kreisstadt fällt er ohnehin durch etliche Raster. Trotzdem: Als Jude setzt er auf Versöhnung und Verständigung. Wenn er keine "Urlaubsgäste" hat, möchte er das Haus als Museum für Schulklassen öffnen.

"Urlaubsgäste" holt Osbourne im grünen Gefängnisbus vom Bahnhof oder Flughafen ab.
"Urlaubsgäste" holt Osbourne im grünen Gefängnisbus vom Bahnhof oder Flughafen ab.  © Holm Helis

Eine verrostete Handgranate, verstaubte Handschellen, Schlagstöcke und alte Nachttöpfe stellt er schon jetzt in der Glasvitrine im Erdgeschoss aus.

Eine Bibliothek soll demnächst dazukommen.

Bis 1963 war der Knast noch echt

Heute gibt es nur noch wenige Informationen über die ehemalige JVA Großenhain. Bekannt ist, dass Insassen hier bis 1963 auf ihren Prozess im Amtsgericht nebenan warteten.

1991 erwarb Wilfried Lindemann das alte Gefängnis von der Treuhand. Dieser verpachtete das Objekt an verschiedene Betreiber mit diversen Vermarktungskonzepten vom Hotel bis zur Erlebnisherberge.

Caro-Kaffee, Brot, Margarine, Wurst und eine Tomate, serviert mit Plastebesteck, so sieht Essen im Knast aus.
Caro-Kaffee, Brot, Margarine, Wurst und eine Tomate, serviert mit Plastebesteck, so sieht Essen im Knast aus.  © Holm Helis
Nicholas Osbourne (59) kaufte die ehemalige JVA Großenhain 2016. Nun bietet er authentische Gefängnisaufenthalte an - mit Rollenspiel nach Wunsch.
Nicholas Osbourne (59) kaufte die ehemalige JVA Großenhain 2016. Nun bietet er authentische Gefängnisaufenthalte an - mit Rollenspiel nach Wunsch.  © Holm Helis