Helga wer? Diese Sächsin war die erfolgreichste Sportlerin der Welt!

Leistungssport ohne Anglerlatein und ohne Wathose: Die Trainingseinheiten und 
Meisterschaften fanden auf Sportplätzen und in Stadien statt.
Leistungssport ohne Anglerlatein und ohne Wathose: Die Trainingseinheiten und Meisterschaften fanden auf Sportplätzen und in Stadien statt.  © Petra Hornig/privat

Dresden - Wetten, dass Sie nicht die erfolgreichste Sportlerin der Welt kennen? Diese Ehre gebührte - zumindest im Guinnessbuch der Rekorde von 1998 - Helga Wischer-Trantow (84) aus Dresden. Dass ihr Name trotzdem kaum bekannt ist, liegt an der eher unbekannten Sportart, in der sie insgesamt 16 Weltrekorde, neun Weltbestleistungen aufstellte und 32 Goldmedaillen bei fünf Weltmeisterschaften errang - im Turnier-Angeln. Für Helgas Erfolgsbilanz musste übrigens kein einziger Fisch sein Leben lassen.

Sie „fischte“ immer im Trüben - auf Sportplätzen, Flughäfen, in Stadien. Denn beim Turnierangeln werden keine Fische aus dem Weiher gezogen. Beim „Trockenfischen“ zählen Geschicklichkeit und Treffsicherheit beim Angelauswurf (siehe Kasten). Helga Wischer-Trantow (84) beherrschte diese Disziplinen in vollendeter Perfektion. Sie kam, zielte und siegte. Fast immer, fast immer allein, fast automatisch.

Dabei träumte die Super-Anglerin einst von einer Karriere als Opernsängerin, studierte an der Dresdner Musikhochschule Gesang. Doch als sie schon beim ersten Vorsingen nicht genommen wurde, gab sie den Berufstraum auf. „Ich treffe schnell Entscheidungen und bleibe auch dabei.“

Erst Sopranistin, dann Angel-Ass: Helga Wischer-Trantow (84) holte 1961 bei 
den II. Weltmeisterschaften im Turniersport der Sportangler in Dresden den 
Weltmeister-Titel.
Erst Sopranistin, dann Angel-Ass: Helga Wischer-Trantow (84) holte 1961 bei den II. Weltmeisterschaften im Turniersport der Sportangler in Dresden den Weltmeister-Titel.  © Petra Hornig/privat

Stattdessen begann ihr Herz für den Sport zu schlagen. „Das Studium finanzierte ich mir durch Laborarbeiten in einem Fotoatelier in Radebeul“, erzählt sie.

„Mein Chef war ein raffinierter Sportangler, führte mich wieder näher an mein altes Hobby heran.“ Denn als Kind ging sie oft mit dem Großvater angeln, auch vor dem Unterricht in aller Frühe.

Atelier-Chef Horst E. Rudolph wurde schließlich ihr Trainer beim Turnierangeln. Schnell waren beide auch privat ein Paar, heirateten. Doch die Ehe hielt nur drei Jahre: „Während ich im Labor schuftete, ging mein Mann immer nur angeln.“ Da angelte sich Helga lieber einen anderen.

Der erste Erfolg kam zufällig. „1955 gewann ich völlig überraschend die DDR-Meisterschaft in Magdeburg und holte meine ersten Goldmedaillen.“ Seitdem musste es immer Gold sein. „Ich war sehr ehrgeizig, habe mich nie mit Silber- oder Bronzemedaille fotografieren lassen. Wenn es ‚nur‘ die Plätze zwei und drei waren, brach ich in Tränen aus.“

Sportlerkarriere im Medaillenregen: Mit den meisten Auszeichnungen in einer 
Sportlerlaufbahn steht sie im Guinnessbuch der Rekorde.
Sportlerkarriere im Medaillenregen: Mit den meisten Auszeichnungen in einer Sportlerlaufbahn steht sie im Guinnessbuch der Rekorde.  © Petra Hornig/privat

Doch das musste sie selten. Kein Wunder, dass auch die internationale Angelkonkurrenz die Ruten nach ihr auswarf.

Mehrfach sollte die Ausnahme-Athletin bei Turnieren im westlichen Ausland abgeworben werden. „Mich reizten Leben und Mode in Österreich und der Schweiz, doch ich kehrte immer wieder heim zu meiner Familie nach Dresden.“

Ihre erfolgreichste WM war 1961 ein Heimspiel: „Im Dresdner Heinz-Steyer-Stadion war alles so gut organisiert.“ Helga heimste dabei gleich sieben Weltmeistertitel ein und stellte zwei Weltrekorde auf. Danach bekam sie sogar den Vaterländischen Verdienstorden. „Den überreichte mir Willi Stoph höchstpersönlich.“

Nach ihrer Sportskarriere arbeitete Helga Wischer-Trantow als Sport- und Englischlehrerin an Schulen in Dresden-Gorbitz. Ihre Sportangeln stehen heute als Ausstellungsstücke in Anglermuseen in Anklam und Berlin. Am kommenden Samstag feiert die lebende Legende ihren 85. Geburtstag. Vielleicht gibt es dann ihren Lieblingsfisch auf den Tisch: Forelle.

Was ist Turnierangeln?

Bei der Sportart, die auch unter dem Namen Casting (Englisch für „Werfen“) bekannt ist, kommen keine Fische zu Schaden. Bei der Präzisionssportart gibt es insgesamt neun Disziplinen.

Beim Zielwurf müssen mit der Angelschnur zum Beispiel kleine Wasserbassins (Durchmesser: 60 cm) oder geneigte Scheiben getroffen werden. Beim Weitwurf soll der Köder (ein tropfenförmiges 7,5-Gramm-Gewicht) möglichst weit fliegen.

Helga Wischer-Trantow schaffte es in dieser Disziplin auf 90 Meter. Die ersten Turnierangel-Turniere wurden 1864 in den USA durchgeführt. In Gera war Casting zu DDR-Zeiten sogar ein Schulsport-Fach.